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Katholische Kirche: Kirchenrechtler über Kardinal Marx: Ein "Bündel an Pflichtverletzungen"

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Kirchenrechtler über Kardinal Marx: Ein "Bündel an Pflichtverletzungen"

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    Kardinal Reinhard Marx hat eine Untersuchung seines eigenen Verhaltens angeregt.
    Kardinal Reinhard Marx hat eine Untersuchung seines eigenen Verhaltens angeregt. Foto: Andreas Arnold, dpa (Archiv)

    Für Missbrauchsopfer bedeutet es einen Fortschritt; für Kardinal Reinhard Marx aber könnte es zum Rücktritt führen: Der Münchner Erzbischof sprach sich kürzlich für eine „genauere Untersuchung“ seines Umgangs mit einem Pfarrer aus, der Minderjährige sexuell missbraucht haben soll. Marx, so warfen es ihm zwei Kirchenrechtler in der "Zeit"-Beilage "Christ&Welt" vor, habe sich eindeutiger Pflichtverletzungen schuldig gemacht.

    Dem Münsteraner Kirchenrechtsprofessor Thomas Schüller zufolge ist er seiner Aufklärungs-, Melde-, Informations- und Verhinderungspflicht nicht nachgekommen. Im Gespräch mit unserer Redaktion nennt Schüller es „ein ganzes Bündel an gravierenden Amtspflichtverletzungen“.

    Wegen nur eines Verstoßes gegen die Aufklärungspflicht in einem Missbrauchsfall wurde der Kölner Weihbischof Ansgar Puff im März auf eigenen Wunsch vorläufig beurlaubt. Zuvor hatten wegen mehrerer im „Gercke-Gutachten“ für das Erzbistum Köln festgestellter Pflichtverletzungen Weihbischof Dominikus Schwaderlapp sowie Stefan Heße, zuletzt Hamburger Erzbischof, dem Papst ihren Amtsverzicht angeboten. Die Frage, die sich zwangsläufig stellt: Muss es ihnen Kardinal Marx nun gleichtun?

    Es sind die Schatten seiner Trierer Bischofszeit ab 2002, die ihn einholen. Und nicht allein ihn. Mit dem Fall von Pfarrer M. aus dem Saarland waren zwei weitere hochrangige Kirchenmänner befasst: Neben Marx, der bis 2020 Vorsitzender der Deutschen Bischofskonferenz (DBK) war, der heutige Limburger Bischof Georg Bätzing, das ist der aktuelle DBK-Vorsitzende – sowie der Trierer Bischof Stephan Ackermann, Missbrauchsbeauftragter der DBK.

    Kardinal Marx soll trotz Missbrauchshinweisen nicht gehandelt haben

    Marx wird vorgeworfen, nicht gehandelt zu haben, nachdem er 2006 starke Hinweise darauf bekommen habe, dass M. ein Missbrauchstäter sein könnte. Der Geistliche, so "Christ&Welt", blieb daraufhin jahrelang unbehelligt, hatte Kontakt zu Kindern und Jugendlichen, fuhr mit ihnen in Urlaub – und wurde mehrfach angezeigt. Marx räumte Fehler ein: „Mein Verhalten damals bedauere ich sehr.“ Auch Unwissenheit bei falschem Handeln beziehungsweise Unterlassen verhindere nicht, dass Verantwortung und auch Schuld vorliegen und übernommen werden müssten.

    Marx verzichtete bereits auf das Bundesverdienstkreuz, das er am vergangenen Freitag hätte erhalten sollen. Eine Entscheidung, die ihm selbst unter Missbrauchsopfern Respekt einbrachte – wie die Gründung einer Stiftung, die Betroffenen helfen soll. In diese hatte Marx „den allergrößten Teil“ seines Privatvermögens – 500.000 Euro – gegeben, wie er im Dezember sagte. Die Kirche und er persönlich hätten lange gebraucht zu verstehen, dass das System Kirche als Ganzes schuldig geworden sei. In der Tat deutet manches darauf hin, dass Marx einen Lernprozess durchlaufen hat.

