Herr Bauer, Sie haben gerade mit den beiden Bischöfen gesprochen, die im Erzbistum Köln eine Apostolische Visitation durchführen. Anders Arborelius aus Stockholm und Johannes van den Hende aus Rotterdam sollen unter anderem den Umgang von Kardinal Rainer Maria Woelki mit Missbrauchsfällen untersuchen. Wie ist ihr erster Eindruck von dem Gespräch?
Patrick Bauer: Wir waren zu viert bei ihnen im Maternushaus in Köln, in einem Tagungsraum. Wir saßen im Kreis und durcheinander. Wir saßen also den Visitatoren nicht gegenüber. Sie können beide sehr gut Deutsch, und ich hatte jederzeit das Gefühl, dass sie verstehen, was wir sagen. Ich muss wirklich sagen: Sie waren wahnsinnig empathisch und uns zugewandt.
Sie hatten um 9 Uhr einen Gesprächstermin, für eine Stunde.
Bauer: Dabei ist es nicht geblieben, es wurden eineinhalb Stunden. Außer mir hat aber keiner auf die Uhr geguckt.
Konnten Sie alles sagen, was Sie sich vorgenommen hatten?
Bauer: Ja. Wir hatten uns vorher auch abgesprochen. Ich hätte mit ihnen noch vier Stunden sprechen können und ihnen noch viel mehr erzählen können.
Was haben Sie ihnen denn erzählt?
Bauer: Mir war wichtig, ihnen den Umgang mit uns Betroffenen bei der Veröffentlichung oder eben Nicht-Veröffentlichung des ersten Missbrauchsgutachtens zu schildern.
Woelki hatte es bei der Münchner Kanzlei Westpfahl Spilker Wastl in Auftrag gegeben, wollte es dann aber wegen angeblicher Mängel nicht veröffentlichen – in enger Abstimmung mit dem Betroffenenbeirat seines Erzbistums, wie es damals in einer „gemeinsamen Erklärung“ hieß.
Bauer: So war es aber nicht. Ich fühlte mich damals instrumentalisiert und benutzt. Dadurch ist ein Riesenstück Vertrauen verloren gegangen. Wir vier, die jetzt mit den Visitatoren gesprochen haben, sind ja deshalb aus dem Betroffenenbeirat ausgetreten. Und dann sagte ich den beiden Bischöfen auch noch, dass ich es furchtbar enttäuschend von allen beteiligten Bischöfen – neben Woelki etwa Stefan Heße aus Hamburg – finde, dass sie nicht in der Lage sind, ohne ein Gutachten ihre Fehler einzugestehen. Das Erzbistum Köln und Kardinal Woelki reden immer nur über juristische Beurteilungen und Gerichtsfestigkeit, aber nicht über Moral und Ethik.
Haben Sie den Visitatoren erzählt, was Ihnen einst angetan wurde?
Bauer: Ich habe nur den Ort genannt, wann und wo ich missbraucht wurde. Das spielte in diesem Fall aber keine Rolle. Es ging darum: Wie ist Erzbischof Woelki mit uns und mit der Aufarbeitung von Missbrauch umgegangen.
Kamen Nachfragen von Arborelius und van den Hende?
Bauer: Nein, sie haben einfach nur zugehört. Sie sagten immer wieder: „Bitte schildern Sie uns, was Sie uns schildern möchten.“ Es war ein Notar aus den Niederlanden dabei, der auch gut Deutsch sprach. Er protokollierte mit. Wir bekommen das Protokoll leider nicht. Aber jeder von uns sagte am Ende, was ihm wichtig ist, dass es ins Protokoll kommt. Ich habe sehr genau darauf geachtet, was er mitgeschrieben hat, sodass ich mir sicher sein kann, dass er protokolliert hat, was mir wichtig ist. Ob er im Protokoll wörtlich zitiert oder paraphrasiert, weiß ich nicht.
Waren Sie vier die ersten, mit denen die Visitatoren sprachen?
Bauer: Ja, und ich war davon völlig überrascht. Das hat uns gefreut. Ich war so frech, ihnen zu sagen, dass ich das aber auch angemessen finde. Sie erklärten, sie hätten auf jeden Fall mit Betroffenen reden wollen, auch mit Betroffenen, die nicht-institutionalisiert sind. Wir hatten ihnen im Vorfeld direkt geschrieben, dass wir mit ihnen reden möchten. Das haben sie offensichtlich wahrgenommen.
Verstehen Sie es als Signal, dass Sie vier – als Betroffene und Woelki-Kritiker – als erste mit den Visitatoren sprachen?
Bauer: Das weiß ich nicht. Die beiden sammeln Informationen, aber bewerten nicht, glaube ich. Am Ende entscheidet der Papst.
Wie sollte er entscheiden?
