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Fukushima: Atomkraftgegner: „Wir werden für dumm verkauft“

Fukushima

Atomkraftgegner: „Wir werden für dumm verkauft“

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    Der Protest gegen die Atomlobby ist abgeflaut, die Frustration gestiegen.
    Der Protest gegen die Atomlobby ist abgeflaut, die Frustration gestiegen. Foto: dpa

    Was sind die Ängste der Opfer von Fukushima wert? Im Fall von Masako Hashimoto sollen es 80.000 Yen (770 Euro) sein. Mit dieser Summe sollen Bewohner aus der weiteren Umgebung des havarierten Atomkraftwerks entschädigt werden, gab der Stromkonzern Tepco kürzlich bekannt. Kinder und Schwangere sollen das Fünffache bekommen. „

    Ihr Haus steht 50 Kilometer von den Unglücksreaktoren entfernt, außerhalb der Evakuierungszone zwar, aber innerhalb der Region, über die nach der Katastrophe vom 11. März Fukushimas radioaktive Wolke zog. Hashimoto floh damals mit ihrer Familie in den Süden des Landes, zog dann zu ihren Eltern nach Tokio und will sich nun in der Provinz Nagano eine neue Existenz aufbauen. Geld verdienen konnte die Freiberuflerin in den vergangenen neun Monaten nicht.

    Mangelnde Aufklärung über Strahlenrisiken

    Doch schlimmer als Tepcos Weigerung, eine angemessene Entschädigung zu zahlen, findet sie, dass die Menschen in ihrer Heimat noch immer nicht offen über die Strahlenrisiken aufgeklärt werden. „Die meisten sind deshalb geblieben, darunter über 300.000 Kinder“, sagt Hashimoto. „Dabei wird es sicher nicht mehr lange dauern, bis die ersten Erkrankungen auftreten.“

    Neun Monate nach der Erdbeben- und Nuklearkatastrophe ringt Japan noch immer mit dem Ausmaß des Unglücks. Fast täglich gibt es neue Nachrichten, die belegen, wie sehr das Desaster die Behörden überfordert. Erst kürzlich musste Fukushimas Provinzregierung eingestehen, dass der Reis aus ihrer Region hohe Strahlenbelastungen aufweist. Dabei hatte sie noch im Oktober behauptet, außerhalb der unmittelbaren Reaktorumgebung seien alle Agrarprodukte sicher.

    „Wie unsere Regierung mit der Krise umgeht, ist ein Trauerspiel“, sagt die prominente Ökonomin Noriko Hama. „Das Unglück hätte eine Möglichkeit sein können, um das Land aufzurütteln und einen Neuanfang zu machen, aber das ist leider nicht passiert. Die Menschen sind sehr enttäuscht.“ Premier Yoshihiko Noda, der erst im September das Ruder übernommen hatte und in Umfragen von zwei Dritteln der Bevölkerung unterstützt wurde, hat inzwischen fast die Hälfte seiner Zustimmung eingebüßt.

    Zwar bemüht sich die Regierung, Fortschritte zu zeigen. So begann das japanische Militär diese Woche mit der Dekontamination der 20-Kilometer-Sperrzone um das AKW Fukushima-Daiichi. 900 Soldaten sollen öffentliche Gebäude in vier Orten reinigen, von denen aus dann ab Januar der Rest des riesigen Areals bearbeitet werden soll, auch wenn dort wohl auf Jahrzehnte keine Menschen mehr werden leben können.

    Wieder verseuchtes Wasser ins Meer ableiten

    Doch gleichzeitig musste Tepco zugeben, dass es bei den Bergungsarbeiten in den vier Reaktoren Probleme gibt. In den kommenden Monaten werden erneut große Mengen radioaktiv verseuchtes Kühlwasser ins Meer geleitet werden, weil die Tanks auf dem Kraftwerksgelände nicht mehr ausreichen. Japanischen Medien zufolge fließen täglich 200 bis 500 Tonnen Grundwasser in die Reaktorgebäude. Die zur Verfügung stehenden Tanks hätten aber nur eine Kapazität von 160.000 Tonnen und würden spätestens im kommenden März voll sein.

    Da womöglich noch jahrelang Wasser in die Reaktoren laufen werde, könne man nicht immer mehr Tanks aufstellen, begründet Tepco die Maßnahme. Allerdings werde nur Wasser abgeleitet, dessen Belastung unterhalb des staatlich zulässigen Grenzwerts liege. Seit März sind aber auch riesige Mengen hochgradig belasteten Wassers ins 500 Meter entfernte Meer geleitet worden. Zuletzt waren Anfang Dezember 150 Liter strontiumverseuchten Wassers aus einer leckenden Entsalzungsanlage ins Meer geflossen.

    „Die Bevölkerung wird für dumm verkauft“, sagt der Antiatomkraftaktivist Takashi Hirose. Das volle Ausmaß der Katastrophe werde bewusst verschwiegen, weil die Regierung eine ernsthafte Diskussion über einen Atomausstieg vermeiden wolle. Gemeinsam mit der Atomlobby nutze sie alle wirtschaftlichen und politischen Hebel, um Japans Medien an einer allzu kritischen Berichterstattung zu hindern. „So können sie weiter an dem Märchen festhalten, dass in Fukushima eine einmalige Verkettung von unglücklichen Umständen zur Katastrophe geführt habe“, sagt Hirose. „Dabei kann schon bald das nächste Erdbeben kommen und ein viel größeres Unglück passieren.“

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