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Italien: Was von der Costa Concordia bleibt

Italien

Was von der Costa Concordia bleibt

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    Die Costa Concordia rammte am 13. Januar 2012 einen Felsen. Das Kreuzfahrtschiff lag anderthalb Jahre in der Bucht vor der Insel Giglio.
    Die Costa Concordia rammte am 13. Januar 2012 einen Felsen. Das Kreuzfahrtschiff lag anderthalb Jahre in der Bucht vor der Insel Giglio. Foto: EPA/MASSIMO PERCOSSI/dpa-Archiv

    Die Sachen aus dem Safe hat Angela Redmann erst letztes Jahr zurückbekommen. Es war nichts darin, was ihr sonderlich viel bedeutet hätte. „Ein Teil von meinem Schmuck, mein alter Führerschein“, erzählt die 64-Jährige aus Immenstadt im Oberallgäu. Aber den hatte sie natürlich längst wieder beantragt. Sie konnte ja schlecht fünf Jahre ohne Führerschein durch die Gegend fahren.

    Fünf Jahre, so lange ist es auf den Tag genau her, dass Angela Redmann mit hunderten anderen unterkühlten Menschen an der Küste der Insel Giglio stand und zuschaute, wie die Costa Concordia Stück für Stück im Meer versank. Redmann und ihre Freundin Karin waren zusammen auf dem Schiff, zwei von 4229 Menschen. Heute Abend wollen die beiden essen gehen. Ihr „geschenktes Leben“ feiern.

    Etwa zur gleichen Zeit wird Dorfpfarrer Don Lorenzo Pasquotti in der Kirche von Giglio einen Gedenkgottesdienst für die Toten halten. Anschließend wird ein Blumenkranz ins Wasser gelassen – genau an der Stelle, an der die Costa Concordia am Abend des 13. Januar 2012 auf Grund lief und wo 32 Menschen starben. Um 21.45 Uhr, zum Zeitpunkt des Unglücks, werden die Kirchenglocken läuten und die Hupen der Schiffe, die im Hafen liegen, ertönen. „Es wird ein bewegender Moment sein“, sagt Don Lorenzo.

    Vom Wrack der Costa Concordia ist auf Giglio nichts mehr zu sehen. Endlich, mögen die Menschen denken. Anderthalb Jahre lang lag das gekenterte Kreuzfahrtschiff vor der Insel. In einer aufwendigen Aktion richteten Spezialisten das Wrack auf. Sie brachten es mithilfe von 30 Stahlcontainern wieder zum Schwimmen und schleppten es schließlich im Juli 2014 in den Hafen von Genua. Dort wird der Stahlriese seither abgewrackt. Im Februar, heißt es, soll die letzte Schraube abmontiert sein. Dann wird nichts übrig sein vom Unglückskreuzer.

    Oft hört man: "Wir sind froh, dass alles vorbei ist"

    Angela Maria Redmann erlebte vor fünf Jahren den Untergang des Kreuzfahrtschiffs Costa Concordia vor der Insel Giglio im Mittelmeer.
    Angela Maria Redmann erlebte vor fünf Jahren den Untergang des Kreuzfahrtschiffs Costa Concordia vor der Insel Giglio im Mittelmeer. Foto: Ralf Lienert

    „Die Costa Concordia war das schönste Schiff, auf dem ich bis dahin war“, erzählt Angela Redmann. Dass deren rostige Hülle immer noch nicht komplett verschrottet ist, wusste sie gar nicht. Sie hat mit dem Unglück abgeschlossen. Ihr Job als Beraterin für Menschen, die ihre Lebensenergie-Blockaden lösen wollen, half ihr selbst, mit den Erlebnissen auf dem Schiff fertig zu werden. Irgendwo hat sie sie auch aufgeschrieben. „Aber ich weiß gar nicht mehr, wo das alles liegt.“ Die Frau mit dem kurzen grauen Haar, dem aufmerksamen Blick und der dunklen Lesebrille kann ganz sachlich über das Unglück reden – jetzt, wo sie längst wieder sicher zu Hause in ihrer Immenstädter Dachwohnung sitzt und Tee trinkt.

    Vielen anderen Passagieren geht es nicht so. Dutzende Menschen aus der Region hatten vor fünf Jahren die Reise gebucht. Eine Gruppe aus Wertingen zum Beispiel, ein Ehepaar aus Krumbach. Doch fast keiner will darüber reden. „Wir sind froh, dass alles vorbei ist“, heißt es immer wieder, manchmal sogar ziemlich ruppig am Telefon. Es ist klar: Dieser Abend auf der Costa Concordia soll nicht mehr zurück in ihr Leben kommen.

