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Interview: TV-Star Tyron Ricketts: „Gottschalk sollte sich entschuldigen“

Interview

TV-Star Tyron Ricketts: „Gottschalk sollte sich entschuldigen“

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    Tyron Ricketts spielt in „Herren“ den aus Brasilien stammenden Ezequiel (links), der in einer Kampfsportschule hinschmeißt und sich dann als Kloputzer verdingt.
    Tyron Ricketts spielt in „Herren“ den aus Brasilien stammenden Ezequiel (links), der in einer Kampfsportschule hinschmeißt und sich dann als Kloputzer verdingt. Foto: Arte, BR, cinemanegro Filmproduktion, kineo Filmproduktion, Frédéric Batier

    Herr Ricketts, haben Sie sich über die WDR-Talkshow „Die letzte Instanz“ auch so aufgeregt wie viele andere?

    Tyron Ricketts: Für mich war das leider nicht neu, aber traurig. Und es ist schon schade, dass ein Sender wie der WDR nicht interveniert oder früher dazu Position bezogen hat. Es ist ja nicht das erste Mal. Ich denke da an Dieter Nuhr oder an Jürgen von der Lippe. Der saß mal in der Polit-Talkshow „hart aber fair“ und sagte, er fühle sich als „alter weißer Mann“ diskriminiert.

    In „Die letzte Instanz“ ging es um die Frage, was man überhaupt noch sagen dürfe. Nach „Zigeunersauce“ war schnell vom „Mohrenkopf“ die Rede.

    Ricketts: Ich versuche als Schauspieler und mit meiner Produktionsfirma Panthertainment seit Jahren einen Perspektivwechsel hinzubekommen – weg vom eurozentrischen Weltbild hin zu unserer Normalität, die sehr vielfältig ist. In „Die letzte Instanz“ hat man gut gesehen, dass sich für viele Gleichberechtigung immer noch wie eine Ungerechtigkeit anfühlt. Da saßen nur weiße, privilegierte Menschen auf dem Podium – alle aus dem Showbusiness – und haben sich in Rage geredet. Dadurch hat man immerhin einen Einblick bekommen, wie offensichtlich viele Menschen noch denken.

    Schauspielerin Janine Kunze sagte, sie habe sehr viele „farbige, afroamerikanische Freunde“. Und die hätten noch „nie in ihrem Leben darüber nachgedacht, ob sie sich beleidigt fühlen, weil einer sagt: Kann ich einen Mohrenkopf essen?“.

    Ricketts: An dem Satz stimmt ja gar nichts. Das fängt schon damit an, dass man „Schwarze“, „Afrodeutsche“, „Afroamerikaner“ oder „People of Color“ sagt, und nicht „Farbige“. Dieser Satz strotzt nur so vor Unbedachtheit. Dabei glaube ich, dass es 85 Prozent der Menschen nicht einmal böse meinen, wenn sie sich so ausdrücken. Sie mussten sich eben nie Gedanken machen über ihre Privilegiertheit. Und jetzt sind sie überfordert damit, dass man sensibler mit Sprache umgeht.

    Kunze meinte, die Debatte sei nervig.

    Ricketts: Na klar ist das nervig, wenn man seine gewohnten Denkmuster verlassen muss. Aber die Welt verändert sich.

    Ricketts: "Per Definition war Gottschalks Aussage rassistisch"

    Thomas Gottschalk erzählte in „Die letzte Instanz“, dass er einmal als Jimi Hendrix verkleidet – mit schwarz geschminktem Gesicht – auf einer Party unter weißen Bankern in Beverly Hills war. „Ich hab zum ersten Mal gewusst, wie sich ein Schwarzer fühlt“, sagte er. Ist das rassistisch?

    Ricketts: Per Definition ist das rassistisch. Es ist aber in erster Linie extrem unbedacht gewesen. Und ich glaube auch in dem Fall, dass es gar nicht böse gemeint war. Dennoch: Meine Oma wuchs im Dritten Reich auf. Sie hat auch vieles nicht so gemeint – aber das entschuldigt sie nicht. Dennoch meine ich, dass sich seit dem vergangenen Jahr mit der weltweiten Black Lives Matter-Bewegung etwas zu ändern begonnen hat. Gleichwohl ist Rassismus im Alltag allgegenwärtig: dass man eine Wohnung nicht bekommt, dass man öfters von der Polizei kontrolliert wird, dass man im Gesundheitssystem anders behandelt wird – da kann man nicht wie Gottschalk flapsig dahersagen: Ich fühle mich wie ein Schwarzer.

