Er fiel in ein Rettungsboot, der Steuermann verstand seine Anweisungen nicht und der Felsen war auf keiner Karte verzeichnet - für die Tragödie um die Havarie der "Costa Concordia" fand Unglückskapitän Francesco Schettino viele Erklärungen. Eine Schuld an der Katastrophe hat er jedoch nicht anerkannt. Am Dienstag (9. Juli) könnte vor einem Gericht in Grosseto in der Toskana der Prozess gegen den Italiener beginnen, dessen Bild als braun gebrannter Kapitän mit Sonnenbrille um die Welt ging. Wegen eines Anwalts-Streits könnte der Prozessauftakt aber möglicherweise auf den 17. Juli verschoben werden - dies entscheidet sich am Dienstag.
Anklage könnte bis zu 20 Jahre Haft für Schettino fordern
Die schlimmsten Schiffsunglücke
Titanic, Estonia, Sewol: Schiffsunglücke fordern oft hunderte Menschenleben. Eine - unvollständiger - Überblick über die größten Katastrophen:
16.12.1900: Gneisenau Sie war ein deutsches Segel-Schulschiff. Das tragische Unglück ereignete sich im Hafen von Malaga. Über 40 junge Menschen und mindestens 12 spanische Retter starben, als das Schiff vom Sturm gegen die Mole getrieben wurde und im Meer versank.
15.06.1904: General Slocum Deutsche Einwanderer charterten den Raddampfer "General Slocom" und machten einen Ausflug auf dem East River in New York. Als das Schiff Feuer fängt, bricht Panik aus. Mehr als 1000 Menschen fanden den Erstickungstod oder ertranken.
12.03.1907: Panzerschiff Iéna Das französische Schiff lag vor Toulon, als plötzlich die Pulverkammer explodierte. 120 Mitglieder der Besatzung starben, 150 weitere wurden zum Teil schwer verletzt.
15.04.1912: Titanic Das wohl berühmteste Schiffsunglück ist der Untergang der "unsinkbaren" Titanic. Sie befand sich auf ihrer Jungfernfahrt nach New York und rammte einen Eisberg. Nach 2 Stunden und 40 Minuten war sie untergegangen und hatte um die 1500 Menschen in den Tod gerissen. Gerade einmal 700 überlebten die Katastrophe.
29.05.1914: Empress of Ireland Der irische Luxusliner prallte im St. Lorenz Strom mit dem norwegischen Kohlendampfer "Storstad" zusammen. Die Empress of Ireland geht unter. Rund 1000 Passagiere fanden den Tod.
06.12.1917: Mont Blanc & Imo Die Mont Blanc war ein französisches Munitionsschiff. Im Hafen von Hallifax kollidierte sie mit dem belgischen Frachter "Imo". Die Munition explodierte und weite Teile der Stadt wurden vernichtet. An die 2000 Menschen kamen dabei ums Leben, zahlreiche wurden schwer verletzt.
26.10.1927: Principessa Mafalda 1200 Menschen blickten hoffnungsfroh in die Zukunft, als sie 1927 auf einem Schiff Italien verließen, um woanders ein neues Leben zu beginnen. 314 von ihnen starben, als die Principessa Mafalda vor der brasilianischen Küste unterging.
14.06.1931: Saint-Philibert Als das Ausflugsdampfer in der Loire-Mündung versank, verloren mehr als 500 Passagiere ihr Leben.
21.09.1957: Pamir Das deutsche Segel-Schulschiff gerät westlich der Azoren in einen Sturm und kann den Urgewalten nicht standhalten. 80 Besatzungsmitglieder fanden den Tod. Nur sechs Mann blieben am Leben.
23.01.1977: Lucona Das Frachtschiff versank im Indischen Ozean, zunächst ohne ersichtlichen Grund. Später fand man heraus, dass es mitsamt der Besatzung absichtlich versenkt wurde. Udo Proksch, dem die Wiener Konditorei "Demel" gehört, wollte auf diese Weise seine Versicherung betrügen.
16.03.1978: Amoco Cadiz Der Öltanker havarierte vor der nordfranzösischen Küste. Über 200 Kilometer entlang der Strandlinie wurden verheerende Umweltschäden verursacht.
13.12.1978: MS München Das deutsche Frachtschiff ist samt der 28-köpfigen Crew bis heute verschwunden. Es geriet nördlich der Azoren in einen gewaltigen Sturm und sendete Notsignale. Eine internationale Rettungsaktion blieb erfolglos.
11.08.1979: Admirals Cup Der Admirals Cup ist eine Hochsee-Regatta. Ein Teil davon ist das Fastnet Race von Südengland nach Irland und zurück. 1979 wurde das Regattafeld von einem Orkan heimgesucht. Mehr als 300 Schiffe waren in Gefahr. 19 Menschen kamen um.
06.03.1987: Herald of Free Enterprise Auf dem Fährschiff starben knapp 200 Passagiere. Es versank kurz nachdem es vom belgischen Hafen losgefahren war. Um schneller ablegen zu können, wurde das Bugtor erst unterwegs geschlossen.
28.09.1994: Estonia Die Estonia war nach Stockholm unterwegs, als plötzlich die Bugklappe abgerissen wurde. Das Schiff läuft sofort voll. Mehr als 850 Menschen sterben. Bis heute sind die genauen Umstände der Katastrophe nicht geklärt.
03.02.2006: Al Salam Boccaccio 98 Als auf der ägyptischen Fähre Feuer ausbricht, beginnt das Schiff zu sinken. Die Ursachen sind nicht bekannt, aber wahrscheinlich hat das Löschwasser die Fähre zum Kentern gebracht. Ungefähr 1000 Passagiere finden im Roten Meer ihren Tod.
