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Fukushima: Tickende Zeitbombe: Japan bittet im Ausland um Hilfe

Fukushima

Tickende Zeitbombe: Japan bittet im Ausland um Hilfe

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    Die Probleme in der Atomruine Fukushima sind so groß, dass Japans Regierung nun bereit ist, verstärkt Ratschläge aus dem Ausland anzunehmen. Der Betreiber Tepco wirkt überfordert.
    Die Probleme in der Atomruine Fukushima sind so groß, dass Japans Regierung nun bereit ist, verstärkt Ratschläge aus dem Ausland anzunehmen. Der Betreiber Tepco wirkt überfordert. Foto: Tepco (dpa)

    Je länger sich die Katastrophe im Atomkraftwerk Fukushima hinzieht, desto mehr wächst im Ausland das Unverständnis, warum Japan keine internationale Hilfe annimmt. Jetzt, zweieinhalb Jahre nach dem Super-Gau in Folge eines Erdbebens und Tsunamis, scheint

    Die Probleme, mit denen die rund 3000 Arbeiter im AKW Fukushima Daiichi täglich zu kämpfen haben, sind enorm. Da wären zum einen die gigantischen Mengen verseuchten Wassers, die durch die zerstörte Atomanlage schwappen und zum beträchtlichen Teil in den Pazifik sickern. Jeden Tag lässt Tepco Hunderte Tonnen Wasser in die beschädigten Reaktoren 1 bis 3 pumpen, um die geschmolzenen Brennstäbe zu kühlen. Wo die sich befinden, weiß bis heute jedoch niemand.

    Grundwasser und verseuchtes Kühlwasser vermischt

    Zudem dringen weitere rund 400 Tonnen Grundwasser pro Tag in die Gebäude ein und vermischen sich dort mit dem verseuchten Kühlwasser. Daher pumpt Tepco ständig Wasser ab und lagert mittlerweile mehr als 300 000 Tonnen davon in rund 1000 teils hastig zusammengenieteten Tanks. Diese reichen jedoch bald nicht mehr aus und fangen bereits an, zu lecken. Tepco will nun den Bau neuer Tanks beschleunigen und bis Ende März 2015 Platz für zusätzlich 800 000 Tonnen Wasser schaffen. Dabei geht Tepco jedoch davon aus, dass ein Filtersystem zur Beseitigung radioaktiver Substanzen normal funktioniert. Doch das ist eben nicht der Fall, das System ist in letzter Zeit immer wieder ausgefallen.

    Fukushima: Regierung plant gefrorenen Schutzwall

    Chronologie der Katastrophe von Fukushima

    Die Havarie nach dem verheerenden Erdbeben und Tsunami im japanischen Atomkraftwerk Fukushima Daiichi war die schwerste Atomkatastrophe seit dem Tschernobyl-Unglück 1986. Ein Überblick:

    11. März 2011: Ein Erdbeben der Stärke 9,0 erschüttert den Nordosten Japans und löst einen verheerenden Tsunami aus.

    11. März 2011: Auch die Stromversorgung und das Kühlungssystem des an der Küste gelegenen Atomkraftwerks Fukushima Daiichi werden beschädigt. Die Brennstäbe im Inneren der Reaktoren überhitzen und beginnen zu schmelzen.

    12. März: Im Reaktorgebäude Nummer eins kommt es zu einer Wasserstoffexplosion, doch der Reaktor selbst bleibt intakt. Das Kühlwassersystem funktioniert nicht mehr, das Team auf dem Gelände beginnt daraufhin, die Reaktoren mit Meerwasser zu kühlen. Die Regierung erweitert die Evakuierung auf einen Umkreis von 20 Kilometern.

    14./15. März: In den Gebäuden der Reaktoren drei und vier kommt es zu weiteren Explosionen. Die Reaktoren bleiben laut Behörden intakt.

    25. März - 4. April: In vier beschädigten Reaktorgebäuden wird eine große Menge radioaktiv verseuchten Wassers entdeckt. Es behindert die Arbeit zur Kühlung der überhitzten Brennstäbe. Die Behörden beschließen, 11.500 Tonnen radioaktiven Wassers in den Pazifik zu leiten.

    12. April: Japan stuft die Schwere des Atomunglücks hinauf. Es hat nun Höchststufe 7 und wird damit als genauso verheerend eingestuft wie die Reaktorkatastrophe von Tschernobyl.

    6. Juni: Die Regierung bestätigt, dass es bereits kurz nach Beginn der Katastrophe in drei Reaktoren zu Kernschmelzen gekommen war. Die in den ersten Tagen freigesetzte Radioaktivität sei zudem doppelt so hoch gewesen wie zunächst geschätzt.

    30. August: Ministerpräsident Naoto Kan und sein Kabinett treten zurück. Finanzminister Yoshihiko Noda wird Japans sechster Regierungschef innerhalb von fünf Jahren.

