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Freiburg: Missbrauchsprozess: Die eiskalte Mutter und der Kinderschänder

Freiburg

Missbrauchsprozess: Die eiskalte Mutter und der Kinderschänder

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    Die Mutter (links) des missbrauchten Kindes und der Lebensgefährte (rechts) wurden bei dem Prozess zu langen Haftstrafen verurteilt.
    Die Mutter (links) des missbrauchten Kindes und der Lebensgefährte (rechts) wurden bei dem Prozess zu langen Haftstrafen verurteilt. Foto: Patrick Seeger

    Ein Lächeln umspielt seine Lippen. Der Mann, der einem Jungen seine Kindheit geraubt hat, sitzt in diesem Gerichtssaal des Freiburger Landgerichts und kaut Kaugummi, als warte er auf den Bus. Er lässt seinen Blick über die Zuschauer schweifen. Als suche er Anerkennung für das, was er getan hat. Christian L., der einen Rosenkranz trägt, hat den heute Zehnjährigen gemeinsam mit dessen Mutter Berrin T. nicht nur brutal vergewaltigt und misshandelt. Er hat ihn auch übers Darknet an weitere Männer verkauft, die an ihm ihre perfiden Fantasien auslebten.

    Dafür muss die 48-Jährige zwölfeinhalb Jahre hinter Gitter – wegen Vergewaltigung, sexuellen Missbrauchs sowie Zwangsprostitution ihres Sohnes. Den 39-jährigen Hauptangeklagten erwarten zwölf Jahre Haft mit anschließender Sicherungsverwahrung. Es ist das lang erwartete Urteil im Staufener Missbrauchsfall. Und das Ende eines schwer zu ertragenden Falls, der seit Jahresanfang die Menschen im Breisgau und weit darüber hinaus erschüttert hat.

    Am Ende eines Verhandlungsmarathons verliest Richter Stefan Bürgelin die Urteilsbegründung. Es sind quälende zwei Stunden, in denen der Vorsitzende noch einmal detailliert die einzelnen Taten beschreibt. Stunden, in denen einige den Saal verlassen, kopfschüttelnd auf den Boden starren oder ungläubig die Hand vor den Mund schlagen. Noch einmal schildert Bürgelin die grausame mehrfache Vergewaltigung eines damals dreijährigen, geistig und körperlich behinderten Mädchens. Eines Kindes, das Berrin T. „egal“ war, wie der

    Nur hat er das nicht getan. Und die Mutter war von Anfang an eingeweiht, was ihr Lebensgefährte trieb. „Das ist in diesem Fall wirklich eine Besonderheit“, betont der Richter. Oft machten sich Männer an Frauen mit Kindern heran, um sich dann heimlich an deren Nachwuchs zu vergehen. Berrin T. und Christian L. dagegen führten nie wirklich eine Beziehung. Das Paar schloss sich zu einer grausamen Zweckgemeinschaft zusammen, wie die Verhandlung gezeigt hat. Noch einmal entführt Richter Bürgelin die Zuhörer in die dunkle Welt, die viel zu lange zum Alltag des Jungen wurde. Warum Berrin T. das zuließ, ihn sogar selbst in diese Dunkelheit hineinzog, bleibt offen.

    Die Mutter vergewaltigte den eigenen Sohn brutal

    Die Frau, die auch dann nicht aufhörte, ihren Sohn brutal zu vergewaltigen, als dieser vor Schmerzen schrie und weinte, sitzt geradezu stoisch auf der Anklagebank, reagiert nicht einmal, als der Richter sie direkt anspricht. „Das muss man leider sagen, Frau T.: Wir haben kein anderes Video gesehen, das für den Jungen so schmerzhaft war. Er hat 30 Sekunden lang Schmerzensschreie ausgestoßen.“ Zwar hatte Berrin T. ob der Beweislast die Tat zugegeben. Aber „leider wollten Sie uns dazu nichts sagen“. Es gibt keine Erklärung, warum sie in diesem Moment weiter ging als alles, was Christian L. von ihr verlangt hatte. Berrin T. sitzt nur da, starrt unbeteiligt vor sich hin, irgendwo ins Leere, der Körper in sich zusammengesackt, die spärlichen Haare zurückgebunden.

