Startseite
Icon Pfeil nach unten
Panorama
Icon Pfeil nach unten

Influencerin Anja Zeidler: "Ich war nie gut genug": Wenn Selbstoptimierung zur Sucht wird

Influencerin Anja Zeidler

"Ich war nie gut genug": Wenn Selbstoptimierung zur Sucht wird

    • |
    Anja Zeidler früher und heute: "Ich bin wieder ich", sagt die 25-Jährige. Über diesen nicht immer leichten Weg hat sie nun ein Buch geschrieben.
    Anja Zeidler früher und heute: "Ich bin wieder ich", sagt die 25-Jährige. Über diesen nicht immer leichten Weg hat sie nun ein Buch geschrieben. Foto: Patrick Odermatt/ Andrea Monica Hug

    Wenn Anja Zeidler Yoga macht, schauen ihr nicht selten Tausende Menschen zu. Auf Bildschirmen sehen sie ihre Posen, sie lesen die ermunternde Botschaft, die sie zum Foto schreibt, dann antworten sie mit Kommentaren wie: "Du inspirierst mich", oder: "Ich liebe dein Outfit!" 

    Rund 350.000 Fans verfolgen den Alltag der 25 Jahre alten Schweizerin in den sozialen Netzwerken. Wie viele ihrer Instagram-Kolleginnen veröffentlicht sie auf ihrer Seite Bilder von ihren Reisen, von gesunden Mahlzeiten oder sich selbst - dazu Zeilen wie "Ich wünsche mir für alle, dass sie glücklich mit sich selbst sind." Zeidler scheint das geschafft zu haben. Auf den flüchtigen Betrachter wirkt sie rundum zufrieden.

    Das war nicht immer so. Hinter der Luzernerin liegt eine schwere Zeit, die sie in einem Buch verarbeitet hat, das am Mittwoch erschienen ist und anderen ein Ratgeber sein soll. Eine Zeit, in der Anja Zeidler für einen vermeintlich perfekten Körper alles getan hat. Um einem Fitness-Ideal zu entsprechen, ernährte sie sich nach einem strengen Plan, trainierte immer intensiver und nahm leistungsfördernde Medikamente. Auch ihre Brüste ließ sich Zeidler für ihre Karriere als Fitnessmodel, für die sie mit 18 Jahren in die USA zog, vergrößern. Die Selbstoptimierung wurde immer mehr zum Zwang, sie machte die junge Frau krank. "Ich war essgestört, anabolika- und sportsüchtig", gesteht die 25-Jährige heute. "Ich war nie gut genug."

    "Du bist nicht mehr du", sagte eine Freundin

    Es war eine gute Freundin, die Anja Zeidler schließlich zum Umdenken brachte. Die beiden Frauen hatten sich ein Jahr nicht gesehen. "Ich erkenne dich gar nicht wieder, du bist nicht mehr du", sagte die Freundin und meinte damit nicht nur Zeidlers Aussehen. Der Satz ging ihr nicht mehr aus dem Kopf.

    2015 kehrte sie der Fitnessbranche den Rücken. Unter der folgenden Gewichtszunahme und dem Muskelabbau habe sie anfangs sehr gelitten, erzählt Zeidler. Erst als sie aus den USA zurück in die Schweiz ging und dort Rückhalt von Eltern und Freunden bekam, sei es ihr gelungen, wieder eine gesunde Einstellung zu ihrem Körper zu entwickeln. 2017 ließ sie sich ihre Brustimplantate entfernen. Sie passten nicht mehr zu ihrem neuen Leben.

    "Selbstliebe beginnt im Kopf", sagt Zeidler. Das habe sie in den vergangenen Jahren gelernt. "Aber das gelingt nicht über Nacht. Es ist ein Prozess." Für diesen sollte man sich Zeit lassen - und sich Hilfe suchen, rät die 25-Jährige.

    Auf Instagram dokumentiert Anja Zeidler ihre Verwandlung

    Es waren nicht nur persönliche Erfahrungen, die Zeidler lange an sich selbst haben zweifeln lassen. Auch soziale Netzwerke hatten Einfluss auf die junge Schweizerin. Denn nirgendwo wird der Kult um Fitness und Gesundheit heute so demonstrativ zelebriert wie auf Instagram. "Natürlich vergleicht man sich, und zwar nicht nur sein Aussehen, sondern auch seinen Job, seinen Urlaub, seine Beziehung - schlussendlich sein ganzes Leben", sagt Zeidler. Es gebe immer andere, die noch schöner, noch schlanker, noch sportlicher seien. Zwar habe es immer schon Ideale gegeben, doch Instagram führe seinen Nutzern diese täglich vor Augen.

    Zeidler habe erst lernen müssen, sich von inszenierten, bearbeiteten Aufnahmen nicht blenden zu lassen. Heute möchte sie mit ihrem Account andere inspirieren, ihnen Mut machen und zeigen, "dass es wunderschön ist, natürlich zu sein." Dass sie sich auf ihren Fotos heute ungeschminkt zeigt, sei für sie selbst früher undenkbar gewesen: "Nicht mal zum Briefkasten wäre ich ohne Make-up!" Ihre Fans, sagt sie, schätzen sie für diese neue Offenheit und Natürlichkeit.

    "Likes" seien aber natürlich nicht alles, betont die 25-Jährige. Auch davon habe sie sich mittlerweile gelöst. Ihre Bekanntheit möchte Anja Zeidler heute auch dafür nutzen, um auf "wichtigere Themen" aufmerksam zu machen. So trat sie in letzter Zeit vermehrt als Aktivistin für Tier- und Umweltschutz auf. "Die Welt dreht sich nicht immer nur um einen selbst."

    Anja Zeidler: "Sei glücklich, nicht perfekt: Wie ich aufgehört habe, mich ständig verbessern zu wollen, und angefangen habe, zu leben",  Riva-Verlag, 17,99 Euro.

    Diskutieren Sie mit
    0 Kommentare
    Dieser Artikel kann nicht mehr kommentiert werden