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Bundesweite Studie: Jeder vierte Mann ist Opfer häuslicher Gewalt

Bundesweite Studie

Jeder vierte Mann ist Opfer häuslicher Gewalt

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    Für viele bedeutet Gewalt ein Stück Männlichkeit.
    Für viele bedeutet Gewalt ein Stück Männlichkeit.

    Von Alois Knoller Augsburg. Die aufgebrachte Ehefrau mit dem Nudelholz, die ihren Gatten unsanft in Empfang nimmt, bringt immer noch jeden zum Schmunzeln. Nur Hans-Joachim Lenz nicht. Der Sozialforscher aus Ebringen am Kaiserstuhl (Baden) weiß, dass hinter der Witzfigur eine traurige Realität steckt.

    "Der häusliche Bereich ist für Männer kein sicherer Ort", zitiert Lenz aus der allerersten bundesweiten Studie über Gewalt gegen Männer. Sein Ergebnis: "Jeder vierte Mann berichtet über körperliche Übergriffe der Partnerin und jeder zweite davon hat sich nie dagegen gewehrt." Was sollte der Mann auch tun? Es gibt keine Hilfsangebote für misshandelte Männer und bei der Polizei würde man ihn auslachen. Wie überall.

    Sogar das Bundesfamilienministerium fühlt sich nach dem ersten Forschungsauftrag nicht mehr zuständig. Für etliche Bereiche hielte Lenz Nachfolgestudien für erforderlich: über Jungs in Heimen, in Gefängnissen, in religiösen Gemeinschaften. Signifikant sind vermehrte gewalttätige Übergriffe auf Männer mit Behinderung, auf Schwule und Transvestiten. "Aber es gibt kein politisches Interesse, hier mehr zu erfahren", klagt der Sozialforscher.

    "Das Bundesfamilienministerium beschäftigt sich vor allem mit Gewalt von Frauen, soweit es um die Täterschaft von Frauen gegen Frauen geht. Das Thema Gewalt wird aber originär von den Bundesministerien des Inneren und der Justiz behandelt", erklärt Pressereferent Andreas Aumann auf Anfrage. Denn: Nach den vorliegenden Daten würden zum Beispiel im häuslichen Bereich 95 Prozent aller Straftaten von Männern gegen Frauen verübt.

    Diesseits der Kriminalstatistik gelangt die Pilotstudie "Gewalt gegen Männer" jedoch zu ganz anderen Ergebnissen. 266 repräsentativ ausgewählte Männer zwischen 18 und 85 Jahren wurden interviewt, also aus drei Generationen. Fast alle durchliefen eine harte Schule der Gewalt. Männliche Kindheit wird von schmerzhafter Züchtigung fast regelmäßig begleitet. "Nur jeder Siebte berichtete, dass er in der Kindheit und Jugend keine Gewalt erlebt hat", erzählt Lenz. Jeder Zweite ist ordentlich versohlt worden - mit der blanken Hand oder mit dem Stock. Meist vollzieht sich das perfide Rollenspiel: Mutter droht die Schläge an, der Vater muss sie abends ausführen.

    Das höchste Risiko, ein Gewaltopfer zu werden, besteht für Männer zwischen zwölf und Ende zwanzig. Zunächst sind es sexuelle Übergriffe, die Lenz zufolge auf dem Hintergrund der pubertätsbedingten Suche nach der eigenen sexuellen Identität oft verdeckt bleiben. Das Spektrum reicht von unangenehmen Berührungen bis zur vollendeten Vergewaltigung. Der eben erwachsen gewordene Mann sieht sich häufig konfrontiert mit Schlägern. Wenn er seinen Wehrdienst ableistet, wird er mit hoher Wahrscheinlichkeit das Opfer demütigender Rituale. Drei von fünf Männern berichteten davon in der Studie.

    "Die meisten gewalttätigen Übergriffe auf Männer werden nicht sichtbar", weiß der Sozialforscher Lenz. Körperliche Gewalt wird als männliche Normalität eingeordnet. Jungs schlagen sich halt gern und ein ganzer Mann muss etwas einstecken können. Diese Vorstellungen durchziehen das gesamte Männerleben. Als Hans-Joachim Lenz seinen Hausarzt befragte, ob ihm Gewalt gegen Männer begegnet sei, verneinte er zunächst. "Am anderen Tag gab er mir ein langes Interview." Das ergiebigste Gespräch führte der Männerforscher mit einem Polizisten, der von seiner eifersüchtigen Frau nicht nur geschlagen wurde, sondern ihretwegen zeitweise auch seine Dienstpistole abgeben musste - weil er sie angeblich damit bedroht hatte. Ein Jahr ermittelte der Staatsanwalt, ehe er das Verfahren gegen den öffentlich gedemütigten Polizisten einstellte.

    Selbst die Fachärzte für Urologie haben keine medizinische Kategorie für den sexuellen Missbrauch von Männern. "Der Mythos der männlichen Stärke soll offensichtlich aufrechterhalten werden", folgert der Männerforscher Lenz daraus. Dabei wäre es in der Jugendpädagogik so wichtig, "dass die Jungen auch ihre Schutzbedürftigkeit erkennen". Aber wer will schon ein Weichei sein? "Du Opfer" gilt unter Kids als eines der ärgsten Schimpfwörter.

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