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HIV/Aids: Späte Genugtuung: Erfolg für Opfer des Bluter-Skandals

HIV/Aids

Späte Genugtuung: Erfolg für Opfer des Bluter-Skandals

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    Angehörige Aids-infizierter Bluter demonstrieren im März 1994 in Bonn.
    Angehörige Aids-infizierter Bluter demonstrieren im März 1994 in Bonn. Foto: Markus Redmann/Archiv (dpa)

    Das Aids-Virus bekam Michael Diederichs als Kind. Damals, in den 80er Jahren, kam HIV für viele einem Todesurteil gleich. Diederichs ist Bluter, das Blut aus Wunden gerinnt nicht oder nur langsam. Das Virus bekam er über infiziertes Konzentrat, gewonnen aus menschlichem Blutplasma, das gegen seine Krankheit helfen sollte. Diederichs überlebte - wenn auch unter oft dramatischen Umständen. Jetzt feiert Diederichs einen Erfolg im jahrelangen Kampf um Anerkennung - wie Hunderte andere Betroffene des Bluter-Skandals, die wegen schleppender Reaktionen der Behörden damals mit

    Bluter mit HIV infiziert: Betroffene benötigen Hilfszahlungen

    Dabei geht es um Geld. Erst 1995 wurden die Opfer des Bluter-Skandals anerkannt und mit Hilfszahlungen aus einer Stiftung unterstützt. Doch der Stiftung droht das Aus, Ende 2018 dürfte das Geld alle sein, wenn sich nichts tut. Weitere Finanzzusagen beteiligter Pharmafirmen und des Deutschen Roten Kreuzes zu erhalten, wurde immer schwieriger. Rund 1500 Hämophile (Bluter) wurden HIV-infiziert und von dem Skandal aus der Bahn gerissen. Noch 300 Bluter bekommen Geld aus der Stiftung, dazu rund 250 andere Personen, meist direkte Angehörige.

    "Es gibt viele, die sagen: Wir geben uns die Kugel, wenn wir nichts mehr bekommen", sagt Diederichs Freundin Lynn Sziklai, die als Aktivistin für die Belange der infizierten Bluter kämpft. Eine Studie des Instituts Prognos zeigt: Den Betroffenen des HIV-Bluter-Skandals geht es von Jahr zu Jahr schlechter - gesundheitlich, psychisch, finanziell. Sie sind auf die Hilfen der Stiftung angewiesen.

    Politik hat sich spät für Betroffene des Bluter-HIV-Skandals eingesetzt

    Jetzt hat sich die Politik bewegt. Bundesgesundheitsminister Hermann Gröhe (CDU) hat den Koalitionsfraktionen - auch in der SPD gibt es umtriebige Unterstützer der Skandalopfer - einen Gesetzespassus zugleitet, der bald mit einem anderen Gesetz beschlossen werden soll. Das Ziel des Manövers: Der Bund will für die Betroffenen zahlen. Er beteiligte sich bisher schon an der Stiftung, doch nun soll den Opfern die Hilfe lebenslang garantiert werden - und zwar in der Höhe angepasst an die Rentenentwicklung. Kostenpunkt: neun bis zehn Millionen Euro jährlich.

    "Ich kann es nicht glauben, was nun passiert ist", sagt Michael Diederichs. "Das war ein harter Kampf." Viele seiner Leidensgenossen seien derart stark körperlich beeinträchtigt, dass sie teure Hilfsmittel bräuchten. Diederichs selbst arbeitet maximal zwei bis drei Stunden am Tag ehrenamtlich beim betreuten Wohnen. Mehr geht nicht. Seit Jahren wirbt er zudem öffentlich um Verständnis für die Opfer des Bluter-Skandals. Wer HIV-positiv ist, aber noch ohne Aids-Erkrankung, bekommt rund 760 Euro aus der Stiftung pro Monat,

    Das Humane Immunschwächevirus (HIV) und Aids

    Das Humane Immunschwächevirus (HIV) ist die Ursache für die unheilbare Krankheit Aids. Es wird vor allem durch ungeschützten Geschlechtsverkehr und infizierte Injektionsnadeln übertragen.

    Das Virus baut seine Erbsubstanz fest in die DNA des Menschen ein und lässt sich derzeit nicht daraus vertreiben.

    Das Virus ist sehr wandlungsfähig. Herkömmliche Impfstrategien funktionieren deshalb nicht. Viele Tests für einen Impfstoff schlugen bereits fehl.

    Der Erreger kapert unter anderem bestimmte Immunzellen. Diese Gruppe der T-Helfer-Zellen geht an der Attacke früher oder später zugrunde.

    Damit können die Zellen ihrer Aufgabe nicht mehr nachkommen, Eindringlinge zu erkennen und das Abwehrsystem zu mobilisieren.

