„Every Nigger is a Star“ tönt es gleich zu Beginn im groovigen Soul aus den Autolautsprechern – ein Bekenntnis, das Barry Jenkins Oscargewinner „Moonlight“ in jeder Filmminute beherzigt. Kein einziges weißes Gesicht taucht in diesen zwei Kinostunden auf. Und das Beste daran ist, dass man es gar nicht oder wenn dann nur im Nachhinein bemerkt. Zu sehr wird man in die Welt und das Leben des jungen Chiron hineingezogen – der Stern, um den sich dieser Film mit bedingungsloser Liebe dreht, gerade weil ihm diese Liebe in seinem Dasein verwehrt wird.
Der achtjährige Junge lebt in Liberty City, einem Stadtteil von Miami, dessen klangvoller Name die soziale Misere seiner Bewohner zu überdecken versucht. Chiron ist anders als die anderen Jungs in seinem Alter. Er sei zu soft, sagen sie, und prügeln auf ihn ein. Als er eines Tages wieder einmal vor seinen Peinigern flüchtet, findet ihn der lokale Drogendealer Juan (Mahershala Ali) in seinem Versteck und nimmt ihn mit zu sich nach Hause. Schweigsam schaufelt Chiron das Essen, das ihm Juans Freundin Teresa (Janelle Monáe) auf den Tisch stellt, in sich hinein. Das helle, saubere Haus der beiden wird für Chiron zum Flucht- und Ruhepunkt, wenn seine Mutter (Naomie Harris) ihn wieder einmal im Crack-Rausch hinausgeworfen hat. „Meine Mama nimmt Drogen?“, fragt er Juan beim Abendessen und fügt nach einer Pause hinzu „Und du verkaufst Drogen?“.
Zu sehen, wie der Junge diese grausame Logik im Kopf zusammenrechnet und wie es Juan fast das Herz bricht dabei zuzusehen, ist einer von vielen stillen und tief berührenden Momente in diesem Film. „Moonlight“ nimmt die Widersprüchlichkeit der sozialen Verhältnisse tief in sich auf und begegnet den Menschen, die sich in ihnen bewegen, mit großer Zärtlichkeit. Über drei Lebensabschnitte vom Jungen zum Jugendlichen bis zum Erwachsenen hinweg verfolgt „Moonlight“ die Entwicklung Chirons, der nach einer Liebesnacht mit einem Freund am Strand, sich selbst zu finden beginnt.
Im letzten Teil schließlich ist aus dem zarten Jungen ein durchtrainierter Muskelmann geworden, der sich einen Körperpanzer angeschafft hat und sich als Dealer Respekt zu verschaffen weiß. Dass darin immer noch der sensible und verängstigte Junge wohnt, ist ein Geheimnis, von dem nur das Publikum weiß, weil es längst gelernt hat, durch den äußeren Schein hindurch in die Menschen hineinzusehen.
Oscar für „Moonlight“ ist ein politisches Signal
In „Moonlight“ entfernt sich Barry Jenkins gezielt von den Klischees und dem harten sozialen Realismus, mit dem das Leben in afroamerikanischen Communitys üblicherweise dargestellt wird. Dabei geht es nicht darum die Wirklichkeit zu beschönigen, sondern sie in einem anderen, hellen Licht zu zeigen, in dem die Menschen deutlicher zu erkennen sind.
Das ist durchaus auch wörtlich zu verstehen: Während das alte Kodak-Filmmaterial auf weiße, hellhäutige Gesichter kalibriert war, lässt das hochauflösende Digitalmaterial, das Jenkins verwendet, die dunkle Haut im wahrsten Sinne des Wortes aufleuchten. Auf dem Glanz der Haut spiegeln sich in der Nacht die Lichter Miamis, was nicht nur schön aussieht, sondern Ort und Figuren visuell miteinander verschmelzen lässt. Es sind Details, wie diese, in denen sich die filmemacherische Sorgfalt, aber auch der sehr bewusste Umgang mit einer eigenen Ästhetik des Black-Cinema zeigt. Auch in visueller Hinsicht blickt Jenkins mit großer Zärtlichkeit auf den jungen Helden, der sein Anderssein entdeckt und mit den aggressiven Männlichkeitsvorstellungen seiner Community konfrontiert ist.
Natürlich ist der Oscar für diesen Film auch ein politisches Signal. Die Academy hätte kein besseres Werk finden können, das durch sein selbstbewusstes Bekenntnis zu afroamerikanischer Identität, dem lauten Gebrüll des weißen Mannes im Weißen Haus, seinen differenzierten, zutiefst humanistischen Blick auf seine Figuren entgegensetzt. Unabhängig von aller amerikanischen Tagespolitik ist „Moonlight“ mit seiner sanfter Poesie, den klar komponierten Bildern und dem sinnlichen Blick auf schwarze Körperlichkeit auch in cineastischer Hinsicht einer der besten Filme, den das amerikanische Independent-Kino hervorgebracht hat.