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Interview: Expertinnen: Das muss bei der Corona-Warn-App noch deutlich besser werden

Interview

Expertinnen: Das muss bei der Corona-Warn-App noch deutlich besser werden

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    Die offizielle Corona-Warn-App auf einem Smartphone.
    Die offizielle Corona-Warn-App auf einem Smartphone. Foto: Oliver Berg, dpa

    19,8 Millionen Menschen haben in Deutschland die Corona-Warn-App heruntergeladen. Sie hat damit eine deutlich höhere Akzeptanz in der Bevölkerung als vergleichbare Angebote in anderen Ländern. Dennoch ist sie noch kein entscheidendes Schwert im Kampf gegen die Ausbreitung des Coronavirus, wie am Dienstag auch Bayerns Ministerpräsident Markus Söder (CSU) monierte. Das hat verschiedene Gründe, sagen Netzexpertinnen wie Linken-Bundestagsabgeordnete Anke Domscheit-Berg und Ann Cathrin Riedel, Vorsitzende von LOAD ev Verein für liberale Netzpolitik. Ein entscheidender: die schlechte Informationspolitik der Bundesregierung.

    Im Frühjahr haben sich viele Experten über die richtige Ausgestaltung der Corona-Warn-App gestritten. Im Juni stand eine App zum Download, die auch Sie im Interview mit dieser Zeitung als einen guten Kompromiss aus Wirksamkeit und hohem Datenschutz bewertet haben. Bislang haben 19,8 Millionen Menschen in Deutschland die Corona-Warn-App heruntergeladen. Ist sie das gewünscht scharfe Schwert im Kampf gegen das Coronavirus?

    Ann Cathrin Riedel: Zum einen: Man muss anerkennen, dass die Diskussion rund um die Entwicklung der App ein Paradebeispiel für eine lebhafte demokratische Gesellschaft war. Zum anderen: Meine Erwartungen hat die Corona-Warn-App erfüllt. Sie ist ja nur ein Baustein und ein Testballon, ob eine Tracing-App bei der Eindämmung einer Pandemie unterstützen kann. Eine App hilft nicht gegen Viren. Das muss klar sein. Die Regierung muss dahingehend ehrlich kommunizieren. Das heißt: Sagen, wo die App helfen konnte und wo der eine oder andere falsche Erwartungen hatte.

    Ann Cathrin Riedel sieht die Corona-Warn-App als einen Baustein im Kampf gegen die Ausbreitung des Coronavirus.
    Ann Cathrin Riedel sieht die Corona-Warn-App als einen Baustein im Kampf gegen die Ausbreitung des Coronavirus. Foto: Hendrik Wieduwilt

    Mit der Kommunikation der Bundesregierung im Zusammenhang mit der App sind Sie nicht zufrieden, Frau Domscheit-Berg…

    Anke Domscheit-Berg: Das stimmt. Ich fordere seit einiger Zeit, dass die Regierung und vor allem die Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung endlich aktiver und intensiver über die sinnvolle Nutzung der App aufklären. Die Wirksamkeit der Corona-Warn-App hängt ja auch nicht nur davon ab, wie viele sie auf ihr Handy heruntergeladen haben, sondern etwa auch davon, wie viele positiv getestete Menschen sich dafür entscheiden, ihre Kontakte über das System zu warnen.

    Bundestagsabgeordnete Anke Domscheit-Berg moniert schlechte Kommunikation der Bundesregierung in Sachen Corona-Warn-App.
    Bundestagsabgeordnete Anke Domscheit-Berg moniert schlechte Kommunikation der Bundesregierung in Sachen Corona-Warn-App. Foto: Jesco Denzel

    Laut Klaus Reinhardt, Präsident der Bundesärztekammer, tragen nur 60 Prozent der Nutzerinnen und Nutzer ein positives Ergebnis in die App ein. Woran liegt das?

    Domscheit-Berg: Viele Menschen wissen noch immer viel zu wenig über die App - zum Beispiel, dass die Warnung Dritter über die App anonym erfolgt. Sie fürchten grundlos Nachteile, wenn sie einen positiven Test hochladen. Andere glauben, dass Dritte automatisch gewarnt werden, wenn sie selbst ein positives Testergebnis in der App erhalten - was nicht der Fall ist. Die Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung hätte eine wichtige Rolle bei der Aufklärung der Bevölkerung spielen können, hat dabei aber völlig versagt. Auf deren Website gibt es kein einziges Suchergebnis zu „Corona-Warn-App“, selbst auf ihrer Infektionsschutzseite sind die Informationen unvollständig. Aufklärungsbedarf gibt es auch auf Seiten der Ärztinnen und Ärzte: Viele Menschen erzählen mir, dass ihnen nur ein Zettel vorgelegt wurde zum Einscannen des Barcodes, damit ihre App ein Testergebnis vom zentralen Server abholen kann. Genauso entscheidend ist aber auch das Laborbegleitformular, in dem anzukreuzen ist, dass man einer Übermittlung des Ergebnisses in die App zustimmt. Hier scheint es fehlerhafte Prozesse in vielen Arztpraxen zu geben, da müssen kassenärztliche Vereinigung und der Ärztebund mehr aufklären und Ärztinnen und Ärzte in die Pflicht nehmen.

