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Karneval in Köln: Alles op der Kopp: Wie die Kölner ein Jahr ohne Karneval verkraften

Karneval in Köln

Alles op der Kopp: Wie die Kölner ein Jahr ohne Karneval verkraften

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    Der „Zoch“ am Rosenmontag ist die Sensation des Jahres in Köln.
    Der „Zoch“ am Rosenmontag ist die Sensation des Jahres in Köln. Foto: Maja Hitij, dpa (Archiv)

    Keine Woche mehr bis Rosenmontag. Normalerweise würden jetzt im altehrwürdigen Gürzenich, der guten Stube Kölns, die Karnevalssitzungen in Doppelschichten gefahren. In den Festzelten am Stadtrand ginge auf Kinderkostümpartys die Post ab. In den Brauhäusern würde geschunkelt, gesungen und „gebützt“, wie die Kölner zum Küssen sagen. Freunde und Fremde, Arm in Arm, manchmal hautnah. Und tausende Schüler würden letzte Hand an die Kostüme legen für ihren „Zoch“. Mehr als 80 Stadtteil-Umzüge gibt es in Köln. Zum alles überragenden Rosenmontagszug kommen in normalen Jahren etwa 1,5 Millionen Besucher. Doch im Lockdown ist nichts wie sonst.

    Die komplette Veranstaltungs- und Gastronomiebranche ist trockengelegt, hängt am Tropf der Novemberhilfen, die nicht überall ankommen. Nicht alle werden die Pandemie überleben. Die großen Hallen, aber auch Pfarrsäle und Eckkneipen – alle sind verwaist. Die Proklamation des Kölner Dreigestirns mit Prinz, Jungfrau und Bauer, sonst das gesellschaftliche Ereignis des Jahres, verkümmerte zu einer – wenn auch gut gemachten – Fernsehproduktion ohne Publikum. Der Kölner Stadt-Anzeiger schrieb von der „Proklamation als Geistersitzung“. Die Tollitäten, die sonst mehr als 400 Auftritte mit großer Entourage und eigenem Hoffriseur absolvieren, haben ihre Aktivitäten weitgehend reduziert auf Video–streams aus einem improvisierten Studio in einem Hotel, der „Hofburg“.

    Jecken auf dem Heumarkt? Nicht dieses Jahr.
    Jecken auf dem Heumarkt? Nicht dieses Jahr. Foto: Rolf Vennenbernd, dpa

    Karneval virtuell, allein die Vorstellung macht den rheinischen Jecken sentimental. Der neue Trend, Bilder aus den Vorjahren in sozialen Medien zu teilen, statt an Sitzungen teilzunehmen, zieht ihn noch weiter herunter. Die Aussichten auf einen Straßenkarneval, der nicht stattfindet, gibt ihm dann den Rest.

    Karneval ist gerade im Rheinland ein Wirtschaftsfaktor

    Der Karneval ist im Rheinland aber längst nicht nur Gefühl – er ist auch ein entscheidender Wirtschaftsfaktor. Eine Studie der Boston Consulting Group kam 2019 zu dem Ergebnis, dass in der Region etwa 6500 Jobs am Karneval hängen. Pro Session wurden zuletzt etwa 600 Millionen Euro umgesetzt, Tendenz seit Jahren steigend. Der pandemiebedingte Ausfall trifft nun die verschiedensten Branchen: Bäckereien mit ihren Teilchen und Metzger mit ihren Mettwürsten; Textilhändler und Schneidereien; Hotels, Taxi-Unternehmen, Bierbrauer, Wagenbauer – fängt man einmal an, die betroffenen Branchen aufzulisten, kommt man aus dem Zählen gar nicht mehr heraus.

