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Co-Parenting: Kind ja, Beziehung nein: Wenn Fremde eine Familie gründen

Co-Parenting

Kind ja, Beziehung nein: Wenn Fremde eine Familie gründen

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    Traditionelle Familienbilder wandeln sich gerade, sagt Christine Wagner.
    Traditionelle Familienbilder wandeln sich gerade, sagt Christine Wagner. Foto: Silvio Wyszengrad (Symbolbild)

    Frau Wagner, Familie, was ist das für Sie?

    Christine Wagner: Ein Zusammensein von Menschen, die sich miteinander wohl fühlen, sich gegenseitig vertrauen und füreinander Verantwortung übernehmen. Das können statt Blutsverwandten genauso gut Freunde sein.

    Mit einem guten Freund ein Kind zu haben: Macht das manches auch leichter?

    Wagner: Die ganze romantische Ebene fällt weg und damit auch viele Erwartungen. Oft ist es leichter, eine langjährige Freundschaft zu pflegen als eine langjährige Beziehung.

    Und was fällt schwerer?

    Wagner: Gerade am Anfang fühlen sich die Männer häufig ausgeschlossen, wenn die Mutter noch stillt und das Kind viel bei sich hat. Da muss sich der Vater manchmal zurücknehmen. In dieser Konstellation ist es auch schwieriger zu akzeptieren: Das andere Elternteil macht manche Sachen in der Erziehung anders als man selbst.

    Seit fast acht Jahren gibt es "Familyship" nun schon. Eine Plattform, auf der Menschen in Kontakt kommen können, die auf freundschaftlicher Basis eine Familie gründen möchten. Wie kam es zu der Idee?

    Wagner: Damals war ich in einer Partnerschaft mit einer Frau. Wir wollten ein Kind bekommen und suchten nach einem passenden Vater. Aber wir wussten einfach nicht, wo wir ihn kennenlernen sollten. Selbst im Internet gab es nichts, was uns weiterhalf. Das hat uns überrascht, eigentlich gibt es da doch alles.

    Christine Wagner hat 2011 zusammen mit ihrer damaligen Freundin Miriam Förster die "Co-Parenting"-Plattform "Familyship" gegründet.
    Christine Wagner hat 2011 zusammen mit ihrer damaligen Freundin Miriam Förster die "Co-Parenting"-Plattform "Familyship" gegründet. Foto: Daniel Javier Cati

    Also haben Sie mit ihrer damaligen Partnerin etwas Eigenes ins Leben gerufen?

    Wagner: Sie kannte sich gut mit Technik aus und ich kümmerte mich um die Inhalte. Vier Wochen später waren wir Online. Gianni, der Vater meiner Tochter, war einer der ersten, der sich angemeldet hat.

    Während Sie und Ihre Freundin Gianni besser kennenlernten, zerbrach Ihre Beziehung. Hat sich das auf Ihren Kinderwunsch ausgewirkt?

    Wagner: Mir wurde bewusst, dass ich auch als Single ein Kind bekommen wollte. Das geht vielen ähnlich, gerade weil es heute immer mehr Singles auf der Welt gibt. Frauen hören irgendwann ihre biologische Uhr ticken, wollen aber nicht, mit irgendwem ein Kind haben. Es melden sich aber auch immer mehr Single-Männer bei „Familyship“ an.

    Wie funktioniert „Familyship“ eigentlich?

    Wagner: Ähnlich wie bei Dating-Apps hat man ein eigenes Profil, jedoch mit großen Feldern, wo man sich vorstellen kann. Denn wir finden, dass der Kinderwunsch etwas sehr Persönliches ist. Und anders als bei Tinder, reicht es nicht, dreimal zu klicken und dann hat man ein Kind. Das dauert schon seine Zeit.

    Co-Parenting wird in Deutschland immer bekannter

    Während es in den USA und Großbritannien Plattformen wie „Family by Design“  oder „Modamily“ (kurz für „modern family“) schon lange gibt, teils mit über 20.000 Mitgliedern, war Ihre Seite eine der ersten in Deutschland.