Bauer: Wichtig ist, dass es eine drastische Veränderung gibt bei der Aufklärung und Aufarbeitung von Missbrauchsfällen und im Umgang mit uns Betroffenen. Es braucht eine staatlich eingesetzte Aufarbeitungskommission ähnlich wie in den Niederlanden. Deswegen ist es gut, dass van den Hende hier ist. Er hat genickt und gelächelt, als wir darauf zu sprechen kamen. Und im Erzbistum Köln muss es ein Umdenken geben. Wenn es dem Papst gelingt, Woelki dazu zu bewegen sich zu verändern, soll’s mir recht sein. Dann arbeite ich auch wieder mit ihm zusammen. Wenn der Papst aber sagt, Kardinal Woelki hat seiner Meinung nach alles richtig gemacht und es gebe keinen Änderungsbedarf, dann ist für mich jegliche Zusammenarbeit mit dem Erzbistum Köln als Betroffener beendet.
Auch mit der Deutschen Bischofskonferenz, in deren Betroffenenbeirat Sie Mitglied sind?
Bauer: Nein, dort fühle ich mich gut aufgehoben, da passiert viel, da haben wir mehr Möglichkeiten.
Haben Sie das Gefühl, dass Woelki verstanden hat, um was es Ihnen geht?
Bauer: Nein, und das nicht erst seit kurzem. Er versteht nicht, worum es uns Betroffenen geht. Es geht ihm immer nur um sein Denken, um sein Empfinden und um das, wie er glaubt, wie es gut ist.
Wie offen waren Sie im Gespräch mit den Visitatoren?
Bauer: Ich habe nicht an mich gehalten, einmal bin ich richtig wütend geworden. Ich glaube, ich habe gesagt: "Es kotzt mich an!" Das einzige, das ich mir verkniffen habe zu sagen, war: Ich wünschte mir, dass endlich mal ein deutscher Bischof den Arsch in der Hose hat und von sich aus eigene Fehler eingesteht. Statt „Arsch in der Hose“ habe ich „Mut“ gesagt. Ich hab frei Schnauze geredet und den Visitatoren gesagt, was mir wichtig ist.
Was ist Ihnen wichtig, jetzt, in der aktuellen Situation?
Bauer: Erstens sagte ich ihnen: Gebt an den Papst weiter, dass wir in Deutschland staatliche Hilfe bei der Aufarbeitung brauchen. Die Kirche kann es nicht, die Kirche darf es nicht. Die deutschen Bischöfe sind nicht in der Lage, die Aufarbeitung selbst zu leisten, das Erzbistum Köln auch nicht. Zweitens: Nehmt uns Betroffene endlich, endlich ernst! Hört uns wirklich zu! Entscheidet mit uns und nicht über uns! Und drittens: Hört auf, alles nur juristisch zu bewerten, wie das in Köln geschieht. Kardinal Woelki muss endlich sein Handeln auch moralisch begründen.
Sie sagten in den vergangenen Monaten mal, dass Sie schlecht schlafen.
Bauer: Ich habe vor allem die letzten zwei Nächte grottenschlecht geschlafen. Ich hoffe, dass ich diese Nacht besser schlafen kann. Ich fühle mich auf jeden Fall jetzt wesentlich leichter.
Zur Person
- Patrick Bauer war einer der Sprecher des 2018 von Kardinal Woelki eingerichteten Betroffenenbeirats. Das Erzbistum Köln war eines der ersten Bistümer Deutschlands mit einem derartigen Gremium. Woelki sagte damals: „Es geht um einen echten Wechsel in unserer Haltung und um eine Begegnung mit den Betroffenen auf Augenhöhe.“ Bauer wirkte bereits an der Konzeption des Beirats mit.
- Er verließ ihn – und mit ihm weitere Mitglieder – dann im November 2020 aus Verärgerung über den Umgang Woelkis und dessen Generalvikars Markus Hofmann mit einem unabhängigen Gutachten, das die Kölner Bistumsspitze bei der Münchner Kanzlei Westpfahl Spilker Wastl in Auftrag gegeben hatte. In einer „gemeinsamen Erklärung“ hatten Erzbistum und Betroffenenbeirat im Oktober 2020 mitgeteilt, das Gutachten wegen methodischer Mängel und äußerungsrechtlicher Bedenken nicht zu veröffentlichen und ein neues, das sogenannte Gercke-Gutachten erstellen zu lassen. Der Betroffenenbeirat stehe hinter dieser Entscheidung, die „nach gemeinsamer intensiver Beratung getroffen wurde“, hieß es damals.
- Bauer sagte später, die anwesenden Mitglieder des Betroffenenbeirats seien zuvor in der entscheidenden Sitzung von Juristen „völlig überrannt“ worden. „Wir wurden unvorbereitet mit Entscheidungen konfrontiert und vorgeführt.“ Die Entscheidung gegen das Gutachten der Münchner Kanzlei sei da längst gefallen gewesen.
- Patrick Bauer ist inzwischen Mitglied im Betroffenenbeirat der Deutschen Bischofskonferenz. Er arbeitet für das Erzbistum Köln als katholischer Gefängnisseelsorger in der Justizvollzugsanstalt Siegburg. Der heute 51-Jährige wurde Anfang der 80er Jahre als Internatsschüler am Bonner Aloisiuskolleg von einem Jesuitenpater sexuell missbraucht.
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