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Interview: Karin Hanczewski: "Ich will nicht in Schubladen gedacht werden"

Interview

Karin Hanczewski: "Ich will nicht in Schubladen gedacht werden"

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    Karin Hanczewski spielt seit 2016 eine der Hauptrollen beim "Tatort" in Dresden.
    Karin Hanczewski spielt seit 2016 eine der Hauptrollen beim "Tatort" in Dresden. Foto: Jeanne Degraa

    Frau Hanczewski, jemand hat Ihnen mal geraten, im „Tatort“ nicht so viele Karohemden zu tragen – um nicht die „nächste Ulrike Folkerts“ zu werden. Zuvor hatten Sie sich geoutet. Und welches Outfit trugen Sie im Dresdner Fall vom Sonntag? Ein Karohemd. Statement oder Zufall?

    Karin Hanczewski: Das war nicht bewusst (lacht). Ich persönlich trage zwar sehr gerne Karohemden, aber das sollte kein Statement sein. Und ich bin sicher, vor unserer Initiative #actout hätte sich auch niemand etwas dabei gedacht, wenn meine Figur solche Hemden trägt – außer die Menschen, die mir einst davon abgeraten haben.

    Inwieweit können Sie die Figur der Karin Gorniak selbst prägen?

    Hanczewski: Am Entwickeln der Bücher bin ich nicht beteiligt. Ich bekomme das Buch, wenn es fertig ist, und habe dann einen gewissen Raum, eigene Gedanken einfließen zu lassen. Gerade in den Rollen der Kommissar:innen besteht die Gefahr, nur eine Funktion zu erfüllen. Die großen Dramen spielen andere – obwohl das bei uns jetzt schon einige Male auch anders war. Grundsätzlich versuchen meine Kollegin Cornelia Gröschel und ich, in den Büchern immer etwas über die Beziehung zwischen Leo und Karin einfließen zu lassen. Etwas, woran man erkennt: „Okay, das sind jetzt Karin Gorniak und Leonie Winkler – und nicht zwei andere Kommissarinnen.“

    Zum Beispiel?

    Hanczewski: Wir versuchen, in der Beziehung zwischen den Kommissarinnen etwas herauszuarbeiten, was diese Beziehung spezifisch macht. Beide tun ihre Arbeit aus vollem Herzen, haben aber trotzdem eine andere Energie und Art, an die Sache ranzugehen. Gorniak ist zuletzt immer impulsiver geworden, hört auf ihren Instinkt, während Winkler die Dinge sehr korrekt angeht und verkopfter ist. Wie gehen sie damit um, wenn sie nicht einer Meinung sind? Wie zeigt man sie als Individuen und trotzdem als Team? Die feinen Nuancen zu erarbeiten, finde ich spannend. Und die Figuren entwickeln sich ja auch von Fall zu Fall.

    Leonie Winkler (Cornelia Gröschel) und Karin Gorniak am Tatort in Dresden: Anna Schneider (Milena Tscharntke) ist auf offener Straße tot zusammengebrochen.
    Leonie Winkler (Cornelia Gröschel) und Karin Gorniak am Tatort in Dresden: Anna Schneider (Milena Tscharntke) ist auf offener Straße tot zusammengebrochen. Foto: Hardy Spitz, MDR/MadeFor

    Theoretisch kann sich Gorniak unbegrenzt weiterentwickeln. Zum Beispiel zu einer Person werden, von der Sie persönlich sagen, dass sie bisher im deutschen Film und Fernsehen fehlt: nämlich eine Figur außerhalb sexueller Schubladen. Eine heterosexuelle Frau, die vielleicht Kinder hat, sich dann in eine Frau verliebt. Wäre das denkbar?

    Hanczewski: Komplex erzählte Figuren wünsche ich mir generell mehr im deutschen Fernsehen. Biografien richten sich nicht nach einer gesellschaftlichen Norm. Das auszuloten in Figuren ist spannend. Wenn es also eine tiefere Komplexität gäbe für Karin Gorniak: auf jeden Fall! Ich glaube nicht an Eindeutigkeiten. Wenn man sich öffnet und all dem Raum gibt, was in einem schlummert, kann man von sich selbst durchaus überrascht werden.

    Den „Tatort“ sehen im Schnitt acht Millionen Menschen. Menschen mit den verschiedensten sozialen, persönlichen, sexuellen, familiären Hintergründen. Bietet der „Tatort“ all diesen Zuschauerinnen und Zuschauern Identifikationsfiguren?

    Hanczewski: Nein. Der „Tatort“ ist mir persönlich zu weiß und heteronormativ. Ich wünsche mir mehr Vielfalt und da bin ich nicht die Einzige.

