Es ist dieses Dum-didi-dum-didi-dum-didi-dum aus der famosen Titelmusik von Klaus Doldinger, die am Sonntagabend die Plauderrunde aus der Küche ins Wohnzimmer treibt zum vorbestellten Menü vom Chinesen.
Weil es Fernsehen ist, das live ausgestrahlt wird. Weil Kult, weil zusammensitzen, weil motzen, weil begeistert sein. Ein Erlebnis. Der „Tatort“ ist vor allem dank seiner Vielfalt von Ermittlertypen eine Marke, so wie manches Waschmittel oder Fast Food-Lokal.
+++ Handlung und Kritik: Das erwartet Sie beim 1000. Tatort +++
"Taxi nach Leipzig" verweist auf die erste Tatort-Folge mit dem Hamburger Kommissar Paul Trimmel
Freilich ist ein Jubiläum wie die Ausgabe Nummer 1000 für die ARD ein Fest. Und „Taxi nach Leipzig“ 2016 ist durchaus eine Werbung für das oft gescholtene öffentlich-rechtliche Fernsehen. Der Titel „Taxi nach Leipzig“ ist indes nur ein vordergründiger Verweis auf den gleichnamigen Erstling von 1970, in dem der Hamburger Kommissar Paul Trimmel (Walter Richter) in die „Zone“ geschickt wird. Mit Dienstwagen, aber dann eben auch mit einem Taxi nach Leipzig.
An braune Landschaften erinnert man sich bei Trimmel, die leidlich blühenden Landschaften in Sachsen sieht man auch im aktuellen „Tatort“ nicht, weil diese Fahrt nachts stattfindet. Kein Mensch hätte geglaubt, dass sich aus der Geschichte mit dem Zigarren paffenden und Weinbrand trinkenden Fast-Pensionär Trimmel der „Tatort“ zum Aushängeschild eines zeitgemäßen Krimi-Events entwickeln sollte.
Die Kommissare sollten Dialekt sprechen, die Geschichten regional gefärbt sein
„Tatort“ – ein programmatischer Titel, der langweilig, aber gleichzeitig unschlagbar ist. Wenngleich der Tatort an sich immer unwichtiger wurde, weil die Reihe sich auf Problemzonen der Gesellschaft, auf Außenseiter und die Polizeisuche nach der Wahrheit konzentrierte.
Dass Krimi-Deutschland sich zu einem deutschen Fleckerlteppich des Abgründigen entwickelte, liegt an dem geistigen Vater des „Tatort“, Gunther Witte. Sein Plan: In jeder Folge sollte ein Kommissar im Mittelpunkt stehen und die Geschichte sollte bei allen Landesrundfunkanstalten regional gefärbt sein – inklusive der Ermittler, die mit dem örtlichen Dialekt sprechen sollten.
Was zunächst auch funktionierte. Lang ist es her, dass der Münchner Kommissar Veigl (Gustl Bayrhammer) seinen Dackel Bier trinken ließ (was ihm bald untersagt wurde), der Stuttgarter Ermittler Bienzle (Dietz-Werner Steck) schwäbelte, was das Zeug hielt, und Hansjörg Felmy als Haferkamp emotionslos seinen Trenchcoat vorführte. Inzwischen muss es Schriftdeutsch sein. Akustisch erkennt man die sprachliche Herkunft nur noch an den immer populärer werdenden Pathologen und Verkäufern, wo denn der „Tatort“ spielt.
Zur Steigerung der Quote reduzierte die ARD das gewünschte regionale Element, das im föderalen „Tatort“-Konzept sprachlich eigentlich unverzichtbar wäre. Zum Glück hört man dem österreichischen Duo Moritz Eisner (Harald Krassnitzer) und Bibi Fellner (Adele Neuhauser) noch an, wo sie herkommen. Eine leicht münchnerische Färbung haben auch die grauhaarigen Münchner Cops Batic (Miroslav Nemec) und Leitmayr (Udo Wachtveitl). Ihnen wünscht man, dass sie uns bis zu ihrer Pensionierung ins bessere Schwabing oder zum Rosenheimer Platz führen.
Diskriminierung, Kindesmisshandlung und Mädchenhandel: Der Tatort greift immer wieder aktuelle Themen auf
Der „Tatort“ ist ein bebilderter Geschichtsroman der Bundesrepublik. Der auch aktuelle Themen aufgreift: Umweltverschmutzung, Ausländer-Diskriminierung, Kindesmisshandlung, Mädchenhandel und die Angst vor einer vollständig digitalen Welt. Und auch für das eine oder andere Skandälchen sorgte die Krimi-Reihe.
Wie die so junge wie nackte Nastassja Kinski im Beitrag „Reifezeugnis“ des späteren Hollywood-Regisseurs Wolfgang Petersen. Der „Tatort“ von heute artikuliert die veränderten filmischen Formen. Welten liegen etwa zwischen dem liebenswürdigen Duo Manfred Krug und Charles Brauer als Paul Stoever/Peter Brockmöller und den Science-fiction-Ausflügen wie unlängst in der Folge „HAL“. Oder wann immer Ulrich Tukur mitspielt. Das ist Kino.
Bereits Götz George hatte Anfang der 1980er Jahre als Schimanski neue Akzente gesetzt durch seine physische Präsenz, sodass man plötzlich Duisburg interessant fand. Dass der Mann im Parka auch ein grandioser Schauspieler war, ließ viele Jahre später Til Schweiger, den „Nick“ Tschiller, trotz Action und Leichen, die seinen Weg pflasterten, schwach aussehen.
In 46 Jahren hat sich im „Tatort“ viel getan. Vor allem dank des komödiantischen Münsteraner Duos Boerne (Jan Josef Liefers) und Thiel (Axel Prahl) freut sich das Erste über Top-Einschaltquoten von gut 13 Millionen Zuschauern. Doch auch die BR-Produktion „Der Himmel ist ein Platz auf Erden“ aus Franken erreichte 12,75 Millionen.
Doch wie geht es weiter in den nächsten zehn Jahren? Gibt es dann noch eine Lena Odenthal? Oder graue Panther wie Batic und Leitmayr? Der Trend geht eindeutig zu den jüngeren, offensiven Mann-Frau-Paaren, die schon in den Dialogen mehr rüberbringen als die Kumpel-Duos. Also freuen wir uns auf die Schauspieler-Paare Christian Ulmen/Nora Tschirner, Meret Becker/Mark Waschke und Jörg Hartmann/Anna Schudt.
Wie auch immer: Ein Krimi braucht einen versöhnlichen Schluss. Der Medienwissenschaftler Dietrich Leder irrt aber, wenn er behauptet, dass in 90 Minuten „das meist schreckliche Verbrechen aufgeklärt wird und also am Ende so etwa jene Normalität wieder einzieht, die durch die Tat aus den Fugen geriet“.
Man muss sich nur die Gesichter von Charlotte Lindholm (Maria Furtwängler) und Klaus Borowski (Axel Milberg) in den letzten Bildern von „Taxi nach Leipzig“ anschauen, um daran zu zweifeln. In vielen anderen „Tatort“-Krimis bleiben oft Schuldfrage und Ende ambivalent.
Eines jedenfalls macht uns Sorgen. Wird die Würstchenbude im Kölner „Tatort“ noch ein Thema sein? Oder muss sie einem Veganer-Imbiss weichen? Wäre schade drum.