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Interview: Wer ist schuld, dass die Insekten sterben?

Interview

Wer ist schuld, dass die Insekten sterben?

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    Bienen sind unerlässlich für das Ökosystem. Wenn sie sterben läuft etwas schief. 
    Bienen sind unerlässlich für das Ökosystem. Wenn sie sterben läuft etwas schief.  Foto: Matthias Balk, dpa

    Herr Settele, eine Studie zum Verschwinden der Insekten hat für Aufsehen gesorgt. Die Forscher haben aber gar nicht die Arten der Insekten bestimmt, die in ihre Fallen gegangen sind, sondern nur ihre Masse. Macht das einen Unterschied?

    Josef Settele: Genau, die Studie sagt, rund drei Viertel der Biomasse fliegender Insekten sind verschwunden. Davon sind natürlich vor allem die Arten betroffen, die einen großen Teil der Biomasse ausmachen, also in der Regel die häufigen Arten und nicht die gefährdeten. Natürlich können häufige Arten irgendwann so stark zurückgehen, dass sie gefährdet sind. Aber das heißt nicht, dass die Insekten verschwunden sind – da denkt man meistens ans Artensterben –, sondern die Masse ist weg. Das ist der kleine, aber wichtige Unterschied. Dennoch sind die Methodik der Erfassung und die Analyse des Trends durchaus in Ordnung.

    Ist die Lage in ganz Deutschland so dramatisch? Oder gar in ganz Europa?

    Settele: Das lässt sich schwer beantworten. Der Schwerpunkt der Studie war in Nordrhein-Westfalen. Da sind die Ergebnisse gut belegt. Die Übertragbarkeit für ganz Deutschland ist schwierig, weil wir dann ja noch ganz andere Naturräume und dazu wenige oder gar keine Daten haben. Es gibt kaum vergleichbares Datenmaterial aus anderen Ländern. Alles in allem spricht aus meiner Sicht vieles dafür, dass der Trend vor allem für den Nordwesten Deutschlands relevant ist. Für andere Regionen sind ähnliche Verhältnisse aber nicht ausgeschlossen.

    Aussterben ist bei Insekten nicht gleich Aussterben

    Ist der Rückgang der Biomasse ein Indiz dafür, dass Arten verschwinden?

    Settele: Das könnte man so sagen. Wenn Arten aussterben, wird natürlich auch deren Masse weniger. Von daher hängt das schon miteinander zusammen. Aber Aussterben ist auch immer eine Frage der betrachteten Region. Nehmen wir das Beispiel der Tagfalter: Da stehen in Nordrhein-Westfalen, wo etwa 130 Arten vorkommen, etwa 80 Prozent auf der Roten Liste. Wenn ich aber ganz Europa betrachte, stehen nur etwa 20 Prozent der Tagfalter auf der Roten Liste. Auf der großen Fläche sind die Arten noch da, auch wenn sie weniger wurden, aber bezogen darauf sind sie nicht ausgestorben. Das wird häufig vermischt. In ganz Europa sind von insgesamt gut 430 Tagfalterarten vier nahezu oder komplett ausgestorben.

    Das heißt, der Insektenschwund kann wieder rückgängig gemacht werden?

    Settele: Das ist die gute Nachricht: Solange die Arten nicht komplett weg sind, hätte man eine gute Chance, dass sich das erholt – wenn die Faktoren, die zum Verschwinden geführt haben, nicht mehr wirken. Die meisten Insekten haben den Vorteil, dass sie sich schnell vermehren und eine schnelle Generationenfolge haben. Bei Wirbeltieren ist das völlig anders, die leben lange, haben wenige Nachkommen.

    Und die schlechte Nachricht?

    Settele: Wir wissen nicht genau, welche Faktoren das sind. Einige sind relativ klar: Nehmen wir an, eine Art braucht ein Hochmoor. Wenn Sie das Hochmoor trocken legen, kann die Art nicht wiederkommen, das ist erst mal trivial, aber sicherlich ein wichtiger Faktor, das Verschwinden des Lebensraums. Schwieriger ist es, wenn man sich große Agrarlandschaften anschaut, da wirken sehr viele Faktoren zusammen. Bei der genannten Studie wurden naturschutzgebietartige Flächen untersucht, die in der Agrarlandschaft liegen. Die Daten sind für die Flächen selber erst mal gültig. Wie sich das, was sich außen herum abspielt, auf diese Flächen auswirkt, ist nicht so klar.