    Ein Rücktritt war für Kardinal Marx keine Option

    Zu Beginn des Missbrauchsskandals in Deutschland, 2010, hatte er sich hinsichtlich der Fälle in der oberbayerischen Benediktinerabtei Ettal zwar als kompromissloser Aufklärer präsentiert. Das jedoch, so damals die hinter vorgehaltener Hand geäußerte Kritik aus Kirchenkreisen, auf Kosten des Klosters und zu seiner eigenen Profilierung.

    Noch heute wirft ihm Kriminologe Christian Pfeiffer vor, der „Hauptschuldige“ dafür zu sein, dass beim kirchlichen Umgang mit Missbrauchsfällen keine Transparenz herrsche. Dabei kann man Marx inzwischen Aufklärungswillen auch in eigener Sache nicht mehr absprechen. Verantwortungsübernahme in Form eines Rücktritts war für ihn dabei zumindest in der Vergangenheit ein fern liegender Gedanke.

    Was ebenso für den DBK-Vorsitzenden Bätzing gilt, der erst Ende Februar sagte, mit seinem Rücktritt sei „niemandem geholfen“. Das allerdings war wenige Wochen vor Veröffentlichung des Gercke-Gutachtens, das hochrangige Kölner Kleriker schwer belastete – nicht aber Kardinal Rainer Maria Woelki, was höchst umstritten ist.

    Gercke-Gutachten: Mehrere Bischöfe müssten abtreten

    Das Gercke-Gutachen als rein juristisches Gutachten wurde vielfach kritisiert. Dennoch könnte es in einem Punkt stilbildend werden: Der Kölner Strafrechtler Gercke hatte „Pflichtenkreise“ herausgearbeitet, an denen sich das Verhalten kirchlicher Verantwortungsträger einheitlich bewerten ließe. Dies zugrundegelegt, müssten eigentlich mehrere Bischöfe ihren Amtsverzicht anbieten.

    Kirchenrechtler Schüller verweist im Fall Marx auf die angekündigte unabhängige Untersuchung, deren Ergebnis es abzuwarten gelte. Sollten sich die Verdachtsmomente bestätigen, sagt er, „wäre wohl ein Moment gekommen, wo der Kardinal selbst erkennen dürfte, dass er dem Papst seinen Rücktritt anbieten sollte“. Die Maßstäbe für einen Rücktritt seien unter anderem durch die päpstliche Gesetzgebung aus den Jahren 2001, 2010 und 2019 klar rechtlich hinterlegt. Ob der Papst ein Rücktrittsgesuch annimmt, ist eine andere Frage. Wie die, ob er einen mächtigen Kardinal wie Marx – einer seiner engsten Berater – fallen lassen möchte.

    Der katholischen Kirche und Kardinal Marx steht die nächste Erschütterung bevor

    Die nächste Erschütterung für Marx und die katholische Kirche steht derweil bereits bevor. Vermutlich im Spätsommer will er ein von ihm in Auftrag gegebenes unabhängiges Gutachten der Münchner Kanzlei Westpfahl Spilker Wastl vorstellen. Es ist die Kanzlei, deren Gutachten für das Erzbistum Köln lange unter Verschluss gehalten wurde und dann kurzzeitig zur Einsichtnahme auslag. Woelki hatte es massiv kritisiert und Gercke mit einem zweiten Gutachten beauftragt.

    Die Münchner Anwälte untersuchen für das Erzbistum München und Freising Fälle von 1945 bis 2019 – Marx wurde 2008 dort in sein Amt eingeführt. Schüller erwartet „einen ungeschönten rechtlichen Blick“ auf das Verhalten der Münchner Erzbischöfe inklusive Marx „auf der Folie des kirchlichen Selbstverständnisses, das mehr ist als der Katechismus“. Dabei dürfe weder die kurze, aber wichtige Amtszeit von Joseph Ratzinger – dem späteren Papst Benedikt XVI. – noch die lange Amtszeit von Friedrich Wetter, die beide ja noch lebten, ausgespart werden.

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