Die Nachricht belustigt Günther Jauch. „Auch das wird uns nicht auf die schiefe Ebene bringen“, sagt er, als er von ihr erfährt, und wendet sich mit ironischem Lächeln an seine Frau Thea.
Es ist eine kurze Szene, die Markus Schächter, der frühere ZDF-Intendant, da in seinem Buch „Die Messdiener“ schildert. Aber sie ermöglicht einen Blick darauf, wie Jauch wirklich ist. Denn der ulkig grimassierende „Wer wird Millionär?“-Moderator ist eben nur der öffentliche Jauch. Eine Fernsehfigur. Es gibt kaum einen anderen deutschen Prominenten, der sein Privatleben derart schützt.
Die Nachricht, die Jauch, seine Frau und Mitarbeiter ihres Weinguts in Kanzem an der Saar belustigt? Jauch wurde in einer Umfrage als einer der beliebtesten Deutschen genannt. Die Szene nimmt dann diesen Verlauf: Jauch wiegelt jede Frage nach Bedeutung und Wirkung „barsch und wortkarg“ ab. Wer über so viele Jahre so viel Geld verteile wie er in seiner RTL-Quiz-Show „Wer wird Millionär?“, sei notwendigerweise beliebter als das Finanzamt, sagt er. Irgendwann seien auch die Riesen der Branche wie Hans-Joachim Kulenkampff und Peter Frankenfeld aus dem Ansehen und der Erinnerung gefallen. Ende der Szene.
Am Sonntag beendet Günther Jauch seine ARD-Polit-Talkshow
Jauch gilt als „uneitel“. Es ist eines der Wörter, mit denen Kollegen und Wegbegleiter ihn beschreiben. „Geradlinig“, „akribisch“, „ernst“, „reflektiert“, „klug“ sind die anderen. Sein Freund, der frühere „Dingsda“-Moderator Fritz Egner, sagt: „Der Günther hat sich menschlich überhaupt nicht verändert in den vergangenen 30 Jahren. Ich habe ihn nie als abgehoben oder arrogant erlebt.“
Dass sich Jauch in eine Reihe mit den TV-Legenden Kulenkampff („Einer wird gewinnen“) und Frankenfeld („Musik ist Trumpf“) stellt, hat nichts mit einem zu großen Ego zu tun. Er ist schlicht selbst ein Riese der Branche.
Und doch. Günther Jauch mag seit Jahren der „beliebteste, bekannteste, glaubwürdigste und sympathischste Talkmaster im deutschen Fernsehen“ sein – er ist ein Phantom geblieben. Das wird gerade besonders deutlich. Am Sonntag beendet der „Liebling der Nation“ seine ARD-Polit-Talkshow „Günther Jauch“ nach vier Jahren. Warum genau? Das weiß allenfalls sein engstes Umfeld. Jauch lehnte eine Vertragsverlängerung „sowohl aus beruflichen als auch aus privaten Gründen“ ab. Die Öffentlichkeit rätselt nun über diese Gründe und ist irritiert.
Der Sonntagabend ist das Hochamtdes politischen Talks. Jauch wollte diese Talkshow nach dem „Tatort“ unbedingt, sie sollte die Krönung seiner Karriere sein und zeigen: Er kann nicht nur den Quiz-Onkel mimen, sondern auch die Rolle eines politischen Alpha-Journalisten ausfüllen. Das ist einer, der Macht hat. Weil er eine Wirkung hat. Weil er beispielsweise am Sonntagabend bestimmt, über was das politische Berlin in den folgenden Tagen diskutiert.
Anfang 2007 scheiterte Jauchs Wechsel in die ARD als Nachfolger von Sabine Christiansen. Er hatte die Verhandlungen abgebrochen und rechnete danach mit den „Wichtigtuern“ in dem öffentlich-rechtlichen Sender ab. Traurig und wütend zugleich. Die ARD habe ihn „journalistisch mit Haut und Haaren vereinnahmen“ wollen. Berühmt wurde sein Satz von den „Gremien voller Gremlins“. Er meinte die Rundfunkräte. Gremlins sind Mini-Monster. Echsenartig, aggressiv. Im Hollywood-Film von 1984, halb Horror, halb Komödie, verwüsten sie eine Kleinstadt.