    In der Folge können sich viele Krankheiten weitgehend ungehemmt ausbreiten - harmlose Infektionen werden zur tödlichen Bedrohung.

    Heute ist Aids für viele Menschen kein Grund mehr, Kranke zu stigmatisieren. Diederichs, inzwischen 41 Jahre alt, hat das oft schon anders erlebt. In der Schule - in seiner Heimat Ulm - sagte er niemandem etwas über die Krankheit. Erst mit 21 outete er sich als Aids-Kranker. Es ging ihm damals zu schlecht, um die Krankheit weiter zu verbergen.

    Kampf gegen Aids - Von der ersten Infektion zur effektiven Therapie

    1900: Vermutlich um die Jahrhundertwende geht ein HIV-Urtyp (SI-Virus) in Afrika vom Affen auf den Menschen über.

    1959: Ärzte entnehmen einem Mann im Kongo eine Blutprobe. Jahrzehnte später wird festgestellt, dass sich darin HIV-Antikörper befinden.

    1981: Die US-Gesundheitsbehörden melden, dass immer mehr Homosexuelle unter bis dahin seltenen Infektionen und Hauttumoren leiden. 

    1982: Krankheitsfälle treten auch bei Drogenabhängigen und Blutern auf. Die Krankheit bekommt den Namen Aids (Acquired Immune Deficiency Syndrome, Erworbenes Immunschwäche-Syndrom). In Deutschland wird die erste Aids-Diagnose gestellt.

    1983: Luc Montagnier und seinen Kollegen vom Pasteur-Institut in Paris gelingt es, das Aids-Virus zu isolieren. Der New Yorker Arzt Joseph Sonnabend benutzt erstmals den Begriff "Safer Sex". Auch in Deutschland wird verstärkt über das Thema Aids berichtet.

    1984: Robert Gallo entwickelt ein Zellkultursystem und schafft damit die Voraussetzung für die Entwicklung erster Aids-Tests.

    1985: Die erste internationale Aids-Konferenz tagt. 27 Millionen deutsche Haushalte bekommen Informationsbroschüren zugeschickt.

    1986: Experten bezeichnen den Erreger einheitlich als HIV (Human Immunodeficiency Virus, Humanes Immunschwächevirus).

    1987: Das erste Aids-Medikament AZT wird in den USA und wenig später auch in Deutschland zugelassen. Es kann die Virus-Vermehrung etwas bremsen.

    1991: Die rote Schleife (Red Ribbon) wird zum internationalen Aids-Symbol. Queen-Sänger Freddie Mercury stirbt an HIV.

    1996: Für Aufsehen sorgt die Entdeckung, dass einige Menschen eine genetisch bedingte, wenn auch nicht vollständige HIV-Resistenz haben.

    1999: Schweizer Ärzte haben außergewöhnlichen Erfolg mit einer Hochdosis-Kombinationstherapie aus mehreren Medikamenten (HAART), in der Folge wird diese Strategie zur Standardbehandlung.

    2002: Der Globale Fonds gegen Aids, Tuberkulose und Malaria wird zur Finanzierung nationaler Maßnahmen gegen diese Krankheiten gegründet.

    2003: Mit dem Fusionshemmer Enfuvirtid (Handelsname Fuzeon) kommt in den USA und der EU eine vierte Klasse von Aids-Medikamenten auf den Markt, nach den sogenannten Nukleosiden, Protease-Hemmern und Transkriptase-Hemmern.

    2008: Luc Montagnier wird gemeinsam mit Françoise Barré-Sinoussi für die Entdeckung von HIV der Medizin-Nobelpreis verliehen.

    2010: Barack Obama hebt das in den USA seit 1987 geltende Einreiseverbot für HIV-Positive auf.

    2014: Bei dem zunächst als "funktionell geheilt" geltenden "Mississippi-Baby" entdecken Ärzte erneut das HI-Virus. Das Mädchen war kurz nach der Geburt mit drei Medikamenten behandelt worden, nach einem halben Jahr entzog es die Mutter einer weiteren Therapie. Monate später war das Kind dennoch virenfrei gewesen. Dies bezeichneten Mediziner als Sensation - bis der Erreger doch wieder auftauchte.

    2016: Die Vereinten Nationen sprechen von einem Wendepunkt der Aids-Epidemie in Afrika. Zum ersten Mal würden auf dem Kontinent mehr Betroffene behandelt als sich neu infizieren.

    Wenn nun tatsächlich im Bundestag beschlossen wird, dass die HIV-infizierten Bluter ein Leben lang aus der Stiftung unterstützt werden, hat sich für Diederich der Kampf gelohnt. "Wir haben es geschafft, dass die Politiker uns ernst nehmen", sagt er. Auf jeden Fall müssten die Betroffenen nun aber dran bleiben. dpa/sh

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