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Julian Reichelt bei Bild weg - Johannes Boie als Nachfolger

Medien

Brisante Recherchen zu Machtmissbrauch bei "Bild": Reichelt weg

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    Ex-Bild-Chef Julian Reichelt: Die Vergangenheit holt ihn wieder ein.
    Ex-Bild-Chef Julian Reichelt: Die Vergangenheit holt ihn wieder ein. Foto: Jörg Carstensen, dpa

    In den vergangenen Wochen war ein Julian Reichelt zu erleben, wie ihn die Öffentlichkeit kennt: meinungsstark, präsent. Am Sonntag der Bundestagswahl echauffierte er sich zum Beispiel auf dem noch jungen Fernsehsender Bild TVüber die „Failed-State-Mogadischu-Hauptstadt-Berlin“, in der es ein Wahl-Chaos gab. Wer dachte, der Bild-Chefredakteur würde nach einem internen Compliance-Verfahren und seiner zeitweisen Freistellung gemäßigter im Ton auftreten, sah sich getäuscht.

    Der unter anderem wegen seines harten Führungsstils bekannte Reichelt hatte für seinen Umgang mit Kolleginnen und Kollegen, die er verletzt habe, um Entschuldigung gebeten und eine zweite Chance erhalten. Er nutzte sie offenbar nicht – und machte, wie es scheint, weiter wie zuvor. Am Montagabend erklärte die Axel Springer SE, man habe ihn „mit sofortiger Wirkung von seinen Aufgaben entbunden“.

    Es war Ende März, als das Medienunternehmen bekannt gab, an ihm festhalten zu wollen. Damals, so hieß es, war es vor allem um Vorwürfe des Machtmissbrauchs „im Zusammenhang mit einvernehmlichen Beziehungen zu Mitarbeiterinnen“ gegangen. Reichelt habe die Vermischung von beruflichen und privaten Beziehungen eingeräumt, rechtlichen Handlungsbedarf gebe es nicht, so Springer. Zur Leitung derBild-Chefredaktionen wurde ihm Alexandra Würzbach gleichberechtigt an die Seite gestellt. In die Gesamtbewertung seien auch die enormen strategischen und strukturellen Veränderungsprozesse und die journalistische Leistung unter der Führung von Julian Reichelt eingegangen.

    Ein Bericht der New York Times führt über die Medienbranche hinaus zu großem Aufsehen

    Nun hat – nicht nur – die Vergangenheit einen der bislang einflussreichsten Chefredakteure Deutschlands doch noch eingeholt – in Form eines Berichts der New York Times. Der sorgte über die Medienbranche hinaus für großes Aufsehen. Denn in ihm geht es auch um Mathias Döpfner, CEO der Axel Springer SE, und um Verleger Dirk Ippen (Münchner Merkur, Frankfurter Rundschau).

    Der stoppte demnach am Freitag die Veröffentlichung von Recherchen seines Journalisten-Teams „Ippen Investigativ“ über Reichelt und Bild. Dafür wurde er am Montag massiv kritisiert. So forderte der Deutsche Journalisten-Verband die Ippen-Gruppe und ihn „nachdrücklich auf, die Trennung von Redaktion und Verlag zu beachten“. Sogar die Redaktion seiner Frankfurter Rundschau kritisierte ihn in einer „Stellungnahme in eigener Sache“.

    In einem auf Freitag datierten Brief von Ippen Investigativ um den preisgekrönten Journalisten Daniel Drepper an Ippen und die Geschäftsführung heißt es, die für den Sonntag „geplante Berichterstattung über Machtmissbrauch gegen Frauen und weitere Missstände bei Axel Springer SE und insbesondere durch die Person Julian Reichelt“ sei redaktionell und juristisch über Monate abgestimmt gewesen. Die Entscheidung zur Nicht-Veröffentlichung sei eine „absolute Verletzung des Grundsatzes der Trennung von Redaktion und Verlag“ und bedeute einen „Vertrauensbruch“.

