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Interview: QAnon-Experte: „Sie holen sich ihren Hass aus dem Netz“

Interview

QAnon-Experte: „Sie holen sich ihren Hass aus dem Netz“

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    Auf einer Corona-Demo in Berlin wehten viele Flaggen von QAnon.
    Auf einer Corona-Demo in Berlin wehten viele Flaggen von QAnon. Foto: Kay Nietfeld, dpa

    Herr Blume, die Internetplattformen Facebook und Instagram wollen künftig alle Seiten mit Inhalten der weltweiten Verschwörungsbewegung QAnon löschen…

    Michael Blume: …und das begrüße ich sehr. Endlich wird entschiedener gegen Verschwörungsmythen vorgegangen. Ich sehe dabei allerdings die Problematik, dass auch Seiten von der Löschung betroffen sein werden, die über diese höchst gefährlichen Verschwörungsmythen informieren. In letzter Konsequenz würde das bedeuten, dass gar keine Aufklärung mehr auf diesen Plattformen stattfinden könnte. Facebook und Instagram müssen hier also unbedingt unterscheiden.

    Kritiker werden von Zensur sprechen. Trifft dies denn zu?

    Blume: Nein. Jede Zeitung muss doch auch entscheiden, welche Leserbriefe sie abdruckt. Hier geht es um das Thema Verantwortung. Gerade ein Unternehmen wie Facebook, das mit den Beiträgen von Nutzern Geld verdient, muss diese redaktionelle Verantwortung übernehmen.

    QAnon-Anhänger verbreiten Verleumdungen über angebliche mächtige Kinderschänder

    QAnon-Anhänger glauben unter anderem, dass eine Elite, zu der etwa US-Präsident Barack Obama oder die US-Spitzenpolitikerin Hillary Clinton von der Demokratischen Partei zählen, Kinder entführe und deren Blut trinke, um sich zu verjüngen. Es geht um einen „tiefen Staat“ im Staat und um die Weltherrschaft.

    Blume: Das Ausmaß und die rasche Verbreitung dieses Verschwörungsmythos beunruhigen mich sehr. Wir haben es mit einer apokalyptischen Digital-Sekte zu tun. Bei QAnon handelt es sich um eine Glaubensgemeinschaft, die sich übers Internet organisiert und im US-Präsidenten Donald Trump den Erlöser sieht: Er führe die Apokalypse, eine Reinigung der Welt, herbei. Allerdings sind bereits mehrere Termine, an denen die alte Welt angeblich untergehen sollte, verstrichen. Für QAnon-Gläubige, die jetzt noch dabei sind, bedeutet das: Entweder geben sie zu, dass sie sich geirrt haben. Oder sie radikalisieren sich weiter. Und genau das passiert in den USA und in Teilen Europas zurzeit. Ich beobachte auf der einen Seite einen Zerfall der Bewegung. Auf der anderen Seite eine Radikalisierung verbleibender Anhänger. Es gibt keinen Grund zur Entwarnung. Ich rechne mit weiterer Gewalt.

    Auch in Deutschland?

    Blume: Digitale Verschwörungsmythen wie QAnon spielen eine Rolle als Auslöser von Taten. Das war sicher in Hanau und Celle so, möglicherweise auch beim Angriff auf einen jüdischen Studenten vor der Hamburger Synagoge oder bei dem Brandanschlag in Marbach am Neckar auf ein Polizeirevier, eine evangelische Kirche und ein Mehrfamilienhaus. Und das sind keine isolierten Einzelfälle: Die mutmaßlichen Täter, auch wenn sie psychisch angeschlagen sein mögen, holen sich ihren Hass aus dem Netz.

    Ist unsere Demokratie gefährdet?

    Blume: Das sehe ich nicht, unsere Republik ist stabil. Aber es ist eine reale Gefahr, für die die Sicherheitsbehörden sensibilisiert werden müssen.

    Michael Blume ist Antisemitismusbeauftragter der baden-württembergischen Landesregierung.
    Michael Blume ist Antisemitismusbeauftragter der baden-württembergischen Landesregierung. Foto: Bernd Weissbrod, dpa

    Was macht QAnon derart gefährlich?

    Blume: Es ist im Unterschied zum Mythos von der angeblich inszenierten Mondlandung eine Art digitales Mitmachspiel, zu dem jeder aktiv mit neuen Inhalten beiträgt. Das macht QAnon so attraktiv. Den Mondlandungs-Verschwörungsmythos kann man glauben oder nicht – bei QAnon aber werden Anhänger zu einem Teil der vermeintlichen Welterlösung.