    3. Oktober: Eine Regierungskommission schätzt die Kosten für Stilllegung und Abbau der Atomreaktoren auf umgerechnet 10,6 Milliarden Euro.

    17. und 29. November: Aufgrund radioaktiv verseuchter Stichproben verbietet Japan den Verkauf von Reis aus der Region Fukushima.

    16. Dezember: Die japanische Regierung verkündet, Fukushima Daiichi sei wieder unter Kontrolle, die Reaktoren seien im Zustand der «Kaltabschaltung».

    21. Dezember: Die Betreibergesellschaft Tepco schätzt, dass die Stilllegung der Reaktoren bis zu 40 Jahre dauern wird.

    22. Februar 2012: Um die Kontaminierung des Ozeans vor dem havarierten Atomkraftwerk einzudämmen, kündigt Tepco an, den Meeresboden mit einer 73.000 Quadratmeter großen Betondecke zu versiegeln.

    4. April 2013: Bis zu 120 Tonnen radioaktiv verseuchtes Wasser treten aus einem Tank aus und dringen in den Boden ein.

    19. Juni 2013: Im Grundwasser nahe dem havarierten Atomkraftwerk werden hohe radioaktive Werte gemessen. Werte der radioaktiven Substanz Strontium-90 lagen dreißigmal höher als zulässig.

    21. August 2013: Weitere 300 Tonnen radioaktiv verseuchtes Wasser treten in Fukushima aus.

    10. März 2015: An den Folgen der Flucht vor der Strahlung sind mehr als 1200 Menschen gestorben. Das Leben in Behelfsunterkünften hat viele krank gemacht. Andere begingen Selbstmord.

    Um den andauernden Zufluss von Grundwasser zu bremsen, plant die Regierung zudem, mit Hunderten Millionen an Steuergeldern einen gefrorenen Schutzwall im Erdreich um die Reaktoren zu errichten, wie er auch beim Tunnelbau zum Einsatz kommt. Zu diesem Zweck sollen Rohre mit chemischen Kühlmitteln um die Gebäude der Reaktoren 1 bis 4 im Erdreich verlegt werden. Der auf diese Weise entstehende Schutzwall aus gefrorenem Boden wird voraussichtlich eine Länge von 1,4 Kilometern haben. Kritiker sehen jedoch auch dieses gigantische Unterfangen lediglich als weiteres störanfälliges Provisorium an.

    Die zunehmenden Wassermassen umspülen die schwer beschädigten Gebäude auf dem AKW-Gelände, darunter auch die Mauern zur Abstützung des Abklingbeckens von Reaktor 4. Von hier geht nach Meinung vieler Experten mit die größte Gefahr in Fukushima aus. Das Dach des in 30 Meter Höhe gelegenen Beckens war bei dem Erdbeben und Tsunami vor zweieinhalb Jahren durch eine Explosion zerstört worden - der Reaktor selbst war zum Zeitpunkt des Tsunamis abgeschaltet. Mehr als 1500 abgebrannte Brennstäbe lagern hier oben. Zwar wurde das schwer beschädigte Gebäude laut Regierung verstärkt. Doch es steht schief, droht abzusinken und könnte bei einem schweren

    Tepco will ab Mitte November die Brennstäbe herausholen

    Sollte es in diesem Becken zu einem weiteren Unfall kommen, könnten die Hunderte von Tonnen an Brennstoff laut Experten das Zigtausend-Fache an Radioaktivität der Atombombe von Hiroshima freisetzen. Die Folge wäre eine Katastrophe globalen Ausmaßes, warnte eindringlich der frühere japanische Botschafter in der Schweiz, Mitsuhei Murata. Um die Gefahr zu bannen, will Tepco Mitte November damit beginnen, die Brennstäbe herauszuholen. Zu diesem Zweck ist man dabei, Trümmerteile um das Abklingbecken und das Reaktorgebäude herum zu beseitigen und das beschädigte Gemäuer abzudecken. Zunächst soll das Wasser im Pool laut japanischen Medienberichten gereinigt werden, damit die Arbeiten mit einer Unterwasserkamera überwacht werden können. Sie sollen etwa bis Ende kommenden Jahres andauern.

    Kritiker sehen jedoch den Atombetreiber Tepco weder wissenschaftlich, noch technisch und auch in finanzieller Hinsicht nicht in der Lage, ein solch gefährliches Unterfangen allein zu bewerkstelligen. Das gelte auch für die Regierung. Die Lage um das Abklingbecken des Reaktors 4 erfordert nach Meinung der Kritiker vielmehr das geballte Know-how der besten Experten und Ingenieure der Welt. Doch ist fraglich, ob es tatsächlich zu global koordinierten Anstrengungen kommt. Auch wenn die Regierung von Ministerpräsident Shinzo Abe offener für Hilfe aus dem Ausland zu sein scheint: Geht es nach ihr, so ist die Lage in Fukushima trotz aller Probleme unter Kontrolle.

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