Frau Strobl, wo haben Sie am Wahlsonntag die Bundestagswahl verfolgt?
Christine Strobl: Zuhause. Der Fernseher und das digitale Angebot der ARD Mediathek liefen parallel.
Hat Ihnen gefallen, was Sie im Ersten gesehen haben?
Strobl: Absolut, ich war wirklich den ganzen Abend über sehr zufrieden. Wie Jörg Schönenborn über Stunden in einer großen Ruhe die Zahlen präsentiert und eingeordnet hat. Und das Moderationsduo Tina Hassel und Ingo Zamperoni sieht man ja auch nicht jeden Tag zusammen mit ihm – das hat schon sehr gut harmoniert.
Zamperoni musste sich heftige Kritik von AfD-Spitzenkandidatin Alice Weidel anhören. Die sprach von einer medialen „Wettbewerbsverzerrung“ im Wahlkampf – man habe die Grünen „nach oben gejuxt“.
Strobl: Ja, und Alice Weidel war ja später auch in der „Berliner Runde“ zu sehen, wo sie sich sehr abfällig über das Bundesverfassungsgericht äußerte. Ich halte es grundsätzlich für problematisch, Institutionen – und auch die öffentlich-rechtlichen Sender – derartig grundlos und abfällig zu diskreditieren. Im Falle der AfD ist das eindeutig Kalkül. Die öffentlich-rechtlichen Sender achten gerade in Wahlkampfzeiten und an Wahltagen sehr auf Chancengleichheit für alle Parteien. Der Vorwurf von Frau Weidel ist nicht aufrechtzuerhalten.
Kritik hatte es zuvor am Format „Triell“ gegeben, also der Runde der beiden Kanzlerkandidaten und der Kanzlerkandidatin. Vor allem Ihr Stellvertreter in der Programmdirektion, ARD-Chefredakteur Oliver Köhr, wurde für seine gemeinsame Moderation mit Maybrit Illner (ZDF) scharf kritisiert. Unter anderem, weil die beiden sich ständig ins Wort fielen. Haben Sie mit ihm darüber gesprochen?
Strobl: Klar, wir sitzen ja im gleichen Büro. Wir beide sind nicht glücklich mit dem Triell gewesen, auch, weil durch einen Softwarefehler bei einem Dienstleister die Messung der jeweiligen Redeanteile der Kandidaten nicht funktioniert hat. Auch dadurch konnten besprochene Abläufe nicht eingehalten werden und so konnte auch die Moderation nicht mehr überzeugen. Alle wichtigen Themen wurden aber angesprochen. Es hat lebhafte Diskussionen gegeben, das ist das Wichtigste.
Müsste man das Format nicht reformieren? Was spräche gegen eine monothematische Debatte über ein Thema – anstatt das Abarbeiten von vielen Themen in viel zu kurzer Zeit?
Strobl: Wir hatten in diesem Jahr die Sondersituation, dass drei und nicht zwei Kandidaten ums Kanzleramt kämpften und es keine Amtsinhaberin gab. Aber sicher: Wir werden unsere Schlüsse ziehen. Dazu gehört, dass sich die Trielle insgesamt – die kommerziellen Sender zeigten ja auch welche – recht ähnelten, die Fragen eingeschlossen. Im Vorfeld der nächsten Bundestagswahl werden wir sehr genau überlegen müssen, was wir machen und in welcher Konstellation. Ich traue uns da neue Ideen zu – und da ist ein monothematisches Format durchaus eine denkbare Variante.
Wie bewerten Sie die Berichterstattung der Konkurrenz am Wahltag? Fangen wir mit RTL an, das relevanter werden möchte und bereits ab 12 Uhr sendete?
Strobl: Dass RTL so ein Angebot macht, ist nachvollziehbar. Ich glaube aber, die Zuschauerinnen und Zuschauer vertrauen dem Original in Sachen Informationskompetenz. Das zeigen die Einschaltdaten ja recht eindeutig.
Das Springer-Medium Bild TV zeigte die 18-Uhr-Prognosen von ARD und ZDF, und zwar mit deren Livebildern. Später übertrug es minutenlang die „Berliner Runde“ von ARD und ZDF.
Strobl: Es ist ja erstmal erfreulich, dass Bild, die uns ja sonst täglich heftig kritisiert, unser Programm für so bedeutsam hält, dass sie das eins zu eins und im Falle der „Berliner Runde“ für fast 13 Minuten übernimmt. Wir haben uns dennoch entschlossen, rechtlich gegen Bild TV wegen der aus unserer Sicht rechtswidrigen Übernahme unserer Berichterstattung vorzugehen.
Strobl: "Inhaltlich überzeugt mich Bild TV nicht"
Welchen Eindruck haben Sie von Bild TV? Manche nennen es das deutsche Fox News und meinen damit, es verbreite rechte Propaganda.