Am 11. September 2011 sollte Günther Jauch schließlich doch „Günther Jauch“ in der ARD moderieren. Er war angekommen. Dachte die Öffentlichkeit. Und er dachte es wohl auch.
---Trennung _Immer wieder gab es Kritik an der Sendung von Günther Jauch_ Trennung---
Hört Günther Jauch mit seiner Sendung wegen zu viel Kritik auf?
Warum also hört er jetzt auf und wartet nicht einmal bis zum Jahresende? Hat er sich über die „Gremlins“ geärgert? Darüber, dass ihm Bundeskanzlerin Angela Merkel vor Kurzem absagte und in die Talkshow von Anne Will ging – seine Vorgängerin und Nachfolgerin? Oder ist er die ständige Kritik an seiner Sendung leid?
„Günther Jauch kann keinen Polit-Talk“, verriss ihn vor gut einem Monat ein Kritiker. Das war, nachdem Jauch den thüringischen AfD-Landesvorsitzenden Björn Höcke in seiner Sendung zu Gast hatte. Ein bizarrer Auftritt. Erst hängte der Rechtspopulist ein Deutschland-Fähnchen über seine Sessellehne, später behauptete er, die ARD sei gleichgeschaltet und Jauch habe „sich selbst konditioniert“.
Das Medienecho war verheerend – für Höcke und Jauch. Vernichtende Kommentare hagelte es regelmäßig in den vergangenen vier Jahren, der Tenor: Jauch habe versagt. Wirke lustlos und desinteressiert. Sei überfordert und vorgeführt worden von Politikern wie Höcke. Habe nicht nachgehakt. Er sei „der König des belanglosen Plauderns“ und nicht einmal ein Journalist. Wörter wie Schläge.
Wahrscheinlich schmerzen sie den TV-Riesen Jauch. Es ist bekannt, dass er vieles persönlich nimmt und sich sogar über Kleinigkeiten aufregen kann. Wie riesig muss sein Ärger sein, wenn er sich missverstanden und unterschätzt fühlt? Jauch studierte einst in München Politik und wurde schon früh in seiner Karriere, 1983, Hörfunk-Korrespondent des Bayerischen Rundfunks in Bonn, wo er für alle Programme über die Bundespolitik berichtete. In den 80er Jahren war er im Gespräch als Moderator der ZDF-Nachrichtensendung „heute-journal“. Daraus wurde nichts.
„Das war ein CSU-Posten, den Job bekam ein anderer“, sagte er in einem seiner seltenen Interviews. Nachdem er diese „Proporznummer“ verstanden hatte, legte er sich, so nannte Jauch das, eine Art „Karriere-Bypass“: die Unterhaltung. Seitdem versucht er einen Spagat zwischen leicht und schwer, zwischen Boulevard und Reichstag. Vor „Günther Jauch“ dominierte klar der Boulevard.
Ein Wegbegleiter, der seinen Namen nicht in der Zeitung lesen will, glaubt, Jauch werde seine Karriere vor der Kamera mit 60 Jahren ganz beenden, also auch seine RTL-Shows „Wer wird Millionär?“ oder „Die 2 – Gottschalk & Jauch gegen ALLE“. Jauch wird im nächsten Jahr am 13. Juli 60.
Spekulationen. Mutmaßungen. Gerüchte. Und wieder und wieder die Frage: Wann ist der richtige Zeitpunkt für das Ende einer so großen Karriere? Jauch hat nach wie vor ein Millionenpublikum, das ihn im Gegensatz zu seinen Kritikern liebt. Seine Einschaltquoten und Marktanteile fuhren zuletzt zwar Achterbahn, sind allerdings hoch.