    Sollte er sich öffentlich entschuldigen?

    Ricketts: Ja. Es wäre gut, wenn er die Größe hätte zu sagen: Ich hab mich da zu weit aus dem Fenster gelehnt. Es würde auf jeden Fall helfen, wenn sich so eine Lichtgestalt des deutschen Unterhaltungsfernsehens entschuldigen würde.

    Sind Sie selbst auch noch Opfer von Alltagsrassismus?

    Ricketts: Selbstverständlich.

    Sie sind in Österreich geboren und haben einen deutschen Pass.

    Ricketts: Und als erstes werde ich immer gefragt: „Woher kommen Sie eigentlich?“ Und damit ist nicht Österreich oder Deutschland gemeint.

    Tyron Ricketts möchte nicht immer nur Gauner spielen, sondern auch mal einen Anwalt.
    Tyron Ricketts möchte nicht immer nur Gauner spielen, sondern auch mal einen Anwalt. Foto: Britta Pedersen, dpa

    Sie haben in mehr als 70 Filmen mitgespielt. Nur in zehn Prozent davon hätten Sie einen „normalen Deutschen“ dargestellt, sagten Sie mal.

    Ricketts: Das ist traurig, ja. Zumal hierzulande ein Viertel der Menschen eine Migrationsgeschichte hat. In Film und Fernsehen kommt diese Realität aber nicht entsprechend vor. Dadurch entsteht der Eindruck, dass all diese Leute nicht dazugehören. So wird die Angst vor dem vermeintlich Fremden geschürt.

    Hat die deutsche Film- und Fernsehbranche ein Problem mit Schwarzen?

    Ricketts: Wir haben ein Problem mit strukturellem Rassismus in unserer gesamten Gesellschaft, also auch in der Film- und Fernsehbranche. Ich habe wahrscheinlich mehr Rollen abgelehnt als angenommen. Denn oft ging es nicht um den Charakter einer Figur, sondern um das Klischee, das um das Schwarzsein herum erzählt wird. Der Schwarze ist dann zum Beispiel der Stein des Anstoßes bei einer Liebesgeschichte. Dabei ist es wichtig, dass der Deutsche mit türkischer Abstammung eben nicht nur als Gemüseverkäufer gezeigt wird und der Schwarze eben nicht nur als Geflüchteter. Ich spiele gerne einen Geflüchteten oder eine Drogendealer, aber ich würde gerne auch mal einen Anwalt oder Bürgermeister spielen. Die Balance der Darstellung muss stimmen.

    In Ihrem Film „Herren“ spielen Sie einen Schwarzen, der in Berlin öffentliche Pissoirs putzt.

    Ricketts: Das klingt nach Klischee, stimmt. Aber der Film bekommt gut den Bogen.

    Wie besonders ist der Film, in dem fast nur schwarze Darsteller zu sehen sind?

    Ricketts: Das ist wirklich besonders. Vor allem aber, dass der Film differenziert: Der eine hat brasilianische Wurzeln, der andere sieht sich als Afrodeutscher, der dritte ist Kubaner mit ostdeutschen Wurzeln... Diese Nuancen sind selten. Und es wird eine ganz normale Familiengeschichte erzählt, in der es auch, aber nicht in erster Linie um Rassismus geht. Fürs deutsche Fernsehen ist das ein Meilenstein.

    TV-Tipp „Herren“ läuft an diesem Mittwoch um 20.15 Uhr im Ersten. Ricketts wurde 1973 als Sohn einer Österreicherin und eines Jamaikaners geboren. Ende der 90er moderierte er im Musiksender Viva. Zudem machte er Rap-Musik, unter anderem mit Mellowbag. Als Schauspieler hatte er Rollen in „Samba in Mettmann“, „SOKO Leipzig“, „Dogs of Berlin“ oder „Die Inselärztin“.

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