    Dirk Ippen erklärte im Branchendienst Meedia mit Blick auf die Konkurrenz seiner Münchner Boulevardzeitung tz mit der Bild, dass es für ihn „zu den ältesten Grundsätzen des Journalismus“ gehöre, „dass bei Berichten über Wettbewerber auch der Anschein vermieden werden muss, es könnten neben publizistischen auch wirtschaftliche Motive hinter einer Kritik am Wettbewerber stehen“.

    Auch ein Team investigativer Journalistinnen und Journalisten von Ippen recherchierte - doch ihr Bericht wurde vor der Veröffentlichung gestoppt

    Ausführlich äußerte sich am Montag gegenüber unserer Redaktion Johannes Lenz, PR & Brand Manager bei Ippen. Die Veröffentlichung zu stoppen, sei „keine leichte oder schnelle Entscheidung“ gewesen; es habe eine intensive Diskussion beider Seiten im Haus gegeben. „Am Ende ist es aber klar das Recht eines Verlegers, Richtlinien für seine Medien vorzugeben.“ Er betonte: „Eine Beeinflussung durch Springer gab es dabei nicht, wie Dr. Ippen selbst in einem nun öffentlichen Mailverkehr mit Jan Böhmermann (ZDF-Satiriker, die Red.) deutlich gemacht hat.“

    Julian Reichelt ist umstritten.
    Julian Reichelt ist umstritten. Foto: Bernd von Jutrczenka, dpa

    Auch habe es, so Lenz, keine persönlichen Versuche von Springer-Führungskräften gegeben, die Recherche zu unterbinden. Der Austausch mit Springer habe sich auf den in diesen Fällen üblichen Schriftwechsel der jeweiligen Anwälte beschränkt. Auf die Frage, wie es mit dem Investigativ-Team von Ippen weitergehe, antwortete er, man wolle „die Arbeit mit den hervorragenden Journalistinnen und Journalisten natürlich weiter fortsetzen“.

    Daniel Drepper sagte am Montag auf Anfrage, sein Team und er wollten sich vorerst nicht öffentlich äußern. Am 11. Oktober hatte er, zurück aus der Elternzeit, auf Twitter geschrieben, „diese Woche“ werde es im Twitter-Kanal von Ippen Investigativ „richtig spannend“. Keine zwei Wochen zuvor war er zum neuen Vorsitzenden des Vereins Netzwerk Recherche gewählt worden. Der Zusammenschluss namhafter Journalistinnen und Journalisten macht sich für die Recherche und die Pressefreiheit stark.

    Das sagt ein Springer-Sprecher zu einem angeblichen DDR-Vergleich des Springer-CEO Döpfner

    Ben Smith, Medienkolumnist der New York Times, hatte über die Bild geschrieben: Die Dokumente, die er gesehen habe, zeichneten ein Bild von einer Arbeitsplatzkultur, die „Sex, Journalismus und Firmengeld“ vermischt habe. Zudem erwähnte er eine Mail vom 1. März, in der Springer-CEO Döpfner angeblich dem Schriftsteller Benjamin von Stuckrad-Barre, Bezug nehmend auf einen Kommentar Reichelts zum Thema Corona-Maßnahmen, geschrieben haben soll: Man müsse bei der internen Untersuchung „besonders vorsichtig“ sein, weil Reichelt sei „wirklich der letzte und einzige Journalist in Deutschland, der sich noch mutig gegen den neuen DDR-Autoritätsstaat“ aufbäume. Dazu sagte ein Springer-Sprecher unserer Redaktion: „Wir kommentieren grundsätzlich keine vermeintlichen Inhalte aus privaten Unterhaltungen. Soviel jedoch: Diese Zitate sind außerhalb des Kontexts überhaupt nicht sinnvoll zu würdigen. Selbstverständlich hält Mathias Döpfner die Bundesrepublik Deutschland nicht für vergleichbar mit der DDR.“