    Angela Redmann und ihre Freundin saßen im Speisesaal, als es krachte. „Auf einmal war die Flüssigkeit in den Gläsern schief, aber die Gläser standen gerade.“ Anfangs, sagt Redmann, habe sie gedacht, draußen sei es stürmisch geworden. „Auf einmal ist dann alles umgekippt. Da habe ich genau gewusst: Etwas Schreckliches ist passiert.“ Ihr erster Impuls: auf Deck vier zu den Rettungsbooten gehen. Doch die Crew habe niemanden einsteigen lassen. „Nach etwa einer Stunde hieß es, wir sollen ins Theater des Schiffs – oder in unsere Kabinen.“ Dahin, wo mehrere der 32 Opfer den Tod fanden. Eine Mitarbeiterin der Reederei sagte später unter Tränen vor Gericht, man habe eine Panik vermeiden wollen und den Passagieren daher zunächst nicht gesagt, was passiert ist. Angela Redmann weigerte sich, zurück ins Schiffsinnere zu gehen. Plötzlich habe jemand die Notsirene betätigt. „Dann brach die Panik aus.“

    Stundenlang warteten die Geretteten in der Kälte

    Redmann hörte das Kreischen, hörte ein Kind brüllen. Videos zeigen später, wie Menschen an Deck wild durcheinanderrennen. „Aber irgendwie wusste ich für mich selbst: Ich komm da heil raus.“ Wer schließlich die Anweisung gab, die Rettungsboote abzuseilen, weiß sie nicht. Doch sie stand günstig, schaffte es inmitten von drängelnden Menschen schnell in ein Boot, das sie ans Ufer von Giglio brachte. Wie viele noch bis in die Morgenstunden an Deck warteten, in Todesangst von der Reling sprangen, sah sie erst später auf der Wärmebildkamera in einem Video.

    An Land war Don Lorenzo einer der Ersten, der den Überlebenden zu Hilfe eilte. Der Dorfpfarrer sperrte die Türen seiner Kirche auf. Einige durchnässte Passagiere kauerten da schon auf den Stufen. Don Lorenzo schaffte Decken und Jacken herbei. „Später haben sich die Schiffbrüchigen auch mit den Messgewändern und den Hemden der Ministranten zugedeckt.“ Angela Redmann stand selbst im Chorraum. „Die Kirche war brechend voll“, erinnert sie sich. „Es war so ein Gewusel und eine Aufregung, da hab ich zu meiner Freundin gesagt: Hier kann ich nicht bleiben.“ Sie gingen zurück zum Strand, wo noch bis morgens um sechs Uhr Rettungsboote einliefen. Als nach Mitternacht spontan ein Souvenirladen öffnete, kauften sie sich T-Shirts gegen die Kälte, auch wenn die viel zu groß waren. Der Händler wollte den vollen Preis dafür. „Erst als wir sagten ,Entschuldigen Sie, da ist gerade ein Schiff untergegangen!‘ bekamen wir sie für die Hälfte.“

    Stundenlang standen die Frauen da, frierend in ihren luftigen Kleidern. Sie hatten sich hübsch gemacht, wollten am Abend auf dem Schiff noch tanzen gehen. „Wenn man auf Reisen geht, nimmt man seine schönsten Sachen mit“, sagt Redmann. So warteten sie auf die Fähre, die sie weg von der Insel bringen sollte, sahen das Schiff, auf dem es immer dunkler wurde, hörten, wie die Schreie nach und nach verklangen. Wenn Redmann in den Wochen nach dem Unglück Freunden davon erzählte, habe sie „innerlich gebebt“. Die Kälte meinte sie noch in ihrem Körper zu spüren. „Ich habe wochenlang nur unter dicken Bettdecken geschlafen.“

    Francesco Schettino, der das Schiff gegen den Felsen lenkte, hat sich ebenfalls verkrochen. Von „Kapitän Feigling“ sei auch nichts anderes zu erwarten, sagen viele. Den Namen gaben ihm italienische Medien, weil Schettino noch während der Evakuierung des Schiffs von Bord gegangen war und dies zeitweise damit rechtfertigte, er sei in eines der Rettungsboote gefallen.