    „Bei hunderten Sitzungen sowie dem Straßenkarneval kam da bislang einiges zusammen“, sagt Garrelt Duin, Geschäftsführer der Kölner Handwerkskammer, über die im Verband organisierten Unternehmen. „Für diese Betriebe fällt der Umsatz, der durch den Karneval erwirtschaftet werden konnte, derzeit auf Null.“ Gebeutelt sind auch Handwerksbetriebe, die sich in normalen Zeiten um Bühnen und Tribünen gekümmert hätten: Tischler, Elektriker, Gerüstbauer. „So wird der Wegfall des Straßen- und Sitzungskarnevals im gesamten Ballungsraum rund um Köln, Bonn und Leverkusen tiefe Spuren auch in vielen Bereichen des Handwerks hinterlassen“, sagt Duin.

    Kein Fasching: Prinz Karneval ist wehmütig

    „Wehmütig“ sei er, sagt Thomas Brauckmann, „sehr wehmütig“. Der Bauunternehmer, Prinz Karneval im Dreigestirn 1997 mit seinem Bruder und seinem damaligen Schwager, Präsident der Narrenzunft, Dauergast mit der kompletten Familie bei der Prinzenproklamation, ist ein feierfreudiger Vollblutkarnevalist – und jetzt ein Karnevalsflüchtling. Seit Weihnachten hat er sich mit seiner Frau nach Mallorca zurückgezogen, liest keine Zeitung, nichts. „Was soll ich in Köln?“, fragt er sich, im Homeoffice könne er auch auf der Insel arbeiten. „Der Abstand macht es leichter“, sagt Brauckmann, der es dann aber doch nicht so ganz lassen kann. Am Korpsappell der Prinzen-Garde hat er per Stream teilgenommen.

    „Gar nichts machen ist auch keine Option“, findet Ingo Hundhausen, Präsident der KG Närrischer Laurentius aus dem Stadtteil Porz-Ensen. Um seinen Laden zusammenzuhalten, wie er es ausdrückt, sucht der Schreiner trotz der „vollkommen richtigen Corona-Schutzmaßnahmen“ den Kontakt zu seinen Mitgliedern. Sie können sich ihren Sessionsorden bei zwei Vorständen auf dem Wochenmarkt abholen. Und statt der jährlichen Sitzung im Bürgerzentrum Engelshof hat Hundhausen für diesen Karnevalsfreitag einen Live-Stream von ebendort aufgesetzt: mit den Büttenrednern Martin Schopps und Jörg Runge, dem Porzer Dreigestirn und Musik von Norbert Conrads.

    „Das wird ruhiger, traditioneller“, sagt Hundhausen, „aber die Leute saugen das auf wie ein Schwamm.“ Er rechnet mit 250 Menschen, die sich den Stream angucken. Sie sollen aktiv einbezogen werden: Es gibt einen Kostümwettbewerb, Fotos aus den Wohnzimmern können eingespielt werden. Und „das Ungesunde, was man sich sonst im Saal so gönnt“, liefert ein Caterer frei Haus. Nur im Straßenkarneval wird wohl nichts passieren. „Das werden normale Werktage. Ich gehe zum ersten Mal in meinem Leben Rosenmontag arbeiten“, sagt Hundhausen.

    Der Kölner Gastronomie droht der größte Schaden

    So dürfte der größte Verlust der Kölner Gastronomie drohen: Laut Boston-Consulting-Studie entfallen auf sie rund 257 der 600 Karnevalsmillionen. Allein innerhalb der fünf tollen Tage von Weiberfastnacht bis Rosenmontag mache manches Altstadtlokal bis zu einem Drittel seines Jahresumsatzes. Im Karnevalsmonat werden allein in Köln rund 50 Millionen Gläser Kölsch getrunken. Bei der Brauerei Gaffel liegt der Absatz dann nach eigenen Angaben rund 80 Prozent höher als in anderen Monaten.

