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Katholische Kirche: Missbrauchsgutachten: Münchner Kanzlei erhöht Druck auf Kardinal Woelki

Katholische Kirche

Missbrauchsgutachten: Münchner Kanzlei erhöht Druck auf Kardinal Woelki

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    Der Kölner Erzbischof Rainer Maria Kardinal Woelki ist einer der umstrittensten Kirchenmänner Deutschlands.
    Der Kölner Erzbischof Rainer Maria Kardinal Woelki ist einer der umstrittensten Kirchenmänner Deutschlands. Foto: Andreas Arnold, dpa

    Hat der Kölner Kardinal Rainer Maria Woelki etwas zu verbergen? Will er hochrangige katholische Geistliche schützen? Es sind Fragen, die seit Monaten Deutschland bewegen.

    Nun ist der Skandal um das von Woelki bei der Münchner Kanzlei Westpfahl Spilker Wastl in Auftrag gegebene und unter Verschluss gehaltene Gutachten über den Umgang seines Erzbistums mit Missbrauchsfällen um ein weiteres Kapitel reicher: Bislang äußerte sich die scharf kritisierte Kanzlei in zwei Pressemitteilungen nur knapp zu den Vorwürfen, die ihr unter anderem von Woelki und in einem "Gegen-Gutachten" gemacht wurden.

    Ihre dritte Pressemitteilung, die sie an diesem Freitag veröffentlichte, hat fünf Seiten – und sie hat es in sich.

    Missbrauchsgutachten: Kanzlei Westpfahl Spilker Wastl hält eine Veröffentlichung für "zwingend geboten"

    Die Kanzlei macht darin klar, dass sie ihr Gutachten – trotz einer Verschwiegenheitsverpflichtung seitens des Erzbistums – "jederzeit" selbst veröffentlichen könne. Es sei ihr "dringender Wunsch", dass das Gutachten "zeitnah und vollständig veröffentlicht wird". Diese Veröffentlichung könne auch ausschließlich über die Homepage der Kanzlei erfolgen, "so dass nach unserer Einschätzung für das Erzbistum Köln keinerlei Haftungsrisiken bestehen".

    Damit sind mögliche juristische Auseinandersetzungen aufgrund eventueller persönlichkeits- oder datenschutzrechtlicher Gründe gemeint. Der frühere Generalvikar und heutige Kölner Weihbischof Dominikus Schwaderlapp, dessen Nachfolger Stefan Heße – heute Erzbischof in Hamburg – sowie beider Vorgänger Norbert Feldhoff könnten gegen die Münchner Kanzlei vorgehen, wie es heißt.

    Dennoch: Mit der Erklärung der Kanzlei Westpfahl Spilker Wastl vom Freitag steigt der Druck auf Woelki immens.

    Der Kampf der Gutachter hat inzwischen eine umfängliche Vorgeschichte

    Der will am 18. März statt des Münchner Gutachtens eine "vollständige Neufassung der Untersuchung" zu den Missbrauchsfällen der vergangenen Jahrzehnte im Erzbistum Köln vorstellen. Der Kölner Strafrechtler Björn Gercke erstellt es in Woelkis Auftrag.

    Der Kampf der Gutachter hat inzwischen eine umfängliche Vorgeschichte – und ist vor allem ein Kampf um die Deutungshoheit. Die Münchner Kanzlei war dabei allerdings bisher in einer vergleichsweise schlechten Position: Sie war zur Verschwiegenheit verpflichtet und – so sehen es manche Beobachter – sollte gezielt diskreditiert werden.

    Kardinal Woelki hatte Westpfahl Spilker Wastl Ende 2018 mit einer umfassenden und unabhängigen Aufarbeitung beauftragt. Ausdrücklich sollten Namen von Verantwortlichen genannt werden – von Kirchenverantwortlichen, die Fälle sexuellen Missbrauchs vertuschten. Oder – angesichts der eigenen moralischen Ansprüche – versagten. Die Opfern keinen Glauben schenkten und Täter schützten.

    Doch dann die Kehrtwende: Woelki ließ erst Mitte März 2020 eine Pressekonferenz platzen, auf der das Gutachten vorgestellt werden sollte. Im vergangenen Oktober schließlich erklärte das Erzbistum Köln, die Münchner Kanzlei sei "wiederholt an ihrem Versprechen und am Anspruch der Betroffenen sowie des Erzbistums gescheitert, eine umfassende Aufarbeitung der Ereignisse und persönlichen Verantwortlichkeiten in Form eines rechtssicheren und belastbaren Gutachtens zu erreichen und einen zur Veröffentlichung geeigneten Bericht zu erstellen".

    Kardinal Rainer Maria Woelki will Veröffentlichung des Gutachtens verhindern

    Woelki bot schweres Geschütz auf. Er kündigte öffentlich die Zusammenarbeit mit Westpfahl Spilker Wastl auf, machte ein Gutachten über die vermeintliche Qualität das Münchner Gutachtens publik und ließ den Betroffenbeirat seines Erzbistums zu Wort kommen. In einer "gemeinsamen Erklärung" von Woelki mit diesem Gremium wurde dessen damaliger Sprecher wie folgt zitiert: Die Münchner Kanzlei habe "schlecht gearbeitet", Missbrauchsopfer könnten ihr "nicht mehr vertrauen". Mehr noch: "Wir haben dem Kardinal geraten, die Zusammenarbeit mit Westpfahl Spilker Wastl sofort zu beenden und Schadensersatz zu fordern."

