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Interview: Übertragung von Krankheiten: Kontakt mit Tieren kann Risiko sein

Interview

Übertragung von Krankheiten: Kontakt mit Tieren kann Risiko sein

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    Tiere übertragen viele Krankheiten auf den Menschen. Professor Mettenleiter hofft, dass Corona diesbezüglich die Sinne schärft. Das Foto zeigt eine Behelfsmaske, die einer Affenstatue engelegt wurde.
    Tiere übertragen viele Krankheiten auf den Menschen. Professor Mettenleiter hofft, dass Corona diesbezüglich die Sinne schärft. Das Foto zeigt eine Behelfsmaske, die einer Affenstatue engelegt wurde. Foto: Felix Kästle, dpa (Symbol)

    Im Zusammenhang mit dem Coronavirus sind Krankheiten, die von Tieren auf Menschen übertragen werden, sogenannte Zoonosen, in den Blick gerückt. Herr Mettenleiter, im Friedrich-Loeffler-Institut testen Sie derzeit einen potenziellen Corona-Impfstoff an Frettchen. Wie ist der aktuelle Erkenntnisstand: Haben wir uns das Virus tatsächlich über Fledermäuse eingefangen, haben wir es also mit einer Zoonose zu tun?

    Prof. Thomas Mettenleiter: Sars-CoV-2 ist ein zoonotischer Erreger, der nicht nur Menschen, sondern auch Tiere infizieren kann. Die Indizien sprechen stark dafür, dass der Ursprung bei Fledermäusen in China liegt.

    Wie hoch schätzen Sie die Gefahr durch Zoonosen in Deutschland ein?

    Mettenleiter: 60 Prozent der menschlichen Infektionskrankheiten stammen ursprünglich von Tieren, darunter die Schweinegrippe und Tollwut. Bei neu auftauchenden Erkrankungen sind es sogar etwa 75 Prozent. Das verwundert nicht, weil der Mensch biologisch Teil des Tierreichs ist. Dass solche Erreger dann auch Menschen befallen, ist nicht überraschend.

    Prof. Dr. Thomas Mettenleiter, 63, leitet das Friedrich-Loeffler-Institut, Bundesforschungsinstitut für Tiergesundheit bei Greifswald.
    Prof. Dr. Thomas Mettenleiter, 63, leitet das Friedrich-Loeffler-Institut, Bundesforschungsinstitut für Tiergesundheit bei Greifswald. Foto: Stefan Sauer, dpa

    Der Kontakt mit Tieren ist ein potentielle Risiko, Krankheiten auf den Menschen zu übertragen

    Viele befürchten, Pandemien wie das Coronavirus könnten in Zukunft öfter drohen. Wie realistisch ist die Sorge, dass Zoonosen häufiger die Gesundheit oder gar das Leben von Menschen gefährden?

    Mettenleiter: Pandemien sind Teil der Menschheitsgeschichte, das ist grundsätzlich also nichts Neues. Schaut man sich die vergangenen zehn, elf Jahre mit Schweinegrippe, Ebola, MERS und weiteren Epidemien an, kann allerdings der Eindruck entstehen, dass sich Zoonosen häufen. Ich bin da vorsichtig, der Zeitraum ist eigentlich zu kurz, um eine seriöse tiefergehende Aussage zu treffen. Mit HIV, Tuberkulose und weiteren Erkrankungen kennen wir auch aus den vergangenen Jahrzehnten gefährliche, ursprünglich aus dem Tierreich stammende Infektionen, die sich bei Menschen verbreitet haben.

    Tuberkulose bei Mensch und Tier

    Die Infektionskrankheit befällt vor allem die Lunge, kann aber auch andere Organe treffen.

    Häufigster Infektionsweg für Menschen ist die Tröpfcheninfektion durch die Luft.

    Die Erkrankung ist medikamentös sehr gut behandelbar.

    Dem Landesamt für Gesundheit zufolge besteht keine erhöhte Infektionsgefahr durch die Rinder-Tbc. Nur bei direktem Kontakt zu kranken Tieren ist eine Ansteckung denkbar.

    Die Tbc bei Menschen ist meldepflichtig. Seit 2001 ging die Fallzahl in Bayern um die Hälfte zurück.