Strobl: Der ambitionierte Versuch, Zeitung und Fernsehen zusammenzubringen, ist nicht uninteressant. Aber ich finde die Art der Berichterstattung hochproblematisch: diese Art des Zuspitzens, diese Ausrichtung auf eine Spaltung der Gesellschaft und der Umgang mit Fakten. Im Übrigen ist das Angebot bisher neben aktuellen Strecken überwiegend durch Wiederholungen von Dokus geprägt – über Modellbauer im Hobbykeller beispielsweise. Den großen Einschaltimpuls löst das nicht aus, das sieht man auch an den Zahlen. Inhaltlich überzeugt mich Bild TV nicht.
Wie erleben Sie die regelmäßige, heftige Kritik insbesondere der Springer-Medien Bild und Welt an den öffentlich-rechtlichen Sendern? Würden Sie von einer Kampagne sprechen?
Strobl: Ich würde nicht von Kampagne sprechen, aber es wird eindeutig ein Ziel verfolgt: den öffentlich-rechtlichen Rundfunk in seiner Gesamtheit zu diskreditieren. Kein Problem habe ich damit, dass auf unsere Fehler geschaut wird. Die passieren. Doch nicht alles, was Bild ununterbrochen zum Thema gemacht hat, war kritikwürdig.
Ex-Verfassungsschutzchef Hans-Georg Maaßen forderte eine Überprüfung der charakterlichen Eigenschaften von „Tagesschau“-Redakteuren. Wie hart trifft Sie so etwas?
Strobl: So ein Angriff ist absurd und darf einfach keine Wirkung entfalten. Wichtig ist, dass wir uns jeden Tag neu überprüfen und Fehler, die wir erkennen, abstellen. Wir dürfen uns weder einschüchtern noch beeinflussen lassen, wie und über was wir berichten. Ich weiß, dass die persönliche Beeinträchtigung einzelner Kolleginnen und Kollegen durch derartige Angriffe manchmal Ausmaße annimmt, die Grenzen weit überschreiten, im Übrigen nicht nur im Bereich der Politik.
Werden Sie persönlich angegriffen? Erhalten Sie Hassbotschaften?
Strobl: Das gehört mittlerweile leider dazu.
Sprechen wir über das Programm des Ersten, für das Sie die Programmstrategie entwickeln. Wie soll es in, sagen wir, fünf Jahren aussehen?
Strobl: Wir müssen unsere Angebote allen machen und alle erreichen. Das heißt: Wir müssen Bildung, Information, Unterhaltung dort anbieten, wo bestimmte Bevölkerungsgruppen sie suchen. Das ist gerade bei jüngeren Menschen, die mit dem Internet aufwachsen, angesichts des veränderten Mediennutzungsverhaltens schwierig. Oder nehmen Sie 30- bis 40-Jährige: Diese Altersgruppe ist im Bereich der Fiktion von internationalen Serien-Produktionen stark geprägt und hat inzwischen andere Sehgewohnheiten. Das bedeutet, dass wir unsere Mediathek so ausbauen müssen, dass sie dem mit einem eigenständigen Programmangebot Rechnung tragen kann.
... und gegen den Streaminganbieter Netflix bestehen kann. Der will bis 2023 500 Millionen Euro in deutschsprachige Produktionen investieren.
Strobl: Das ist ja erstmal eine große Ankündigung. Man wird sehen, ob es so kommt. Ein Anbieter wie Netflix kann, international betrachtet, mit anderen Mitteln haushalten als wir. Gleichwohl haben wir eine starke Position. Wir sind im Bereich Mediathek eine engere technische Zusammenarbeit mit dem ZDF eingegangen – und betrachtet man die Mediathekenangebote von ARDundZDF zusammen, sind wir praktisch auf Augenhöhe mitAmazon. Wichtig ist, dass wir künftig das, was in unserem Programmangebot hier noch fehlt, anbieten können: noch mehr Serien, noch mehr aufwendige Dokumentationen. Dann ist mir nicht bange vor einem Anbieter wie Netflix.
Wie genau wollen Sie ein jüngeres Publikum erreichen?
Strobl: Neben der Verbreitung auf digitalen Kanälen geht es uns ja um die Informationsvermittlung. Jüngere Menschen zum Beispiel sind natürlich an Politik interessiert, bekommen aber den Zugang dazu vielleicht leichter über politische Comedy gepaart mit journalistischen, investigativen Inhalten. Ich nenne hier mal „Die Carolin Kebekus Show“, auf die wir gerade verstärkt setzen. Die Herausforderung wird sein, dass wir aus unseren Stärken noch mehr machen. Die Mediathek bietet uns dazu neue Chancen, die wir intensiv nutzen wollen.