    50 Millionen Gläser Kölsch werden an Karneval allein in Köln getrunken.
    50 Millionen Gläser Kölsch werden an Karneval allein in Köln getrunken. Foto: Roland Weihrauch

    Nicht so dieses Jahr. Zuletzt riefen die Kölsch-Brauereien immer lauter um Hilfe: In einem offenen Brief an NRW-Ministerpräsident Armin Laschet beklagten sie bereits im November, dass die Corona-Hilfen nicht genug auf Brauereien zugeschnitten seien. Man habe sich in der Pandemie dazu entschieden, die knapp 100 Mitarbeiter nicht fallenzulassen, so die Brauerei Päffgen – und dafür einen mittleren sechsstelligen Betrag aufgewendet. Aufgrund der Betriebsgröße sei man bei den Soforthilfen aber nicht berücksichtigt worden. „Die November- und Dezemberhilfe ist schon lange beantragt worden. Bis heute haben wir weder Rückmeldung noch Abschlagshaltung erhalten.“ Die Bürokratie mache das Unternehmen trotz seiner guten Ausgangslage „langsam nervös. Und hilflos. Und wütend“.

    Musiker Walter Oepen will trotzdem in Köln auf die Straße

    Walter Oepen, früher Puppenspieler am legendären Kölner Hänneschen-Theater, ist Rentner, macht Musik und schreibt kölsche Kolumnen. Er betont, dass er alle Corona-Schutzmaßnahmen befolgen wolle. Aber es könne doch eigentlich nichts dagegen sprechen, alleine „op d’r Stroß met der Quetsch vürm Buch“ herumzuziehen, also mit der Ziehharmonika Straßenmusik zu machen, natürlich mit einem „karnevalistischen Schnüsslappe vür d’r Nas“, auf hochdeutsch: mit Mund-Nase-Bedeckung. Oepen will sehen, ob das behördlich akzeptiert wird und an Weiberfastnacht einen Versuch wagen.

    Musik macht auch Eva Maria Pätzold. Die Grundschullehrerin, die seit Jahren die Sambatruppe der Albert-Schweitzer-Grundschule im Stadtteil Weiß leitet, ist derzeit allerdings auch auf das Virtuelle angewiesen. Beim Singen ginge das noch, beim Trommeln nicht mehr. Gerade die Kinder müssten auf vieles verzichten. „Dabei geben Rituale Halt in dieser Zeit“, sagt sie. Auch damit die Ängste nicht zu viel Raum und Gewicht bekommen, schickt sie den Schülern Videos zum Üben, um dann in Videokonferenzen gemeinsam weiter zu proben. Leopold Enderer, Bauer im Kölner Kinderdreigestirn, ist in Pätzolds Klasse. Sie ist mit ihm traurig darüber, was er alles in „seiner“ Session verpassen wird.

    Eva Maria Pätzold leitet die Sambatruppe ihrer Grundschule.
    Eva Maria Pätzold leitet die Sambatruppe ihrer Grundschule. Foto: Stefan Worring
    Eva Maria Pätzold leitet die Sambatruppe ihrer Grundschule.
    Eva Maria Pätzold leitet die Sambatruppe ihrer Grundschule. Foto: Stefan Worring

    Dann ist da noch die im Rheinland, die zuletzt pro Session 110 Millionen Euro Umsatz machte. Auch mit Orden und Schals (sieben Millionen) werden in der fünften Jahreszeit normalerweise erkleckliche Beträge erwirtschaftet. „Wir gehen derzeit vom Worst-Case-Szenario aus: Das besagt, dass wir bis zum Ende unseres Wirtschaftsjahres nach Karneval 80 Prozent Umsatzverlust haben werden“, sagte Deiters-Chef Herbert Geiss kürzlich. Der Kostüm-Shop Deiters betreibt bundesweit 31 Filialen, in denen zu Spitzenzeiten an Karneval bis zu 700 Menschen arbeiten.