    Rinder-Tbc ist anzeigepflichtig. Tiere bleiben meist lange unauffällig; Organveränderungen fallen oft erst bei der Fleischuntersuchung auf.

    Die Rinder-Tbc ist eine Zoonose: Der Erreger überträgt sich vom Tier auf Menschen und umgekehrt.

    Das Mykobakterium bovis findet sich auch bei Dachsen (in England) und Weißwedelhirschen (USA) oder das Mykobakterium caprae bei Rotwild in Deutschland und Österreich.

    Milch für Verzehr und Verarbeitung muss von Tbc-freien Tieren stammen. Rohmilch, die ab Hof verkauft wird, ist abzukochen.

    Rohmilchkäse darf nur aus Milch von amtlich als Tbc-frei geltenden Herden hergestellt werden.

    Europaweit wird jedes Rind für den menschlichen Verzehr einer Tier- und Fleischuntersuchung unterzogen. Es darf nur verwendet werden, wenn die gesundheitliche Unbedenklichkeit feststeht.

    Betriebe unter Tbc-Verdacht sind mindestens sechs Wochen gesperrt.

    Verdächtige Tiere werden getötet, die Milch der anderen muss erhitzt werden. Tiere dürfen in dieser Zeit nicht verkauft werden.

    Wie genau „entstehen“ Zoonosen, wie kommt es also, dass bestimmte Krankheiten auf den Menschen übertragbar sind und andere nicht?

    Mettenleiter: Manche Infektionen sind recht klar an einen spezifischen Wirt gebunden. Demgegenüber stehen Generalisten, mit denen sich zahlreiche Tiere und auch Menschen infizieren können. Jede Tierart hat sozusagen ein eigenes Erregerspektrum mit Krankheiten, für die sie empfänglich ist. Obwohl wir zum Beispiel eine große genetische Übereinstimmung mit Affen haben, sind nicht alle Infektionen, von denen sie befallen werden, auch auf den Menschen übertragbar.

    Müssen Menschen in Deutschland bei Begegnungen mit Tieren grundsätzlich Angst haben, sich eine Krankheit einzufangen?

    Mettenleiter: Durch das erwähnte individuelle Erregerspektrum verhält es sich ein wenig wie bei einer Wundertüte: Ganz klar kann man nie sagen, wo, wann und von welchem Tier man sich etwas einfangen könnte – und was genau. Viele Zoonosen, ich denke da unter anderem an die Tollwut, Rindertuberkulose und Brucellose, haben wir in Deutschland so gut wie ausgerottet, andere wie die Salmonellosen sind stark zurückgegangen. Der Status, was das angeht, ist in Deutschland insgesamt gut.

    Ein bewusster Umgang mit Tieren kann die Übertragung von Infektionen wie Corona reduzieren

    Könnten Zoonosen in Zukunft auch ganz verschwinden, wenn wir uns entsprechend verhalten?

    Mettenleiter: Das glaube ich nicht, denn Zoonosen sind Teil der Biologie. In welchem Ausmaß solche Infektionen stattfinden, beeinflussen wir aber selbst mit. In der Corona-Krise hat sich gezeigt, wie sehr gewisse hygienische Verhaltensweisen bei uns in den Hintergrund getreten waren. Wir sollten die Sinne schärfen und auch im Umgang mit Tieren einige Standards einhalten – häufiges Händewaschen, keinen zu engen Kontakt und Ähnliches.

    Welche Rolle spielt der legale und illegale Wildtierhandel, den die Bundesregierung nun eindämmen will, bei der Entstehung von Zoonosen?

    Mettenleiter: Grundsätzlich stellt ein enger Kontakt mit Tieren, entsprechend auch der mit Wildtieren, ein potenzielles Risiko für zoonotische Infektionen dar. Und exotische Tiere können dann eben auch „exotische“ Erreger tragen. Insofern bin ich der Meinung, dass eine intensivere Kontrolle des Wildtiermarkts, zum Beispiel mit Registern und einer Nachvollziehbarkeit der Besitzer, eine gute Maßnahme wäre.

    Der Wildtierhandel in Deutschland und seine Folgen

    Gesetze Während es innerhalb Deutschlands, wie auch in anderen europäischen Staaten, grundsätzlich verboten ist, heimische Wildtiere einzufangen, dürfen Tierbestände in Asien, Afrika und Lateinamerika für den Heimtiermarkt in Deutschland exportiert werden.