Günther Jauch schweigt auf Anfrage. Thomas Gottschalk schickt eine E-Mail: „In Sachen Günther vermeide ich es immer, als Kronzeuge angerufen zu werden, wenn sich jemand für ihn interessiert. Er hält das umgekehrt genauso, da bitte ich um Verständnis.“ Fritz Egner spricht. „Es gibt bei uns eine Vereinbarung – wir reden oft und gerne miteinander, aber selten übereinander“, erklärt er am Telefon. Jauch, Gottschalk und Egner sind seit Jahrzehnten befreundet. Eine Seltenheit im Showgeschäft, in dem Neid und Missgunst herrschen. Nur ein echter Freund wie Egner kann sagen: „Nach einem Gespräch mit Günther oder Thomas geht’s mir immer besser – sie sind meine persönlichen Psychologen.“
Thomas Gottschalk ist das Idol von Günther Jauch
Die drei kennen sich seit den späten 70ern aus ihren gemeinsamen Radiotagen beim Bayerischen Rundfunk in München. Eine Zeit, die sie prägt. Damals gehen sie miteinander Mittag essen, tauschen sich über ihre noch jungen Karrieren aus, holen abends im Wienerwald-Restaurant Hendl und Pommes und ziehen nachts auch mal um die Häuser. Das „Narrenschiff“ nennt man sie im Sender und nimmt sie anfangs nicht ernst, erinnert sich Egner. Aber man lässt sie machen.
Thomas Gottschalk hat bereits von 1977 an auf Bayern 3 mit „Pop nach acht“ eine eigene Musiksendung. Er ist Jauchs Idol. „Um Thomas zu imponieren, bin ich als Reporter in Diskotheken gegangen und habe mich vor laufendem Mikrofon von den Türstehern abwimmeln lassen“, erzählte Jauch vor ein paar Jahren Ulli Wenger von Bayern 3. Gottschalk habe das sehr interessant gefunden. „So war ich praktisch in seiner Sendung drin als kleiner Außenreporter.“ Gottschalk wird sein Förderer und Freund – und Jauch, der im Sender als „Lausbub in Jeans“ bekannt ist, gilt fortan nicht nur als journalistisch ambitioniert, sondern auch als Unterhaltungstalent. Dabei habe er immer „große Angst“ gehabt, „in die Unterhaltung abzugleiten, aber Thomas wollte mich da immer reinquatschen“, sagte er.
Der Rest ist Geschichte. Eine, die womöglich allmählich zu Ende geht wie die von Stefan Raab, der sich im Alter von 49 Jahren als ProSieben-Moderator zurückzieht. Am 19. Dezember ist für Raab vor der Kamera Schluss. Simone Bartsch widerspricht: Jauch ziehe sich nicht aus dem Fernsehgeschäft zurück, er werde „weiterhin im TV präsent sein“. „Die Sendung ,Wer wird Millionär?‘ wird Herr Jauch auch weiterhin moderieren.“ Bartsch ist in der Produktionsfirma i&u TV für Presseanfragen zuständig – es ist Jauchs Firma. Er hat sie vor 15 Jahren gegründet, ist Alleingesellschafter und Chef von rund 140 Mitarbeitern. Das Kürzel steht für „Information und Unterhaltung“.
Fritz Egner redet lange von seinem Freund Günther und den gemeinsamen Radiotagen. Jetzt kommt sein Redefluss ins Stocken. Er hat die Frage erwartet. Er überlegt. „Warum er nach vier Jahren seine Talk-Show aufgibt, das muss er selbst einmal erzählen. Aber manchmal verschieben sich im Leben die Prioritäten – und das mag beim Günther jetzt auch so sein“, sagt er dann. Jauch habe „wenig Zeit in den letzten Jahren“ gehabt. „Er will jetzt wieder Zeit gewinnen, wieder mehr private Kontakte pflegen.“ Vor sechs Jahren machte sich auch Günther Jauch öffentlich Gedanken über ein Leben nach dem Fernsehen. Er habe „von der Welt ja nix gesehen“ und „immer nur gearbeitet“, sagte er.
Am Sonntag, in der 157. und letzten Folge von „Günther Jauch“, tritt Bundesfinanzminister Wolfgang Schäuble als einziger Gast auf. Das Thema: „Am Ende eines Krisenjahres“.