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Interview: Professor Proyer, verschieben sich die Grenzen des Humors?

Interview

Professor Proyer, verschieben sich die Grenzen des Humors?

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    Psychologie-Professor René Proyer sagt: "Humor ist die heitere Gelassenheit gegenüber den Dingen im Alltag."
    Psychologie-Professor René Proyer sagt: "Humor ist die heitere Gelassenheit gegenüber den Dingen im Alltag." Foto: Maike Glöckner

    "Affen brennen hervorragend" - mit dieser und anderen Äußerungen hat der Podcaster und Komiker Felix Lobrecht auf den Brand des Affenhauses in Krefeld zu Neujahr reagiert. Für viele Trauernde sind die Aussagen Lobrechts ein Tabubruch - Fans des Comedians feiern ihn dagegen im Netz für seinen schwarzen Humor.

    Der Psychologie-Professor René Proyer erklärt im Interview, weshalb sich Humor von Mensch zu Mensch unterscheidet und wieso umstrittene humoristische Äußerungen gerade im Netz so kontrovers diskutiert werden. 

    Herr Professor Proyer, was ist Humor?

    René Proyer: Humor lässt sich als heitere Gelassenheit gegenüber den Dingen im Alltag definieren. Davon gibt es unterschiedliche Spielarten: Manche Menschen haben einen Nonsens-Humor, andere reagieren mit Ironie oder Sarkasmus auf alltägliche Dinge. Man muss aber Humor und die Reaktion des Lachens voneinander trennen. Das Lachen ist eine mögliche Reaktion auf einen humorvollen Reiz, etwa eine überraschende Äußerung, die uns unerwartet trifft. Wann jemand lacht und wie stark diese Reaktion ausfällt, ist individuell.

    Welchen Nutzen hat Humor aus evolutionärer Sicht für den Menschen?

    Proyer: Diese Frage ist nicht abschließend geklärt. Allerdings gibt es verschiedene Ansätze, die diskutiert werden. So könnte Humor für die sexuelle Selektion des Menschen von Nutzen sein und einem eventuellen Partner Intelligenz oder Interesse signalisieren. Es ist also vorstellbar, dass die Erfolgswahrscheinlichkeit für eine Beziehung steigt, wenn zwei Menschen über ähnliche Dinge lachen.

    Also verfügt jeder Mensch über Humor?

    Proyer: Die kurze Antwort ist: Ja, klar! Allerdings unterscheiden sich die Menschen ganz erheblich darin, auf welche Art von Humor sie reagieren. Die einen sind eher einfach gestrickt, da reichen dann schon bestimmte Stereotype, zum Beispiel Geschlechterklischees. Dieser Humor ist ganz anders strukturiert als der von Helge Schneider oder Monty Python. Und auch die Humorproduktion unterscheidet sich von Mensch zu Mensch, besonders, was Qualität und Quantität betrifft. Anders gesagt: Nicht jeder, der viele Witze versucht, ist gleichzeitig immer der Lustigste. Den eigenen Humorstil kann man auch testen lassen, zum Beispiel mit einem Online-Tool der Universität Zürich.

    Was die einen lustig finden, geht anderen zu weit. Wieso funktioniert Humor nicht für jeden Menschen gleich?

    Proyer: Das erklärt sich aus unterschiedlichen Werthaltungen und Präferenzen, die jemand mitbringt. Ein gutes Beispiel ist Humor und Religion: Als der Monty Python-Film "Das Leben des Brian" 1980 veröffentlicht wurde, sollten die Schauspieler bei BBC mit Kirchenvertretern diskutieren. Allerdings verändern sich solche Werte natürlich über die Zeit. Und oft ist Humor ja auch nur auf eine bestimmte Gruppe ausgelegt. Das sieht man gut an Gruppen von Gleichaltrigen oder auch am speziellen Humor der Rap-Szene, der allgemeine Regeln bewusst übergeht.

    Äußerungen oder Aktionen von Comedians werden besonders in sozialen Netzwerken häufig sehr kontrovers diskutiert - zuletzt wurde der Podcast-Comedian Felix Lobrecht scharf kritisiert, nachdem er über die toten Affen von Krefeld gewitzelt hatte. Wieso ruft Humor im Internet so heftige Reaktionen hervor?

    Proyer: Vermutlich deshalb, weil es deutlich einfacher geworden ist, darauf zu reagieren: Wo Sie früher einen Leserbrief schreiben mussten, reicht es heute, einen Kommentar im Netz abzugeben. Und umgekehrt ist es für Produzenten auch einfacher geworden, Grenzen auszuloten, weil für alles ein Publikum verfügbar ist. Darüber hinaus sehe ich im Netz aber keine grundlegend anderen Mechanismen als im analogen Bereich.

    In den USA sind die Reaktionen auf umstrittenen oder beleidigenden Humor teils noch heftiger - vor allem dann, wenn Minderheiten die Zielscheibe sind. In den vergangenen Monaten wurde zum Beispiel über die indischstämmige Figur Apu bei den "Simpsons" oder teils jahrealte Tweets von Prominenten diskutiert. Verschieben sich im Moment die Grenzen dessen, was Humor darf?

    Proyer: Nein, es geht dabei eher darum, dass viele Menschen Darstellungen aus der Vergangenheit heute nicht mehr in Ordnung finden. Stereotype, wie sie sich zum Beispiel in der Figur Apu zeigen, nutzt man heute nicht mehr. Das heißt nicht, dass man es nicht mehr darf, bedeutet aber, dass man provoziert, wenn man es trotzdem tut. Bei vielen Künstlern im Humorbereich ist es zudem so, dass man früher noch besser zwischen Kunstfigur und Mensch trennen konnte. In Zeiten der sozialen Netzwerke ist das schwieriger geworden, weil man nicht mehr unterscheiden kann, welche Äußerung aus dem privaten Bereich kommt und welche von der Kunstfigur. Dann fallen kontroverse Witze natürlich auf den Urheber zurück.

    Wird Humor denn zunehmend in beleidigender Weise, zur Unterdrückung von Minderheiten oder zur Verbreitung von Stereotypen genutzt?

    Proyer: Nein, Humor wurde schon immer so verwendet. Das Ziel kann auch nicht sein, alles zu verhindern oder gleichzumachen, aber irgendwo gibt es eine Grenze. Wenn Humor bewusst gegen unterdrückte Gruppen gerichtet wird, ist das eine Art Mobbingkultur, und das muss man verhindern.

    Sie sagen, dass sich Werthaltungen und damit auch Humor verändern. Welche Chancen bietet das Netz denn für Humor?

    Proyer: Im Internet bietet sich sicherlich die Möglichkeit, neue Ausdrucksformen auszuprobieren. Allerdings gibt es auch Risiken. Betrachtet man die Streiche, die im Netz unter dem Begriff "Pranks" gezeigt werden, kommen einem teilweise ethische Zweifel. Ich setze da auf Medienkompetenz: Menschen verschiedener Altersklassen müssen gemeinsam ausloten, was geht.

    Zur Person: René Proyer ist Professor für Psychologische Diagnostik und Differentielle Psychologie am Institut für Psychologie der Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg. Er forscht unter anderem im Bereich der Positiven Psychologie, zu Verspieltheit im Jugend- und Erwachsenenalter sowie zu Berufsinteressen bei Jugendlichen.

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