    Für den Mondlandungs-Verschwörungsmythos werden vermeintliche wissenschaftliche Belege aufgeführt. Aber eine bluttrinkende Elite – ist das nicht besonders abstrus?

    Blume: So etwas gab es im 15. und 16. Jahrhundert schon. Damals warf man Juden und Frauen vor, aus getöteten Kindern Hexensalben herzustellen. In dieser Hinsicht, könnte man sagen, ist QAnon mit dem Stoff Adrenochrom, der aus dem Kinderblut zur Herstellung eines Verjüngungselixiers gewonnen werden soll, erstaunlich unkreativ. QAnon präsentiert alte antisemitische und frauenfeindliche Verschwörungsmythen neu und digital aufpoliert. Leider immer noch mit Wirkung.

    Warum?

    Blume: QAnon liefert Menschen ein Erklärungsmodell in einer unübersichtlichen Zeit. Es liefert einfache Antworten auf höchst komplexe Zusammenhänge und ist ein Mechanismus, Unsicherheit zu bearbeiten. Das Problem: In Verschwörungsmythen fixieren sich Menschen auf ihre Ängste. Sie glauben dann wirklich: Das Böse beherrscht die Welt, ein Erlöser soll uns beschützen.

    Viele Querdenken-Demonstranten sind QAnon-Gläubige

    Auch auf Corona-Demonstrationen werden QAnon-Symbole gezeigt. Wie hoch, schätzen Sie, ist der Anteil von QAnon-Anhängern auf diesen Demos?

    Blume: Ich würde auf keinen Fall sagen, dass eine Mehrheit bei den sogenannten Querdenkern QAnon-Gläubige sind. Aber dass der Stuttgarter Michael Ballweg, auf den die Querdenker-Protestbewegung zurückgeht, auf der großen Demo in Berlin vor kurzem ausgerechnet den QAnon-Slogan „WWG1WGA“ skandierte, das hat mich entsetzt. Das ist völlig unverantwortlich, so etwas tut man nicht. Das radikalisiert Verschwörungsgläubige.

    Was bedeutet der Slogan?

    Blume: Es ist der englische Satz „Where We Go One We Go All“ – „Wo einer von uns hingeht, gehen wir alle hin“. Hinein in die Apokalypse.

    Wenn Facebook und Instagram jetzt QAnon-Inhalte löschen, wird das einen Einfluss auf QAnon haben?

    Blume: Die großen Internetportale können verhindern, dass noch mehr Menschen in diese Bewegung abrutschen. Und das ist dringend nötig. Ich beobachte zum Beispiel gerade, dass QAnon vor allem durch Instagram in die sogenannte Mommy-Blog-Szene vordringt. Das sind Mütter, die über das Thema Kindererziehung schreiben – ein Bereich, den man bislang ja nicht mit politischem Extremismus in Verbindung brachte. Wer bereits radikalisiert ist, wird nach Löschungen allerdings auf Messenger-Dienste wie Telegram ausweichen.

    Wird QAnon einmal ein Ende haben?

    Blume: Einzelne Verschwörungsbewegungen zerfallen, aber die Menschen bleiben ja. Ich hoffe, dass es einen Lerneffekt gibt, dass Menschen nicht immer wieder auf Verschwörungsmythen hereinfallen. Aber die Vorstellung, wir seien von bösen Mächten umgeben, verschwindet nicht. Wenn die Corona-Krise, die dieses Denken sehr stark aktiviert, vorbei ist, werden sich neue Verschwörungsbewegungen bilden. Meine Prognose ist: Es wird dann um das Thema Klimakrise gehen. Anfänge davon gab es bereits. Wir hatten in Stuttgart Demos gegen die Dieselfahrverbote und dabei Dieselfahrer, die sich mit Judensternen aus dem Dritten Reich mit Holocaust-Opfern gleichsetzten. Und diese Form des Antisemitismus grassierte schon vor Covid-19!

    Sind Verschwörungsgläubige überhaupt erreichbar für sachliche Argumente und Aufklärung? Und wie?

    Blume: Umso früher man eingreift, umso besser. Ich stelle zudem fest, dass auch QAnon-Gläubige bisweilen Zweifel bekommen. Das ist ein Grund, weshalb mein Team und ich mit dem Podcast „Verschwörungsfragen“ so aktiv sind. Wir wollen auch sie zum Nachdenken einladen. Sicher sind nicht alle ansprechbar, aber es lohnt sich, um jede Seele zu kämpfen.

    Michael Blume, 44, ist evangelischer Religionswissenschaftler und in Baden-Württemberg Beauftragter der Landesregierung gegen Antisemitismus. Sein aktuelles Buch trägt den Titel „Verschwörungsmythen“.

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