    Berrin T. bleibt eines der großen Rätsel in diesem Fall. Was trieb die Mutter dazu, ihr Kind, das sie hätte beschützen müssen, selbst zu missbrauchen und grausamen Demütigungen auszusetzen? Und dann sind da die anderen, quälenden Fragen. Wie konnte der Missbrauch trotz Hinweisen so lange unentdeckt bleiben? Warum versagten die Behörden? Warum wurde das Kind, das das Jugendamt im Frühjahr 2017 in Obhut genommen hatte, von zwei Familiengerichten zurück zur Mutter und deren Partner geschickt, zurück in die Hölle? Und wie konnte es passieren, dass ein verurteilter Sexualstraftäter unter einem Dach mit einem Kind lebt?

    Der Junge jedenfalls wollte damals zurück zu seiner Mutter. „Aus welchen Gründen auch immer hatte er damals eine sehr enge Bindung zu seiner Mutter“, sagt Richter Bürgelin. Aus seinen Worten klingt, dass er es selbst nicht versteht. Er hat die unzähligen Videos gesehen, in denen der Junge ein ums andere Mal erniedrigt und zum Sexspielzeug erwachsener Männer wird, zur Ware, die man kaufen kann. Auch das ist eine Besonderheit in diesem Fall: die vielen Filme, „in sehr guter Qualität“, die Details zeigen, „die man so genau eigentlich gar nicht sehen will“, wie Bürgelin betont. Videos, in denen das Kind von seiner eigenen Mutter missbraucht wurde, in denen sie dabei war, als sich andere an ihm vergingen, in denen sie die Männer gar anfeuerte: „Er braucht das.“ Es sind Sätze wie diese, die das Gericht explizit noch einmal verliest, um deutlich zu machen, wie groß die Schuld dieser Frau ist.

    Berrin T. hat laut Gutachten eine Lernbehinderung. „Dennoch gibt es keine Zweifel an ihrer geistigen Leistungsfähigkeit“, stellt der Richter klar. Vielmehr war diese Frau in der Lage, vor dem Familiengericht in die Rolle der liebenden, schützenden Mutter zu schlüpfen. „Sie hat alle getäuscht“, glaubt Bürgelin. Trotzdem will er ihr eine Chance auf Resozialisierung einräumen. Weil sie keine Vorstrafen hat und auch der Gutachter keine grundsätzliche pädophile Neigung bei ihr feststellen konnte, kommt die 48-Jährige ohne Sicherungsverwahrung davon. Zurück ins Leben dürfte sie dennoch kaum finden. Der Kontakt zu ihrer erwachsenen Tochter ist mit dem Prozess abgebrochen. Zu ihrem Sohn darf sie keinen Kontakt haben. Ob sie ihn je wiedersehen darf, fragt eine Journalistin die Staatsanwältin: „Das muss er selbst entscheiden“, erwidert sie nur.

    Dem missbrauchten Jungen blieb eine Aussage vor Gericht erspart

    Vor Gericht blieb dem Zehnjährigen eine Aussage erspart. Selbst als die Mutter und Christian L. in Haft kamen, konnte er nicht über das sprechen, was ihm passiert war. Wie auch: Christian L. hatte dem Jungen eingebläut, dass er seiner Mutter weggenommen wird, wenn er etwas verrät. Das Schweigegebot seiner Peiniger wirkt nach. Ebenso wie die Erfahrung, dass vermeintliche Polizisten ihm nicht halfen, sondern sich ebenfalls von ihm befriedigen ließen, ihn vergewaltigten. Es gehörte zu Christian L.s ruchlosem Plan, den Jungen gefügig zu machen. Für die Männer aus dem Darknet muss der Bub sich nackt vor eine Kamera stellen, mit einem Schild um den Hals „für ...“ – als wäre er ein Geschenk. „Fake Check“ nennen das die Insider im Darknet. So prüfen sie gegenseitig, ob nicht doch ein Fahnder hinter dem Pseudonym steckt.