    Im Februar haben sich 185 Menschen aus der Film- und Theaterbranche öffentlich geoutet: als lesbisch, schwul, bi, queer, nicht-binär und transsexuell. Sie waren eine der Initiatorinnen der Initiative #actout. Kam danach jemand vom „Tatort“ auf Sie zu und sagte: „Lass uns den Krimi vielfältiger machen?“

    Hanczewski: Nein, vom „Tatort“ direkt nicht. Es gab aber Gesprächsangebote vonseiten einiger Sender. Da wurde aber eher darauf verwiesen, wie viele queere Themen es bereits in den produzierten Filmen gebe. In den USA gibt es recht viele Serien, die von der Hauptfigur mitproduziert und mitgeschrieben werden. Ich gebe einer Figur, einem Film, einer Geschichte ja nicht nur mein Gesicht, sondern auch meine eigenen kreativen Denkprozesse. Mir wäre sehr daran gelegen, mich als Künstlerin auch inhaltlich mehr einfließen zu lassen. Das ist, nicht für alle, aber doch für viele Autor:innen und Produzent:innen noch scheinbar gewöhnungsbedürftig. Multiperspektivität ist eine Bereicherung und macht jede Geschichte gehaltvoller und komplexer.

    Das Team von "Tatort" Berlin: Meret Becker mit ihrem Kommissar-Kollegen Mark Waschke.
    Das Team von "Tatort" Berlin: Meret Becker mit ihrem Kommissar-Kollegen Mark Waschke. Foto: Annette Riedl, dpa

    Sehen Sie es schon als Fortschritt, dass mit Mark Waschke alias Robert Karow ein bisexueller Ermittler im Berliner „Tatort“ im Einsatz ist?

    Hanczewski: An Mark Waschkes Figur ist doch das Tolle, dass sie nicht erklärt wird. Sie findet in all ihren Ambivalenzen statt. Durch sein großes Publikum hat der „Tatort“ die Möglichkeit, viele Menschen zu erreichen. Diese Möglichkeit sollte nicht ungenutzt bleiben.

    Für #actout erhielten Sie den Deutschen Schauspielpreis. In Ihrer Rede meinten Sie, dass Sie nicht in einer Branche arbeiten wollen, „in der es Rassismus, Sexismus und Antisemitismus gibt“. Wie tief ist das verankert?

    Hanczewski: Das ist ein gesamtgesellschaftliches Problem, nicht das Problem einer Branche. An wen werden Jobs vergeben? Wer sitzt auf den hohen Posten? Wie eklatant sind Gehaltsunterschiede? Ich sehe es als meine Pflicht, mich damit auseinanderzusetzen. Weil mir bewusst ist, dass ich privilegiert bin. Weil ich weiß bin, weil ich so aussehe, wie ich eben aussehe. People of Colour erleben sehr viel Diskriminierung, auch Menschen mit Behinderung. Das passiert im Film und in der Gesellschaft gleichermaßen. Man würde denken, dass eine künstlerische Branche ein paar Schritte weiter ist. Aber das stimmt nicht.

    In Ihrer Initiative beklagten Sie, dass Schauspielende ihre sexuelle Identität geheim halten müssten, weil sie sonst keine Mainstream-Rollen bekämen. Und Sie forderten mehr Diversität im Film. Ihr Ziel: Jede und jeder soll alle Rollen spielen dürfen, unabhängig von der eigenen Person. Die Reaktionen?

    Hanczewski: Extrem positiv. Ich habe nicht eine negative Nachricht bekommen. Ich persönlich bin sehr dankbar für all die Menschen, die an #actout teilgenommen und die Wichtigkeit in diesem Schritt gesehen haben. #actout war für mich ein ungemein solidarischer, bestärkender und befreiender Akt. Wir akzeptieren nicht länger, dass wir aufgrund unserer Identitäten reduziert werden und uns abgesprochen wird, dass wir unseren Beruf ausüben können. Ich fühle mich auch auf persönlicher Ebene befreit. Aber es gibt eine Sache, die mich ein wenig irritiert.

    Welche denn?

    Hanczewski: Ich habe das Gefühl, dass etwas missverstanden wurde. Die Rollen, die ich seit #actout angeboten bekomme, sind allesamt lesbisch. Damit habe ich keine Schwierigkeiten, ich kann diese Figuren sehr gerne erzählen, wenn sie für mich interessant sind. Aber es geht mir nicht darum, nur noch lesbische Figuren zu spielen. Das geht vorbei an dem, was wir gesagt haben. Wir sind Schauspieler:innen, wir müssen nicht sein, was wir spielen, wir tun so, als wären wir es. Das ist unser Beruf. Dass ich jetzt nur noch lesbische Rollen angeboten bekomme, ist ein Missverständnis dessen, was wir tatsächlich gesagt haben: nämlich, genau diese Grenzen zu sprengen. Ich will nicht in Schubladen gedacht werden. Mein Beruf ist das Gegenteil.