    Politische Initiative In ihrem Koalitionsvertrag hat sich die Bundesregierung dazu verpflichtet, den Handel mit und die private Haltung von exotischen Tieren und Wildtieren bundeseinheitlich zu regeln und den Import von Wildfängen in die EU sowie gewerbliche Wildtierbörsen in Deutschland zu verbieten. Ende Juli bekräftigte das Bundesumweltministerium auf Anfrage der Grünen, man strebe eine bessere Kontrolle und Nachfragereduktion des Handels mit exotischen Wildtieren für den Heimtiermarkt an.

    Umfang Deutschland ist EU-weit der größte Importeur und Absatzmarkt für lebende Wildtiere. Geschätzt werden in Deutschland jährlich hunderttausende wildgefangene Reptilien, Amphibien, Fische und Säugetiere legal verkauft, darunter auch vom Aussterben bedrohte Arten.

    Folgen Käufer von Wildtieren müssen keine Sachkunde nachweisen. Überforderte Halter setzen ihre Tiere deshalb häufig aus oder geben sie in Tierheimen ab. In einer Umfrage des Deutschen Tierschutzbundes gaben entsprechende Einrichtungen an, in den vergangenen fünf Jahren allein 30 000 Reptilien aufgenommen zu haben. Tierheime geraten in Folge abgegebener Wildtiere an ihre Grenzen hinsichtlich Platz, Personal und Finanzen. 40 Prozent geben an, Probleme damit zu haben, Reptilien ihren Bedürfnissen entsprechend unterzubringen. Eine andere Konsequenz, vor allem des illegalen Wildtierhandels, ist die vermehrte Übertragung von Infektionskrankheiten, sogenannten Zoonosen, auf den Menschen. 2019 gab es in Deutschland laut Bundesumweltministerium über 107 000 potenziell zoonotische Erkrankungen. Die häufigsten Zoonosen waren Campylobacter (61 354 Fälle), Salmonellose (13 694) und Borreliose (12 278). (tril)

    Inwiefern halten Sie es für effektiv, wenn nur Deutschland seine Regeln zum Wildtierhandel ändert? Erachten Sie ein komplettes Verbot des Wildtierhandels als sinnvoll?

    Mettenleiter: Das löst die Problematik sich ausbreitender Krankheiten von Wildtieren auf den Menschen nicht vollkommen. Dennoch halte ich es bei korrekter Umsetzung und Überwachung für einen Schritt in die richtige Richtung, wenn einzelne Länder bei der Regulierung des Wildtierhandels vorangehen. Ein komplettes Verbot birgt die Gefahr des weiteren Ausweichens in die Illegalität, das muss vermieden werden.

    Professor Thomas Mettenleiter: Zoonosen sind Krankheiten, die von Tier auf Mensch übertragen werden

    Welche weiteren Konsequenzen bringt der Wildtierhandel mit sich?

    Mettenleiter: Der Name Wildtiere sagt ja schon aus, dass wir es mit Tieren zu tun haben, die nicht in menschliche Obhut gehören. Ich will nicht kategorisch das Verbot jeglichen Wildtierhandels fordern, es gibt sicher begründete Ausnahmen. Dass der aber nicht dem natürlichen Gang der Dinge entspricht, sollte jedem bewusst sein. Dazu möchte ich aber einen Punkt ergänzen.

    Sehr gerne...

    Mettenleiter: Die Ausbreitung von Zoonosen ist ein komplexer Prozess, sie betrifft nicht allein den Wildtierhandel. Durch die drastische Zunahme der menschlichen Bevölkerung hat der Kontakt mit Tieren, auch Wildtieren, zugenommen und damit auch der Anteil der Zoonosen. Zwei Dinge sind wichtig: erstens die von mir angesprochene Einhaltung hygienischer Standards, zweitens die rechtzeitige Eindämmung von Infektionen, solange sie noch lokal eingrenzbar sind.

    Zur Person: Prof. Dr. Thomas Mettenleiter, 63, leitet das Friedrich-Loeffler-Institut, Bundesforschungsinstitut für Tiergesundheit.

    Aktuelle Informationen erhalten Sie auch hier in unserem Live-Blog zum Coronavirus.

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