    Und die Qualen des Jungen wurde schlimmer, das Zuhause immer mehr zur Folterkammer – erst recht, nachdem das Jugendamt den damals Achtjährigen im Frühjahr 2017 zurück zur Mutter geschickt hatte. Die Vergewaltigungen „nahmen in ihrem Ausmaß zu“, umschreibt es der Richter. Was er meint: Während das Kind von den Tätern vergewaltigt wird, soll es auch noch sagen, dass es ihm gefällt. Das wollte Christian L. so.

    Derselbe Mann, der noch vor einem Jahr kein Mitleid mit seinem Opfer hatte, der „Papa“ genannt werden wollte, während er sich an dem Jungen verging, gibt sich vor Gericht als geläutert. Er bat am Ende selbst um die Sicherungsverwahrung, die er noch zu Beginn mit allen Mitteln verhindern wollte. Diesen Eindruck hatte zumindest der Chefermittler der Kripo. „Das war schon überraschend“, sagt er unserer Zeitung. Dennoch glaubt er an die Aufrichtigkeit des Mannes. Christian L. habe seine Pädophilie „angenommen“, während andere Angeklagte in dem Fall sich noch dagegen wehrten. Das sei der erste Schritt, betont der Fahnder, der mit dem Urteil „sehr gut leben“ kann.

    Verteidigerin Martina Nägele legt dennoch Rechtsmittel ein – wegen der Frist, die binnen einer Woche ausläuft. Berrin T. hat ihre Strafe akzeptiert, will nicht in Revision gehen. Auch als Zeichen an ihren Sohn, wie ihr Verteidiger Matthias Wagner sagt. Für den Jungen sei es wichtig, zu wissen, dass das Verfahren abgeschlossen ist. Nägele will nicht ausschließen, dass die Entscheidung der Mutter auch Auswirkungen auf ihren Mandanten hat: „Wer weiß, was das mit ihm macht.“ Christian L. hatte in seinem Schlusswort offenbar „nicht mehr als zehn Jahre“ gefordert. Doch die Taten wiegen zu schwer – auch, wenn ohne seine Aussagen einige seiner Mittäter wohl nur schwer hätten gefasst werden können. Staatsanwältin Novak zeigt sich zufrieden mit dem Urteil. Sie will nicht in Berufung gehen und „es würde mich wundern, wenn es andere tun“. Das Urteil, sagt Novak, sei „ein guter Tag für den Rechtsstaat“.

    Für manche wird die Strafe verhältnismäßig niedrig wirken

    Für manche Zuhörer im Saal dürfte das Strafmaß verhältnismäßig niedrig wirken. Wohl, um der Empörung vorzugreifen, versucht sich Richter Bürgelin in einer Erklärung: Für den, der sie nicht verbüßen muss, erscheinen zwölf Jahre nicht viel. Aber wenn jeder daran denkt, was er in zwölf Jahren Schönes erlebt hat und sich das wegdenkt, bekommt er vielleicht ein Gespür dafür, was zwölf Jahre bedeuten.“

    Für den Jungen dürfte die über zwei Jahre währende Peinigung ausgereicht haben, um sein gesamtes Leben zu prägen. Eine Aussage vor Gericht hat man ihm erspart. Nach den Worten von Bürgelin lebt er heute in einer Pflegefamilie, „versucht wieder Tritt zu fassen“, ist aber nach wie vor verängstigt, leidet unter Schlafstörungen. Über das Erlebte sprechen, kann er noch nicht. Es bleibt nur die Hoffnung, dass er sich irgendwann öffnen, sein Leben in die eigenen Hände nehmen kann. Fernab von jener Hölle, die er für immer hinter sich gelassen hat.

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