    So etwas aus dem Mund eines Missbrauchsopfers wiegt schwer. Für die renommierte Kanzlei ging es auf einmal um ihren Ruf.

    Zumal in dem "Gegen-Gutachten", das das Erzbistum Köln bei einem Strafrechtsprofessor und einem emeritierten Kriminologen – Matthias Jahn und Franz Streng – in Auftrag gegeben hatte, von "durchgreifenden methodischen Mängeln" die Rede war. Das Münchner Gutachten sei "keine taugliche Grundlage" für die Benennung von Verantwortung auf Ebene der Entscheidungsträger des Erzbistums.

    Schnell stellte sich heraus: Der Betroffenbeirat hatte keine Einsicht in das Münchner Gutachten, Missbrauchsopfer fühlten sich von Woelki instrumentalisiert.

    Kardinal Woelki will das Missbrauchsgutachten der Münchner Kanzlei nicht veröffentlichen - eine Entscheidung, die ihm Rücktrittsforderungen einbrachte.
    Kardinal Woelki will das Missbrauchsgutachten der Münchner Kanzlei nicht veröffentlichen - eine Entscheidung, die ihm Rücktrittsforderungen einbrachte. Foto: Arne Dedert/dpa

    Solange das Münchner Gutachten nicht öffentlich ist, solange lassen sich die massiven Vorwürfe, die das Erzbistum Köln, dessen Anwälte und Gutachter dagegen via Pressemitteilungen oder Interviews vorbrachten, nicht entkräften. Vor diesem Hintergrund erklärt die Kanzlei Westpfahl Spilker Wastl nun: Die Veröffentlichung ihres Gutachtens sei "zwingend geboten" – nur "dann kann sich jeder Interessierte ein eigenes und objektives Bild über unsere Arbeitsweise, unsere tatsächlichen Feststellungen sowie insbesondere auch unsere Bewertungen und Empfehlungen machen".

    Und die Kanzlei geht zum Gegenangriff über: Das "Gegen-Gutachten" von Jahn/Streng sei "im Grundsatz fehlerhaft". Es stelle "den uns erteilten Auftrag selektiv und unvollständig dar"; Es lasse die "im Hinblick auf den Schutz der Opfer bestehenden besonderen Anforderungen an ein Gutachten im Bereich des sexuellen Missbrauchs unberücksichtigt"; Es offenbare "erhebliche Mängel mit Blickrichtung auf die Darstellung der kirchenrechtlichen Anforderungen". Die Liste ist lang. Zu ihr gehört auch der Vorwurf, das Jahn/Streng-Gutachten verwende verkürzte Zitate aus dem Münchner Gutachten.

    Das Erzbistum Köln wird ebenfalls kritisiert: "Weder die Verantwortlichen des Erzbistums Köln noch die Verfasser bzw. Unterzeichner des Jahn-Gutachtens haben uns vor dessen Veröffentlichung sowie in der Folgezeit im Rahmen entsprechender Veranstaltungen die Möglichkeit gegeben, die zahlreichen tatsächlichen und methodischen Fehler des Jahn-Gutachtens darzulegen", erklärt die Münchner Kanzlei.

    Es ist ein Kampf der Gutachter - und ein Kampf um die Deutungshoheit

    Kern des Streits sind die Bewertungen und Empfehlungen von Westpfahl Spilker Wastl, die sich in dem unter Verschluss gehaltenen Missbrauchsgutachten an die Darstellung von Fallbeispielen anschließen. Einen Eindruck von den Bewertungen kann man – ausgerechnet – aus der Lektüre des "Gegen-Gutachtens" gewinnen, das entsprechende Stellen zitiert.

    Sie lassen tief blicken. So heißt es über einen Kirchenmann, dessen Verhalten sei auf "einen ausgeprägten und seine Haltung dominierenden Willen zum Täterschutz, der für berechtigte Opferinteressen keinen Raum lässt", zurückzuführen. In anderen Passagen ist von einer "Ignoranz gegenüber der Opferperspektive" sowie von Verhaltensweisen wie in "totalitären Herrschaftssystemen" die Rede.

    Während die Münchner Kanzlei betont, ihr Auftrag sei es gewesen, derartige Bewertungen vornehmen zu dürfen, ja zu sollen, argumentieren Jahn und Streng (und mit ihnen Kardinal Woelki): Ein Gutachten, das Verantwortliche benenne, sei nur gerichtsfest, wenn es auf kirchen- oder strafrechtliche Relevanz abstelle. Was die Frage nach der (moralischen) Schuld hochrangiger katholischer Amts- und Würdenträger erheblich verengen würde. Schließlich ist – oder war – Versagen im Umgang mit Missbrauchsfällen im Kirchenrecht häufig gar nicht ahndbar. Strafrechtlich gesehen, ist das Meiste bereits verjährt.

    Für das Bistum Aachen übrigens hat die Münchner Kanzlei ein vergleichbares Gutachten erstellt – und Mitte November öffentlich präsentiert. In Anwesenheit des Aachener Bischofs. Von rechtlichen Scharmützeln hat man seitdem nichts gehört.

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