Die Liste der Vorwürfe gegen den 52-Jährigen aus dem kampanischen Ort Meta di Sorrento bei Neapel ist lang: Ihm werden unter anderem fahrlässige Tötung und Körperverletzung, Havarie und das Verlassen des Schiffes während der Evakuierung vorgeworfen. Vor dem Prozess wurde spekuliert, die Anklage könnte bis zu 20 Jahre Haft für Schettino fordern. Viele Fragen sind vor dem Prozess noch offen: Warum rammte die "Costa Concordia" den Felsen? War der Kapitän Schuld an der Havarie? Oder führte eine Fehlerkette zu der Katastrophe? Hätten mehr Menschenleben gerettet werden können?
Nach Ansicht der Staatsanwaltschaft war Schettino mitschuldig daran, dass die "Costa Concordia" mit rund 4200 Menschen an Bord am 13. Januar 2012 zu nah an die Toskana-Insel Giglio heransteuerte. Das Schiff fuhr auf einen Felsen, wurde aufgeschlitzt und kenterte, 32 Menschen starben. Die Ermittlungen rund um die Havarie brachten zahlreiche Vorwürfe gegen Schettino zutage. Er soll das Unglück heruntergespielt, bei der anschließenden Rettungsaktion Fehler gemacht und das Schiff noch vor Ende der Evakuierung verlassen haben.
"Costa Concordia"-Kapitän empört durch Ausreden
Nach der Havarie wurde Schettino festgenommen und unter Hausarrest gestellt. Für sein Verhalten und das Unglück fand der Italiener danach immer wieder Ausreden: Die Reederei habe das riskante Manöver verlangt, die Havarie sei ein banaler Unfall gewesen, er sei in ein Rettungsboot gerutscht - und habe zuvor sogar noch Schlimmeres verhindert. Dennoch wurde er von der Reederei Costa Crociere zunächst suspendiert und später entlassen - das Unternehmen distanzierte sich mehrfach von seinem früheren Kapitän.
Bis zu dem Unglück präsentierte sich Schettino gerne in schicker weißer Kapitänskleidung, braun gebrannt und mit Sonnenbrille auf der Kommandobrücke. Er stammt aus einer süditalienischen Schifffahrts-Familie. Zehn Jahre lang arbeitete Schettino für Costa Crociere, zunächst als verantwortlicher Offizier für die Sicherheit. 2006 wurde er dann zum Kommandanten befördert. Mit der Havarie der "Costa Concordia" scheint seine Karriere auf See jedoch beendet.
Italien erwartet Mammutprozess
Fakten und Zahlen zur Kreuzfahrt-Branche
Seit Jahren ist die Kreuzfahrtbranche der große Boom-Sektor im Tourismus. Galten Kreuzfahrten angesichts hoher Preise lange Zeit als Nische, ist die Branche längst auf dem Weg zum Massenmarkt.
1,2 Millionen Deutsche haben 2010 eine Hochseereise gebucht. Seit 1998 hat sich ihre Zahl mehr als vervierfacht.
In den vergangenen zwei Jahrzehnten haben Kreuzfahrtschiffe nach Angaben des Branchenverbandes European Cruise Council (EEC) weltweit mehr als 90 Millionen Passagiere befördert.
Nur 1,5 Prozent der Bundesbürger leisten sich eine Seereise. Zum Vergleich: 3 Prozent sind es in Großbritannien, 5 Prozent in den USA.
Umsatz und Zahl der Passagiere haben nach Angaben des Deutschen Reiseverbandes in den vergangenen Jahren um 18 bis 20 Prozent zugelegt.
Hochsee-Kreuzfahrten brachten deutschen Veranstaltern wie Aida oder Hapag-Lloyd 2010 mehr als 2 Milliarden Euro Umsatz.
Für den Urlaub auf hoher See musste der deutsche Gast 2010 durchschnittlich 1696 Euro hinlegen - 185 Euro weniger als 2009.
Mit Abstand wichtigste Region ist das Mittelmeer, auf dem gut jeder dritte deutsche Bord-Urlauber kreuzt.
Der Kampf um den deutschen Markt wird härter: Angesichts lahmenden Wachstums auf dem Heimatmarkt sind führende US-Reedereien in Europa auf Expansionskurs.
2010 gab es nach EEC-Angaben weltweit 198 Kreuzfahrtschiffe. 99 Prozent davon wurden in europäischen Werften gebaut.
Die Branche sichert in Europa rund 300 000 Arbeitsplätze, ein Zuwachs von 55 Prozent seit 2005.
Bis 2014 sollen 10,3 Milliarden Euro in den Bau neuer Schiffe investiert werden.
In den Voranhörungen mussten sich fünf weitere Beschuldigte verantworten - darunter auch der indonesische Steuermann, dem Schettino vorgeworfen hatte, seine Anweisungen nicht verstanden zu haben. Alle fünf einigten sich allerdings mit der Anklage auf Verhandlungen über das Strafmaß, die eine Verurteilung ohne Prozess ermöglichen. Ursprünglich wollte das Gericht am 8. Juli über die Absprachen entscheiden, dieser Termin wird wegen eines Anwälte-Streiks jedoch voraussichtlich auf den 20. Juli verschoben.
Das Verfahren gegen Schettino könnte zu einem Mammutprozess werden und sich über mehrere Monate oder sogar Jahre hinziehen. Das Interesse ist riesig: Hunderte Medienvertreter aus aller Welt werden in Grosseto erwartet, dazu kommen Überlebende des Unglücks und Angehörige der 32 Opfer. Vertreter der Reederei Costa Crociere und der Gemeinde Giglio, die als Nebenkläger auftreten, haben sich ebenfalls angekündigt. Und auch die Hauptperson Francesco Schettino wird zum Prozess wieder in Grosseto erwartet. dpa/AZ