Und im klassischen, linearen Fernsehen?
Strobl: Da geht es um Verlässlichkeit und einen guten Programmfluss, aber natürlich vor allem darum, unsere Programmprofile zu schärfen.
Hadern Sie manchmal mit dem gesetzlichen Programmauftrag, der Bildung, Information, Beratung und Unterhaltung umfasst – und damit eine Profilierung erschwert?
Strobl: Überhaupt nicht! Ich bin sehr dankbar dafür, dass zum Beispiel die Unterhaltung auch dazu gehört. Denn eines ist schließlich auch wahr: Man will nicht den ganzen Tag mit reiner Information bombardiert werden, nimmt aber durch einen Film wie „3 1/2 Stunden“ zum 60. Jahrestag des Mauerbaus mehr historische Fakten auf, als wenn man dazu einen Beitrag in der „Tagesschau“ sieht.
Strobl: "Mir reicht es ausdrücklich nicht, dass wir auf dem Weltspiegel-Sendeplatz eine bestimmte Zielgruppe erreichen"
Wird es das traditionsreiche Auslandsmagazin "Weltspiegel" in fünf Jahren noch geben?
Strobl: Ich setze sehr darauf, dass es eine starke Auslandsberichterstattung geben wird – das ist eine unserer Kernkompetenzen – und auch den „Weltspiegel“.
Es gibt ein Konzept von Ihnen, demzufolge der „Weltspiegel“ von seinem Sendeplatz am Sonntag um 19.20 Uhr auf den Montag um 22.50 Uhr verlegt werden soll. Für den früheren „Weltspiegel“-Moderator Jörg Armbruster wäre das der „schleichende Tod dieses Magazins“. Er warf Ihnen einen „Kahlschlag“ vor.
Strobl: Diese Begrifflichkeit – es wurde sogar von einer „Todeszone“ gesprochen – finde ich unangemessen und in der Sache falsch. Markus Lanz prägt mit seinem Polit-Talk im ZDF regelmäßig zu einer späteren Zeit die Meinung in Deutschland; Sandra Maischberger talkt mittwochs zu dieser Uhrzeit sehr erfolgreich im Ersten, und auch der „Weltspiegel“ überzeugte mit seinen Extra-Sendungen genau um diese Uhrzeit. Im Übrigen ...
Ja?
Strobl: ... ist das Gegenteil der Fall: Wir wollen die Auslandsberichterstattung stärken. Darüber konnten wir zwischenzeitlich mit vielen aktiven Auslandskorrespondentinnen und -korrespondenten persönlich sprechen und das Missverständnis ausräumen, dass die Auslandsberichterstattung geschwächt werden soll. Mir reicht es ausdrücklich nicht, dass wir auf dem „Weltspiegel“-Sendeplatz am Sonntag zuverlässig eine bestimmte Zielgruppe erreichen. Wir müssen auch jüngere Zielgruppen mit Auslandsthemen ansprechen. Und dafür ist einerseits der Montag als künftiger Informationstag gut, aber es geht natürlich um mehr. Deshalb diskutieren wir, wie wir die Auslandsberichterstattung auch für Jüngere attraktiver gestalten können. Zum Beispiel durch relevante Dokumentationen, die auch das Angebot in der Mediathek bereichern würden. Das Denken in Sendeplätzen jedenfalls ist ein Denken von gestern.
Programmreform: "In diesem Herbst sollten alle Entscheidungen hierzu getroffen sein"
Zu Ihrem Konzept gehört auch ein Format mit Maischberger, das dem ZDF-Talk von Lanz ähneln soll – und ein Comedy-Format, das mit der ZDF-„heute-show“ konkurrieren könnte. Warum arbeiten Sie an einem Gegenprogramm zum ZDF?
Strobl: Wir arbeiten an einem umfassenden digitalen Umbau der ARD und einer Profilschärfung des Ersten. In diesem Herbst sollten alle Entscheidungen hierzu getroffen sein, und wir können uns an die Umsetzung machen. Im Jahr 2022 wird man dann vieles davon im Programm sehen. Um ein Gegenprogramm zum ZDF geht es dabei ausdrücklich nicht.
Zur Person: Christine Strobl ist seit Mai 2021 ARD-Programmdirektorin und damit für das ARD-Gemeinschaftsprogramm Das Erste und die ARD Mediathek verantwortlich. Zuvor war sie Geschäftsführerin der ARD-Tochter Degeto Film GmbH, die für fiktionale Programme zuständig ist. Strobl wurde 1971 als ältestes Kind des Politikers Wolfgang Schäuble (CDU) in Freiburg geboren. Sie ist mit dem CDU-Politiker Thomas Strobl verheiratet.