    Aber warum war der Schwund auch in Naturschutzgebieten so groß?

    Settele: Naturschutzgebiete können ganz verschieden sein, viele sind auch unter Nutzung. Wenn zum Beispiel ein Grünland unter Naturschutz steht, ist das nur so lange ein Grünland, wie es genutzt wird, sonst wächst das ja zu. Oder die Wacholderheiden auf der Schwäbischen Alb: Die werden beweidet, das ist also Landwirtschaft. Wir betreiben meist Kulturlandschaftsschutz, weil die Landschaften durch ihre Nutzung so artenreich geworden sind.

    Und trotzdem so ein Schwund?

    Settele: Ein Faktor ist häufig die Aufgabe der Nutzung. Die Wanderschäferei zum Beispiel wird fast nur noch gemacht, weil der Staat dafür bezahlt. Auch Grünland kann ganz verschieden sein. Da gibt es nährstoffreiche Fettwiesen, die mehrmals im Jahr gemäht werden. Die dienen nun vor allem der Verteilung der Gülle. Dann gibt es die Streuwiesen, da sagt es schon der Name, die ganz extensiv genutzt werden oder besser wurden – für die Einstreu in Ställen. Dieses Streu wird aber kaum noch gebraucht. Diese Wiesen leiden seit Jahren massiv am Eintrag von Stickstoff aus der Luft, werden damit fetter, nährstoffreicher und verändern sich entsprechend. Die Spezialisten unter den Arten, die sich an die kargen Bedingungen angepasst haben, sind dann nicht mehr da.

    Welche Rolle spielen die Landwirtschaft und der Einsatz von Chemie?

    Settele: Grundsätzlich ist die Chemie sicher ein wichtiger Faktor: Wenn man direkt dem Giftstoff ausgesetzt wird, hat man natürlich schlechte Karten. Man kann sicher einsparen, Pestizide sind grundsätzlich nicht wünschenswert, auch für unsere Gesundheit nicht. Aber man muss schon genau darauf achten, wo sind sie wichtig für die Ertragssicherung? Wo wird es vielleicht nur prophylaktisch gemacht?

    Jeder kann etwas gegen das Insektensterben tun

    Keiner weiß genau, was die Ursachen sind. Aber was kann man dennoch tun?

    Settele: Man kann die Vielfalt der Kulturlandschaften erhalten, die unser Land historisch ausgemacht hat. Bayern ist darin ganz gut, bei der Almnutzung etwa. Eine andere Komponente wäre gerade in der intensiven Agrarlandschaft die Anreicherung mit Hecken oder Blühstreifen. Die bieten Rückzugsräume für viele Arten, die dann als Gegenspieler für Schädlinge infrage kommen. Zusätzlich schützt das den Boden vor Erosion. Dann müsste man sich genauer anschauen, wo Pestizide wirklich nötig sind. Es gibt leider keine so einfachen Antworten.

    Das sind Aufgaben für die Politik und für die Landwirte. Aber wir alle?

    Settele: Es ist letztendlich eine Frage der Einstellung. Ein großer Teil des Pestizideinsatzes erfolgt nicht in der Landwirtschaft, sondern im Privatbereich. Dort wird da ja auch am wenigsten kontrolliert. Ein Rasen ist vielleicht gut, wenn man Kinder hat, damit die nicht barfuß in den Klee reinlaufen, weil da Bienen sind. Aber man kann Gärten auch anders gestalten, vielfältiger, blütenreicher. Ich merke häufig, wenn man mit Leuten redet und ihnen erklärt, was für Phänomene es in ihrem Garten gibt, werden auch scheinbar langweilige Tiere plötzlich interessant. Also: Mehr hinschauen.

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