    Wagner: Als wir noch gar nicht wussten, was „Co-Parenting“ ist, war es in diesen Ländern schon bei vielen bekannt. In Deutschland wird es aber immer besser angenommen, "Familyship" zählt jetzt um die 4000 Mitglieder.

    Wandelt sich das traditionelle Familienbild gerade?

    Wagner: Etwa 40 Prozent der Ehen werden heute wieder geschieden, das sind alles keine traditionellen Familien mehr. Ich glaube das Bild der kleinen Familie, die für immer zusammen bleibt, ist eine Illusion.

    Die Plattform "Familyship"

    "Familyship" ist eine Plattform, auf der Menschen in Kontakt kommen können, die auf freundschaftlicher Basis eine Familie gründen möchten.

    Die sexuelle Orientierung soll dabei weder Zugangsvoraussetzung noch Ausschlusskriterium sein. Das Angebot war ursprünglich für zukünftige Regenbogenfamilien gedacht - also Familien mit gleichgeschlechtlichen Eltern.

    Aber im Laufe der Zeit haben die Gründerinnen, Christine Wagner und Miriam Förster, festgestellt: Auch viele heterosexuelle Menschen suchen nach alternativen Familienmodellen.

    Die Plattform verfolgt den Gedanken des "Co-Parenting". Das bedeutet: Zwei Menschen bekommen zusammen ein Kind, ohne in einer Beziehung zu sein. Manche Eltern ziehen dann zusammen, andere wohnen weiterhin in getrennten Haushalten.

    Anonyme Samenspenden, sogenannte "No-Spender", schließt "Familyship" aus. Denn die Gründerinnen finden: Jedes Kind sollte die Möglichkeit haben, seinen Vater kennenzulernen.

    Wie ging es Gianni und Ihnen nach der Geburt?

    Wagner: Gianni war von Anfang an viel da. Wenn ich das letzte Mal gestillt habe, hat er sie genommen und ich konnte nochmal drei Stunden schlafen. Inzwischen wohnen wir sogar zusammen in einer WG.

    Ihre Tochter ist jetzt fünf Jahre alt. Hat sie jemals wahrgenommen, dass es bei Ihnen anders ist als in anderen Familien?

    Wagner: Eigentlich sieht sie uns als ganz normale Familie. Aber hin und wieder sagt sie schon: Mama und Papa sollen heiraten. Ich glaube das kommt von diesem ganzen dummen Prinzessinen-Ding.

    Prinzessinnen-Geschichten bereiten auf die klassische Mutterrolle vor

    Prinzessinnen-Ding?

    Wagner: Meine Tochter spielt gerade die ganze Zeit Prinzessin. Das bereitet total auf die klassische Mutterrolle vor: Es geht immer nur darum, auf den Ball zu gehen, einen Prinzen kennenzulernen und eine tolle Familie zu gründen. Das ist doch schrecklich!

    Braucht es denn in jeder Familie einen Vater und eine Mutter?

    Wagner: Ich finde nicht. Kinder suchen sich ihre männlichen oder weiblichen Rollenvorbilder auch woanders, beispielsweise in der Kita oder bei Verwandten. Was sie brauchen, ist eine verlässliche Bindung und einen empathischen Umgang.

    Und Sie sind überzeugt davon, dass Kinder ihre Wurzeln kennen sollten.

    Wagner: Ja, daher halte ich auch absolut nichts von anonymer Samenspende. Mir persönlich fehlt ein Opa, den ich nie kennengelernt habe. Selbst das hat mich in meiner Jugend sehr beschäftigt.

    Haben Sie und Gianni als Eltern jemals mit Vorurteilen kämpfen müssen?

    Wagner: Nie. Unsere Familien waren vor der Geburt skeptisch. Aber als das Kind dann da war, haben Sie gesehen, dass es gut klappt. Auch sonst sind die meisten eher neugierig. Sie finden das spannend und sind aufgeschlossen.

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