Alles hatte wie ein Traum begonnen, damals, vor fast genau 30 Jahren. Aus ordentlichem britischen Hause stammend, hatte er zunächst an einer Kunstakademie studiert, war dann jedoch einer spontanen Eingebung gefolgt. Ihr hat die Popwelt einige echte Perlen der achtziger Jahre zu verdanken: vom Partykracher "Relax" bis zur Megaballade "The Power of Love". Als Kopf der Gruppe "Frankie Goes To Hollywood" triumphierte Holly Johnson gleichsam aus dem Stand in den internationalen Hitparaden. Und auch als er nach zwei Alben die Gruppe wegen künstlerischer Differenzen verließ, führte ihn sein erstes Solo-Projekt gleich wieder an die Spitze - mit Songs wie "Americanos". 1989 war das. Zwei Jahre später begann der Albtraum.
Holly Johnson bekannte sich zur Homosexualität
Holly Johnson hatte all die Aufregung und Gängelung und Anfeindung hinter sich gelassen, denen er Mitte der Achtziger noch ausgesetzt war. Damals, noch in der Zeit mit "Frankie Goes To Hollywood" nämlich, war er der erste Star im Pop-Business gewesen, der die Offenbarung gewagt hatte: ein Bekenntnis zur Homosexualität. Nun aber nahm erst der eigentliche Horror seinen Anfang. 1991 erhielt Holly Johnson sein Todesurteil. Er war HIV-infiziert. Und die Schock-Diagnose stellte sich nicht wie bei seinem deutschen Lebensgefährten als Irrtum heraus. Holly Johnson also wurde zwei Jahre, nachdem Freddie Mercurys Aids-Tod für Hysterie in der Öffentlichkeit gesorgte hatte, auch zum ersten offiziell HIV-positiven Popstar. Er war 33. Und die britischen Zeitungen berichteten darüber, wie Johnson, sein Gesicht, seine Haut nach und nach von der Erkrankung gezeichnet wurden. Damals, als Aids als Schwulenseuche und Strafe Gottes direkt zur Ächtung führte.
Holly Johnson überlebte - nun kehrt der Sänger zurück
Viele Freunde von Holly Johnson starben damals. Er selbst stand unmittelbar davor - als gerade noch zur rechten Zeit neue Therapieformen gefunden wurden. Holly Johnson überlebte also. Und zog sich zurück. In sein altes Leben. Mit seinem deutschen Lebensgefährten. Er malte wieder, sie stützten einander. Und noch heute stützen sie einander und malt er. Außer einer gelegentlichen Ausstellung seiner Bilder hätte man so von Holly Johnson, dem einstigen Hitparadenhelden, vielleicht nie wieder etwas gehört. Wäre er nun nicht einer weiteren Eingebung gefolgt. Es ist erneut eine Rückkehr. Nach dem Aufstehen vom Totenbett die Auferstehung eines Popstars.
Holly Johnsons neues Album "Europa"
Johnson ist 54, seine letzten Hits liegen 25 Jahre zurück, seine letzte, kaum wahrgenommene musikalische Veröffentlichung ist 15 Jahre alt. Aber seit gestern gibt es "Europa". Und wer den hübschen, noch immer im Stil der 80er beschwingten Pop darauf hört und diese unverwechselbare Stimme die Texte voller Lebensermutigung und Liebespathos singen hört, der vergisst leicht, dass ein kleines Wunder all das erst möglich gemacht hat. Und dass, wenn Holly Johnson im Song "Heaven’s Eyes" dazu auffordert, jeden Tag zu leben, als wäre es der letzte, wenn er belehrt, unsere Zeit läuft ab, während wir uns nach dem Sinn fragen … - dass er also die Wahrheit hinter solchen Pop-Phrasen kennt. Das macht "Europa" bei Weitem zu keinem großen Album. Aber zu einem sehr schönen.