Es klang eigentlich wie ein großer Sieg für die Aktivisten, die seit 2012 den Hambacher Forst besetzen. Im Fahrplan für den Kohleausstieg, den die Bundesregierung Ende vergangener Woche vorgestellt hat, steht: Der mehr als 1000 Jahre alte Wald soll nicht für den Abbau von Braunkohle durch die Firma RWE gerodet werden. Hambi bleibt. Die Parole der Demonstranten ist Wirklichkeit geworden.
Sind die Aktivisten also jubelnd aus dem Wald gelaufen und haben ihren Sieg gefeiert? Nein, die Besetzung dauert an. "Es sind weiterhin Menschen vor Ort", sagt Linus vom Presseteam des Hambi Camps am Telefon. Und wenn RWE seine Pläne nicht ändert, "dann werden sie auch bleiben". Es sei längst nicht alles geklärt.
Aktivisten: Der Hambacher Forst ist noch nicht gerettet
Linus, der seinen Nachnamen nicht in den Medien veröffentlicht sehen möchte, hat nach dem Telefonat noch einen Termin, er führt ein Kamerateam durch den Wald. Vorbei an den Baumhäusern der Besetzer. Wie viele Aktivisten dort seien, könne man nicht so genau sagen. Das ändere sich - und eine genaue Zahl will Linus auch deshalb nicht nennen, weil das die Sicherheit der Besetzer gefährden könne. Dem Kamerateam wird er dann auch die Abbruchkante zeigen, dort, wo der Tagebau beginnt.
Die Bagger stünden nur noch etwa 50 Meter vom Wald entfernt, erzählt er. RWE sei immer näher an den Wald gerückt. "Sie haben damit Fakten geschaffen", sagt Linus. Die Zukunft des Waldes sei, auch wenn er nicht gerodet werden darf, weiter unklar. "Der Hambacher Forst ist nicht, wie die Regierung sagt, gerettet", schrieb das Presseteam der Aktivisten auf der Homepage. Ohnehin ist der Hambacher Forst lediglich das Symbol, den Aktivisten geht es um mehr.
Um das verbliebene Waldstück herum wird weiter gebaggert, für den Abbau wird Grundwasser abgepumpt. Die Schäden durch das fehlende Wasser sind laut Linus allgegenwärtig. Überall im Wald, besonders aber an den Rändern. "An der Abbruchkante sterben die Bäume zuhauf", sagt er. Das abgepumpte Grundwasser sei nicht nur für sie und den Wald ein Problem, sondern auch für die Landwirte in der Region.
Die Karte zeigt den Hambacher Forst und die Umgebung. Klicken Sie auf ein Symbol, um weitere Informationen zu erhalten. Hier können Sie die Karte im Vollbild ansehen.
Rund um den "Hambi" wird weiterhin Kohle abgebaut
Ende vergangener Woche gingen die Aktivisten dann nach einem Bericht davon aus, dass der "Hambi" eine Insel werden würde. Der Wald würde erhalten bleiben, doch rundherum würde RWE weiter Kohle abbauen. Das, so die Aktivisten, würde weiteren Grundwasserverlust bedeuten. Der Wald könne das nicht überleben, er würde unweigerlich sterben.
RWE widersprach dieser Darstellung. Auf Twitter betonte die Presseabteilung des Konzerns, dass die Karte, auf die sich die Aktivisten berufen, nicht von RWE stamme. Die aktuellen Pläne sähen keine Insellage für den Hambacher Forst vor.
RWE erstelle aktuell eine grundlegend neue Tagebauplanung, erklärte der Konzern. Anders als früher geplant, wolle man nun den Ort Morschenich nicht abbaggern. Eine abschließende Entscheidung werde noch erfolgen.
"Das reicht uns natürlich nicht", erklärt Linus. Die Aktivisten fordern schon länger, dass auch die Dörfer erhalten bleiben, die RWE für den Braunkohlebau abbaggern will. Bei Morschenich könnte das nun Realität werden. Viele Menschen wohnen dort allerdings nicht mehr. Seit 2015 werden die Bewohner von dort nach Morschenich (neu) umgesiedelt. Im Sommer 2019 wurde die Kirche entweiht, besucht hatte sie zuletzt kaum noch jemand. Die aktuellen Pläne von RWE sehen weiterhin vor, dass Manheim abgebaggert wird. Auch hier läuft die Umsiedlung, nach Manheim (neu).
Der Protest im Hambacher Forst geht weiter
Und auch wenn der Hambacher Forst nach diesen Plänen keine Insel, sondern eher eine Halbinsel wäre, seien die Schäden für den Wald enorm, so Linus. Außerdem seien die Waldbesetzer skeptisch: "Das Vertrauen in Zusagen der Regierung und von RWE ist bei den Leuten hier nicht mehr da - oder war bei vielen nie da." Zwar könne man die Entscheidung, dass der Wald und eine der Ortschaften erhalten bleiben, als einen Kompromiss sehen, aber: "Es ist ein Kompromiss, der trotzdem RWE zugute kommt." Der Konzern habe schließlich gewusst, welche gigantischen Umweltschäden er anrichte und was der Kohleabbau für die Menschen in der Region bedeute. "Und jetzt werden die dafür auch noch entschädigt." Für das vorzeitige Abschalten von Kraftwerken bekommen Betreiber Entschädigungen von mehr als vier Milliarden Euro, das sagte Finanzminister Olaf Scholz (SPD) vergangene Woche. Eine wesentliche Summe davon dürfte an RWE gehen. Stattdessen fordern die Aktivisten, dass RWE Entschädigungen für die Umweltschäden, die durch den Kohleabbau entstanden sind, zahlen solle.
Der Protest im Hambacher Forst geht also weiter. Und die Waldbesetzer fürchten, dass auch eine Räumung wieder ein Thema werden könnte. 2018 hatte die Polizei das Camp der Aktivisten schon einmal geräumt, begründet wurde das damals damit, dass die Baumhäuser als "bauliche Anlagen" einzustufen seien. Als solche verstoßen sie gegen baurechtliche Vorschriften, etwa den Brandschutz. An dieser Situation habe sich nichts geändert, erklärt Linus. "Die Befürchtung von vielen ist, das Laschet (NRW-Ministerpräsident Armin Laschet, Anm. d. Red.) ein gutes Zeichen und ein Zeichen des starken Staates setzen will." So könnte nach der Entscheidung, dass der Wald nicht gerodet wird, eine erneute Räumung folgen.
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