    Schauspieler Ulrich Matthes nahm als einer der Prominentesten an #actout teil.
    Schauspieler Ulrich Matthes nahm als einer der Prominentesten an #actout teil. Foto: Britta Pedersen, dpa

    Warum kam das so?

    Hanczewski: Ich glaube nicht, dass dahinter ein böser Wille steht. Es gibt eine Verwirrtheit und Vorsicht, etwas falsch zu machen. Die Verantwortlichen wollen, so scheint es mir, alles richtig machen, wenn sie die Rolle eines Schwulen oder einer Lesbe jetzt homosexuellen Schauspieler:innen geben. Das ist ein komplexes Thema. Es ist auch eine Frage um die Teilhabe. Dass ich jetzt nur noch Angebote für lesbische Rollen erhalte, sehe ich mit Humor und einer gewissen Neugierde. Aber wenn ich auch in zwei Jahren nur noch lesbische Rollen angeboten bekomme und es anderen ähnlich geht, dann wäre die Frage, ob wir noch ein zweites Manifest veröffentlichen sollten (lacht).

    Viele Schauspielerinnen und Schauspieler waren besonders erfolgreich, wenn sie sich extrem verwandelten. Eddie Redmayne wurde gefeiert für den Film „The Danish Girl“, in dem sich seine männliche Figur einer Operation zur Frau unterzieht. Daniel Day-Lewis bekam für die Rolle des schwerbehinderten Künstlers Christy Brown den Oscar. Die Produktionsfirma Amazon Studios will so etwas nicht mehr. Ab sofort sollen dort Schauspielende und ihre Rolle in Identität, ethnischer Zugehörigkeit, sexueller Orientierung, Behinderung und Nationalität übereinstimmen. Sie selbst dürften also nur noch queere Frauen mit polnischer Migrationsgeschichte spielen. Überzeugt Sie das?

    Hanczewski: Für mich steht das im Widerspruch zu meinem Beruf. Ich habe ihn begonnen, weil ich mich mit etwas anderem auseinandersetzen wollte als mit mir selbst. Mit anderen Biografien, anderen Lebensrealitäten. Für mich hört der Beruf auf, wenn ich nur noch das spielen kann, was ich bin. Die Kunst eröffnet neue Sichtweisen, schafft Sichtbarkeit und vermag vermeintliche Grenzen zu sprengen. Deshalb liebe ich Kunst. Trotzdem ist das Thema komplex, denn: Alle sollen alles spielen dürfen, aber das ist noch nicht der Fall, denn Transpersonen bekommen derzeit fast gar keine Rollen. Und wenn dann mal eine Transperson in einem Film erzählt wird, spielt das auch eine heterosexuelle Person. Dann gibt es für diese Künstler:innen gar keinen Raum.

    Also braucht es doch so eine Regel, zumindest bis sich in den Köpfen etwas ändert?

    Hanczewski: Ich weiß nicht. Das ist schwierig zu beantworten. Vielleicht ist das eine Übergangsphase. Es geht darum, dass die Personen, die aufgrund ihrer Hautfarbe, ihres Körpers oder ihrer sexuellen Identität keine Rollen bekommen, endlich arbeiten können. Dass es selbstverständlich ist, dass ein Transmann einen Cis-Hetero-Mann spielen kann. Es braucht eine Diskussion innerhalb der Filmbranche. Das Geschäft muss auf allen Ebenen selbstverständlich divers sein, bei den Leuten, die Filme und Serien schreiben, die sie produzieren, die spielen. Wir müssen gemeinsam darüber nachdenken, wie wir das schaffen. Und letztendlich wird das eine Bereicherung sein. Davon bin ich zutiefst überzeugt.

    Wie lange wird das noch dauern?

    Hanczewski: So viele Menschen haben lange vor uns diesen Weg beschritten und sich für Gleichheit eingesetzt. Es gibt einen Satz der feministischen Schriftstellerin Audre Lorde: „Ich bin nicht frei, solange noch eine einzige Frau unfrei ist, auch wenn sie ganz andere Fesseln trägt als ich.“ So ähnlich kann man das, glaube ich, für alle Identitäten, die von Diskriminierung betroffen sind, sagen. Und ich habe leider das Gefühl, dass es noch ein weiter Weg ist. Aber wir tun unser Bestes.

    Zur Person: Karin Hanczewski, 39, spielt seit 2016 die Kommissarin Karin Gorniak im Dresdner „Tatort“. Ihre Familie stammt aus Polen, sie ist in Berlin aufgewachsen und lebt dort.

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