    Das heißt, die Aufgabe wäre: mehr Aufklärung, damit die App entscheidend zur Eindämmung der Pandemie beitragen kann?

    Riedel: Nochmal: Eine Corona-Warn-App, gleich wie gut sie entwickelt oder kommuniziert ist, ist kein Allheilmittel. Es braucht klar kommunizierte, schlüssige, verständliche Regeln und Abläufe.

    Domscheit-Berg: Die Kommunikation der App ist wie erwähnt tatsächlich nicht das einzige Problem. Es gibt einige andere. Ein Beispiel: Zu Beginn waren nur 20 Prozent der Labore in der Lage, Testergebnisse digital an die Corona-Warn-App zu schicken - was für ein Armutszeugnis für den Stand der Digitalisierung im Gesundheitswesen! 100 Prozent sind es auch Monate später nicht. Immer noch erhalten viele Getestete ihre Testergebnisse nur analog, mit drei bis vier Tagen Verspätung, müssen auf Datenschutz verzichten und bei der Verifikationshotline ihre Handynummer angeben. Das zeigt, wie wichtig es ist, die App nicht allein zu betrachten, sondern in einem Ökosystem, in dem viel mehr als nur eine App funktionieren muss, um ihren ganzen Nutzen zu ermöglichen.

    „Befund negativ“ – das will natürlich jeder lesen, der die Corona-App auf dem Smartphone hat. Über die Effektivität der App wird allerdings gestritten.
    „Befund negativ“ – das will natürlich jeder lesen, der die Corona-App auf dem Smartphone hat. Über die Effektivität der App wird allerdings gestritten. Foto:  Kappeler, dpa

    Sehen Sie Chancen, die App durch weitere Funktionen zu einem schärferen Schwert zu schmieden?

    Riedel: Davon halte ich nichts, die App sollte nicht überfrachtet sein. Die Eingabe von Symptomen: okay. Ein Kontakttagebuch: absolut sinnvoll. Aber das reicht dann auch. Insbesondere sollte darauf verzichtet werden, Verhaltensweisen in meiner Umgebung mitzutracken. Wenn das unbedingt passieren soll, dann bitte in einer separaten Anwendung. Dafür bräuchte es nämlich Ortungsdaten - und die sollten auf keinen Fall mit in der Corona-Warn-App gespeichert liegen. Da sollte weiterhin die Prämisse gelten: „Better safe than sorry.“

    Domscheit-Berg: Das sehe ich auch so: Eine genaue Angabe von Ort und Zeitpunkt des Risikokontaktes halte ich für nicht vereinbar mit den hohen Ansprüchen an den Datenschutz, die wir in Deutschland im Zusammenhang mit der Corona-Warn-App bisher erhoben haben und die sicher der Hauptgrund dafür sind, dass in Deutschland im Vergleich zu anderen Ländern die App überdurchschnittlich häufig genutzt wird. Diesen Vorteil sollten wir nicht verspielen. Ich halte die Angabe des Tages, an dem ein Risikokontakt stattfand, für ausreichend. Nachbessern sollte man jedoch die aktuell sehr ungenauen Angaben zum Tag. Mich hat die App an einem Donnerstagabend darüber informiert, dass ich „vor drei Tagen“ mehrere hohe Risikokontakte hatte. Ob „vor drei Tagen“ aber Montag oder Dienstag der Woche hieß, war völlig unklar - die Hotline sagte mir: „Dienstag.“ Laut veröffentlichtem Programmcode der App war es aber der Montag. Noch irritierender war, dass die App am Tag danach bis zum täglichen Datenabgleich am Abend immer noch „vor drei Tagen“ anzeigte. Solche Anzeigen stiften Verwirrung. Die präzisere Angabe des Tages würde die Einschätzung des persönlichen Risikos schon erleichtern.

    Expertin Anke Domscheit-Berg sieht weiterhin sehr großes Potenzial für die Corona-Warn-App.
    Expertin Anke Domscheit-Berg sieht weiterhin sehr großes Potenzial für die Corona-Warn-App. Foto: dpa

    Welchen Anteil kann die App denn Ihrer Meinung nach bei der weiteren Bekämpfung der Ausbreitung des Coronavirus haben?

    Domscheit-Berg: Ich sehe weiterhin sehr große Potentiale. Aber nur mit einer Verbesserung der Prozesse zwischen Testzentren, Arztpraxen und Laboren und durch Aufklärung aller Beteiligten im System. Diese Hausaufgabe sollten Bundesregierung, Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung und kassenärztliche Vereinigung erledigen - und zwar bald.

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