    Francesco Schettino lenkte die Costa Concordia gegen einen Felsen und ging noch während der Evakuierung von Bord.
    Francesco Schettino lenkte die Costa Concordia gegen einen Felsen und ging noch während der Evakuierung von Bord. Foto: EPA/CARLO FERRARO/dpa-Archiv

    Im Mai bestätigte ein italienisches Berufungsgericht Schettinos Verurteilung zu 16 Jahren und einem Monat Haft wegen fahrlässiger Tötung, Schiffbruch und vorzeitigem Verlassen des Schiffs. Er hat Revision gegen das Urteil eingelegt. Fünf Mitverantwortliche waren bereits 2013 im Schnellverfahren zu geringen Haftstrafen verurteilt worden.

    Schettinos Anwalt Saverio Senese sagt, der 56-Jährige halte sich in seinem Wohnort Meta di Sorrento südlich von Neapel auf. Ein Mitarbeiter eines Tauchgeschäfts, das gegenüber der Wohnung liegt, sagt, er habe ihn lange nicht gesehen. „Wir sprechen nicht sehr viel über ihn“, sagt der Mann über die Stimmung im Ort. Anwohner haben den Ex-Kapitän zuletzt in der Nähe seiner Wohnung gesehen, wo er manchmal mit seiner tibetanischen Dogge spazieren geht. Schettino trägt inzwischen Vollbart, verbringe viel Zeit zu Hause am Computer und beim Musikhören, sagen Leute, die ihn kennen. Den Fernseher aber schalte der Mann, der laut Gericht hauptverantwortlich für das Schiffsunglück ist, nicht mehr ein. Zu groß ist wohl die Gefahr, auf Berichte über seine eigene Geschichte zu stoßen, die in diesen Tagen gezeigt werden.

    Schettino fühlt sich als ein Opfer der Medienkampagne

    2013 stand Schettino erstmals vor Gericht, es dauerte Monate, bis er eine Mitschuld einräumte. Die Costa Concordia sei deshalb so nah an die Küste gefahren, um einem ehemaligen Kapitän auf Giglio die Ehre zu erweisen, behauptete er. Und dass solche Manöver auch von der Kreuzfahrtgesellschaft Costa Crociere zu Werbezwecken gewünscht gewesen seien. Für das Gericht aber war Schettinos Schuld am waghalsigen Manöver vor Giglio erwiesen. Er selbst hält sich für das Opfer einer Medienkampagne.

    Chronologie: Die Tragödie der Costa Concordia

    Die Havarie des Kreuzfahrtschiffs Costa Concordia - ein Überblick über die wichtigsten Ereignisse:

    13. Januar 2012: Die mit 4229 Menschen besetzte «Costa Concordia» rammt nahe der toskanischen Insel Giglio einen Felsen und läuft 50 Meter vor der Küste auf Grund. 32 Menschen sterben.

    14. Januar 2012: Kapitän Francesco Schettino wird verhaftet. Ihm und seinem Steuermann werden mehrfache fahrlässige Tötung, Havarie und das vorzeitige Verlassen des Schiffes zur Last gelegt.

    15. Januar 2012: Der italienische Eigner des Schiffs, die Gesellschaft Costa Crociere, wirft der Schiffsführung Fehler sowohl bei der Routenführung als auch im Umgang mit dem Unglück vor.

    17. Januar 2012: Kapitän Schettino wird an seinem Wohnort Meta di Sorrento südlich von Neapel unter Hausarrest gestellt. Es gibt erste Strafanzeigen gegen die Reederei.

    27. Januar 2012: Costa Crociere und ein Zusammenschluss der Passagiere einigen sich auf eine Entschädigung in Höhe von 11.000 Euro sowie eine Erstattung der Unkosten. Die meisten jener Passagiere, die weder verletzt wurden noch Angehörige oder Freunde verloren, nehmen dieses Angebot an.

    12. Februar 2012: Es wird damit begonnen, die 2400 Tonnen Treibstoff aus der «Costa Concordia» abzupumpen, um eine Ölpest zu verhindern.

    3. März 2012: Vor dem Gericht in Grosseto beginnen die ersten von zahlreichen Anhörungen. Sechs Angestellte von Costa Crociere, unter ihnen Kapitän Schettino, werden angeklagt.