    Einzig von der Kölner Bäcker-Innung hört man optimistischere Töne. „Den Umsatzrückgang beim typischen Karnevalsgebäck werden wir nicht so stark spüren“, sagt Geschäftsführerin Alexandra Dienst. Zum Start der Karnevalssession am 11. November hätten viele Betriebe ihr Angebot an Berlinern, sprich Krapfen, und Co. deutlich zurückgefahren, seien dann aber schon mittags leer gekauft gewesen und von wütenden Kunden belehrt worden: Die Pandemie bedeute ja nicht, dass man auf das traditionelle Karnevalsgebäck verzichten müsse. „Ich glaube, viele Menschen sitzen zu zweit vor dem Fernseher, essen Berliner und trinken ihr Kölsch“, sagt Dienst. „Unsere Betriebe werden also entsprechend backen.“

    Für die Bütt den Job an den Nagel gehängt

    Redner Martin Schopps hätte in einer normalen Session etwa 200 Auftritte absolviert. Jetzt, sagt der Lehrer, der für die Bütt seinen Job an den Nagel gehängt hat, sarkastisch, „war bei der Prinzenproklamation schon Bergfest“. Ein paar Auftritte in Autokinos sollen noch dazukommen. Bleibt zu hoffen, dass das Wetter gut wird, denn nur im offenen Cabrio kann von der stattlichen Uniform der Teilnehmer etwas zu sehen sein. Für Schopps sind Auftritte vor Autos oder nur für die Kamera „ein aufregendes Feld“. Zumal sie durchaus gefragt sind: Die Autokinos sind ausverkauft, und das Portal „Jeckstream.de“ vermarktet seine Sitzungspakete erfolgreich. Allein mehr als 50 Vereine haben ein eigenes Format gebucht.

    Marco Spyker, Flötist und während der Session der Spielmannszug der Roten Funken, geht der Austausch schon ab. Das älteste Kölner Traditionskorps feiert in zwei Jahren den 200. Jahrestag seiner Gründung. „Das Vereinsleben liegt brach, der Spirit fehlt, das Musizieren mit den Freunden,“ sagt Spyker. Keine Proben, keine Auftritte, kein „Zoch“ – keine Motivation.

    Das Kölner Dreigestirn als Zeichen der Hoffnung

    Alles sollte man allerdings nicht aufgeben. Deshalb, sagt der Psychologe und Brauchtumsforscher Wolfgang Oelsner, sei es gut, dass es auch 2021 und gerade jetzt ein Kölner Dreigestirn gibt: „Wenn die Zeiten ungewiss sind, der Alltag wackelt, dann braucht es Zeichen der Beständigkeit.“ Um die Hoffnung lebendig zu halten, brauche es ein Gegenbild zur Resignation, und das Dreigestirn sei so ein Gegenbild. „Im Dreigestirn fixiert sich symbolhaft die Idee von Beständigkeit und damit die Hoffnung auf Zukunft.“ Karneval sei ein verrücktes Fest, erklärt Oelsner: „Es verrückt unseren starren Blick nur auf das Jetzt.“ Der Karneval bedeute viel mehr, als die – unbestreitbaren – Exzesse im Straßenkarneval es suggerierten.

    Minikarnevalswagen, Minihäuser und Minizuschauer: Architekt Holger Kirsch hatte die Idee für einen Ersatzumzug im Format 1:3.
    Minikarnevalswagen, Minihäuser und Minizuschauer: Architekt Holger Kirsch hatte die Idee für einen Ersatzumzug im Format 1:3. Foto: Rolf Vennenbernd, dpa

    Trotz aller Niedergeschlagenheit in der jecken Isolation gibt es auch Stimmen, die eine Chance in der Krise sehen. Sie hoffen, dass dem Karneval eine Entschleunigung guttut; eingefahrene Wege verlassen werden. Eine Idee für den Rosenmontagszug 2021 wird schon vor ihrer Umsetzung allseits gefeiert: Die Mottowagen, der Aufmarsch der Korps samt Musikkapellen – das alles wird mit dem Hänneschen-Theater als Mini-Zoch im Maßstab 1:3 in Szene gesetzt. Den Einfall hatte der ehrenamtliche Zugleiter Holger Kirsch, ein Architekt, beim Anblick eines Gebäudemodells. Eine sehr kölsche Lösung, der angesichts der Tatsache, dass in anderen Karnevalshochburgen gar nichts passiert, große mediale Aufmerksamkeit zuteilwerden dürfte.

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