    Dass sich ein US-Medium wie die New York Times so intensiv mit Springer und der bei Bild herrschenden Betriebskultur beschäftigt, hat damit zu tun, dass das deutsche Medienunternehmen das US-Nachrichtenunternehmen Politico kaufen möchte. Ende August hatte die zu Springer gehörende Tageszeitung Welt „in eigener Sache“ berichtet, man habe eine Vereinbarung zum Erwerb von Politico und der auf den Technologiesektor spezialisierten News-Website Protocol unterzeichnet. Im Rahmen dieser Transaktion werde Springer auch die ausstehenden 50 Prozent an dem aktuell als Joint-Venture geführten Unternehmen Politico Europe kaufen. Einem Reuters-Bericht zufolge soll Springer mehr als eine Milliarde Dollar dafür zahlen.

    Döpfner sagte erst vor wenigen Wochen, es sei immer Ehrgeiz seines Unternehmens gewesen, im Massenmarkt, im Mittelsegment und im ganz gehobenen Segment vertreten zu sein. Politico sei an der absoluten Spitze der Pyramide; es richte sich an hochgradig politisch Interessierte, extrem gebildete Zielgruppen, die bereit seien, für regelmäßige spezialisierte Informationen über das politische Geschehen einen hohen Preis zu bezahlen. Zudem sei es ein Abomodell und damit ein sehr stabiles Geschäft. Deutschland sei für Politico – das von seiner Reputation der Unabhängigkeit lebe – sicher auch ein Markt. Döpfner wies zugleich darauf hin, dass die Transaktion noch nicht von den Regulierungsbehörden bestätigt sei.

    Axel Springer reagiert: Boie folgt auf Reichelt

    Schlechte Presse ist vor diesem Hintergrund potenziell schlecht für den Ruf und fürs Geschäft. Denkbar daher auch, dass Druck in der Personalie Reichelt von der US-amerikanischen Beteiligungsgesellschaft KKR ausgegangen sein könnte, die Großaktionär der Axel Springer SE ist.

    Nach einer Erklärung vom Montagabend sah sich das Medienunternehmen, das eine Anfrage nach Reichelt den ganzen Tag über unbeantwortet ließ, schließlich dazu veranlasst zu handeln. Als Folge von Presserecherchen habe es „in den letzten Tagen neue Erkenntnisse über das aktuelle Verhalten von Julian Reichelt gewonnen“. Diesen sei man nachgegangen. Der Mitteilung zufolge habe Reichelt auch nach Abschluss des Compliance-Verfahrens im Frühjahr 2021 Privates und Berufliches nicht klar getrennt und dem Vorstand darüber die Unwahrheit gesagt. Döpfner wurde mit den Worten zitiert: Reichelt habe Bild journalistisch hervorragend entwickelt und mit Bild Live die Marke zukunftsfähig gemacht. „Wir hätten den mit der Redaktion und dem Verlag eingeschlagenen Weg der kulturellen Erneuerung bei Bild gemeinsam mit Julian Reichelt gerne fortgesetzt. Dies ist nun nicht mehr möglich.“ Die Entscheidung sei am Montag gefallen.

    Julian Reichelt, der 1980 in Hamburg geboren wurde, hatte sich schon nach dem Abitur bei der Bild zum Redakteur ausbilden lassen – und machte dort eine steile Karriere. Neuer Vorsitzender der dreiköpfigen Chefredaktion und Mitglied des Bild-Boards wird Johannes Boie. Der 37-Jährige ist derzeit Chefredakteur der Welt am Sonntag.

    Der stellvertretende Bild-Chefredakteur Paul Ronzheimer twitterte am späten Abend, Reichelt werde "immer einer der besten Journalisten bleiben! ... Danke, mein Freund!" Er hatte dem Magazin journalist kürzlich über Reichelt gesagt: "Julian ist für mich einer der besten Reporter, die Bild je gesehen hat – das wird in der Debatte über ihn gelegentlich vergessen." Im Internet, vor allem in rechtspopulistischen und verschwörungsideologischen Kreisen, hieß es dagegen, mit Reichelt werde ein prominenter Kritiker der Regierung und deren Corona-Maßnahmen kaltgestellt.

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