    15. Mai 2012: Die Bergung des Wracks wird für Februar 2013 angekündigt, verzögert sich jedoch.

    5. Juli 2012: Der Hausarrest gegen Schettino wird aufgehoben, am 11. Juli bittet er im Fernsehen um Entschuldigung. Ende des Monats wird er von seinem Arbeitgeber entlassen, wogegen Schettino klagt.

    13. September 2012: Ein Gutachten belegt das Versagen von Costa Crociere im Umgang mit dem Unglück. Die Experten halten der Reederei vor, die Schwere des Unfalls unterschätzt zu haben. Die größte Verantwortung trägt demnach der Kapitän.

    10. April 2013: Costa Crociere einigt sich mit der Justiz auf einen Vergleich, wonach die Kreuzfahrtgesellschaft eine Million Euro Strafe zahlen muss und dadurch einem Prozess entgeht.

    17. April 2013: Das Gericht in Grosseto lässt 250 Nebenkläger zu, unter ihnen Costa Crociere, die Insel Giglio und der italienische Staat.

    14. Mai 2013: Die sechs Angeklagten verlangen, Absprachen über ihr Strafmaß zu treffen. Die Staatsanwaltschaft stimmt bei allen außer Schettino zu.

    17. Juli 2013: Beginn des Prozesses gegen Schettino. Ihm drohen bis zu 20 Jahre Haft. Seine Anwälte beantragen erneut eine außergerichtliche Einigung und erklären, Schettino würde sich teilweise schuldig bekennen, wenn das Strafmaß auf drei Jahre und fünf Monate Haft begrenzt werde.

    20. Juli 2013: Die fünf Mitangeklagten werden zu Haftstrafen zwischen 18 und 34 Monaten verurteilt.

    16. September 2013: Die Aufrichtung der «Costa Concordia» beginnt.

    Dem ehemaligen Kapitän bleibt nur die Hoffnung, dass der Oberste Gerichtshof in Rom das Urteil wegen Prozessfehlern aufhebt. Am 20. April soll die Entscheidung fallen. Sein Anwalt behauptet, die Rechte seines Mandanten seien vom Berufungsgericht verletzt und Beweise nicht anerkannt worden. Wie es dem Ex-Kapitän gehe, könne er nicht genau sagen. Im Prozess hatte Schettino angemerkt, zusammen mit den 32 Opfern des Unglücks sei auch er „teilweise gestorben“.

    Für Schettino empfindet Angela Redmann keine Wut mehr. Sie hatte im Gegensatz zum Kapitän weniger Glück beim Sprung ins Rettungsboot, in das 150 Menschen passten. Redmann schlug auf einer Holztreppe auf. Wie sehr der Sturz ihren Körper beeinträchtigt hat, wurde erst im Lauf der Jahre klar. Im Juli 2012 bemerkte sie, dass in ihrem Mund etwas nicht stimmte. Durch den Aufprall hatten sich ihre Zahnwurzeln gespalten. Wieder ein Jahr später spürte sie Schmerzen im Nacken. Ihr Orthopäde stellte fest, dass die Wucht des Aufpralls ihren ganzen Körper entlang seiner Achse verschoben hatte. Mit dem Laufen hat Redmann nach wie vor Probleme. Durch die Behandlung habe sie sich immer wieder mit dem Unglück befasst. „Ich hatte die Chance, mich damit auszusöhnen“, sagt sie. Wenn sie sich heute Bilder der Costa Concordia anschaut, empfindet sie fast nichts. Nur Mitgefühl für die Familien der Opfer. Sie ist sich ihres eigenen Glücks bewusst. „Ich habe weder einen Menschen verloren noch bin ich so geschädigt, dass ich mein Leben nicht mehr leben kann.“

    Die Schiffsreste der Costa Concordia sollen bald ihre eigene Ausstellungshalle im Meeresmuseum von Genua bekommen. 80 Prozent des Materials aber soll wiederverwertet werden, für den Bau anderer Schiffe. Vielleicht ja für eines, mit dem Angela Redmann irgendwann auf Kreuzfahrt gehen wird. Zweimal hat sie es seither wieder getan. Ein Jahr nach dem Unglück reiste sie auf einem Schiff in die Vereinigten Arabischen Emirate – wieder mit Costa. Für andere mag das schwer nachvollziehbar sein. Angela Redmann zuckt mit den Schultern. Sie will sich die Reisen nicht nehmen lassen. „Ich hab’ ja Freude daran. Und zweimal passiert einer Reederei das doch bestimmt nicht.“

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