Nach der Aufhebung des Mordurteils gegen die US-Bürgerin Amanda Knox und ihren Ex-Freund Raffaele Sollecito in einem Berufungsprozess rollt ein Gericht in Florenz den spektakulären Fall nun neu auf. Zu Prozessbeginn am Montag sagte der Anwalt der Angehörigen des Mordopfers, nun werde hoffentlich endlich die Wahrheit über das brutale Verbrechen im Jahr 2007 herauskommen. Die Hauptangeklagte Knox nimmt allerdings nicht am Prozess teil.
Staatsanwaltschaft vermutet eine außer Kontrolle geratene Sex-Orgie
Francesco Maresca, der die Eltern der ermordeten Meredith Kercher in dem Prozess vertritt, äußerte die Überzeugung, dass Knox und Sollecito die Mörder seien. Der 21-jährigen Britin Kercher wurde in der Nacht zum 2. November 2007 in Perugia die Kehle durchgeschnitten. Ihre halbnackte Leiche wies 47 Messerstiche auf und wurde in einer riesigen Blutlache in der Wohnung entdeckt, die sie zusammen mit Knox bewohnt hatte.
Die Autopsie ergab, dass Kercher außerdem vergewaltigt wurde. Laut Gerichtsmedizin starb sie einen "langsamen, qualvollen" Tod. Die Staatsanwaltschaft hatte von Anfang an die These vertreten, Kercher sei Opfer einer außer Kontrolle geratenen Sex-Orgie geworden.
Verteidiger fordert Untersuchung von DNA-Spuren
Der Verteidiger Luciano Girgha forderte vor Gericht, DNA-Spuren auf einem Messer erneut zu untersuchen, das in einer Küchenschublade in Sollecitos Wohnung gefunden worden war. Eine erste Untersuchung hatte DNA-Spuren von Knox am Griff und von Kercher auf der Klinge festgestellt. Auch eine bislang nicht berücksichtigte DNA-Spur müsse analysiert werden, forderte Girgha.
Sollecitos Anwalt Luca Mauri drang darauf, dass erstmals auch die Spermaspuren auf einem Kissen untersucht werden, das unter Kercher gefunden wurde. Bei der Sicherung von DNA-Spuren hatten die Ermittler nicht die notwendige Vorsicht walten lassen.
Knox war 2009 zu 26 Jahren Haft verurteilt worden
Knox und ihr damaliger italienischer Freund Sollecito wurden 2009 in erster Instanz wegen Mordes zu 26 und 25 Jahren Haft verurteilt. Sie saßen vier Jahre lang im Gefängnis, bevor sie im Oktober 2011 in einem Berufungsverfahren freigesprochen wurden. Knox kehrte daraufhin in ihre Heimatstadt Seattle zurück. Im März kassierte das oberste italienische Berufungsgericht auf Antrag der Staatsanwaltschaft den Freispruch wegen diverser Widersprüche und Unzulänglichkeiten jedoch wieder.
Knox hatte sich während ihrer Befragungen in Widersprüche verstrickt. Außerdem bezichtigte sie fälschlicherweise den kongolesischen Barbesitzer Patrick Lumumba des Mordes an Kercher. Nach zweiwöchiger Inhaftierung Lumumbas wurde der Vorwurf entkräftet. Er sagte zum Auftakt des neuen Prozesses über Knox: "Sie ist schuldig, sonst hätte sie mich nicht beschuldigt."
Knox kehrt für den Prozess nicht nach Italien zurück
Vor dem Prozess in Florenz stellte die 26-Jährige klar, dass sie nicht nach Italien zurückkehrt. Sie sei als "Sex-Teufelin, als Mörderin" dargestellt worden, begründete Knox die Entscheidung gegenüber der italienischen Zeitung "Corriere Fiorentino" vom Sonntag. Zuvor hatte sie erklärt, seit ihrer Inhaftierung leide sie unter Panikattacken und Depressionen.
Knox setzt nach eigenen Angaben auf einen Freispruch. Sollte sie jedoch schuldig gesprochen werden und eine erneute Berufung erfolglos sein, ist laut Rechtsexperten nicht völlig auszuschließen, dass sie von den USA an Italien ausgeliefert wird. Der 29-jährige Sollecito, der derzeit in der Dominikanischen Republik lebt, will nach Angaben seiner Familie zu einem späteren Zeitpunkt vor Gericht erscheinen. afp