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Freiburg: Fall Maria: 58-Jähriger wegen Kindesentführung vor Gericht

Freiburg

Fall Maria: 58-Jähriger wegen Kindesentführung vor Gericht

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    Das Namensschild der damals verschwundenen Maria hängt an ihrer Zimmertür in der Wohnung ihrer Mutter.
    Das Namensschild der damals verschwundenen Maria hängt an ihrer Zimmertür in der Wohnung ihrer Mutter. Foto: Patrick Seeger, dpa (Archiv)

    Maria und der Mann sitzen sich im Gerichtssaal direkt gegenüber. Mehr als fünf Jahre waren die beiden, deren Altersunterschied rund 40 Jahre beträgt, gemeinsam untergetaucht. Sie reisten durch Europa und lebten zuletzt in Italien, ohne dass jemand auf sie aufmerksam wurde.

    Alle Suchaktionen der Mutter sowie die internationale Fahndung der Polizei blieben erfolglos. Maria, damals 13, war im Mai 2013 zu Hause in Freiburg ausgerissen - gemeinsam mit dem Mann, den sie zuvor im Internet kennengelernt hatte. Seit Mittwoch steht der heute 58-Jährige in

    Mit dem Strafprozess gegen den verheirateten Familienvater aus Blomberg in Nordrhein-Westfalen verhandelt das Landgericht Freiburg einen ungewöhnlichen Kriminal- und Vermisstenfall, der überregional Beachtung findet.

    Nachdem das Mädchen und der Mann vor sechs Jahren verschwanden, gab es lange kein Lebenszeichen von ihnen. Im vergangenen Sommer kehrte Maria dann plötzlich und unerwartet zur Mutter nach Freiburg zurück. Ihr Begleiter, ein nicht vorbestrafter Tischler und Industrieelektroniker, wurde wenig später in Italien festgenommen.

    Der 58-Jährige steht wegen Kindesentführung vor Gericht

    Dem Deutschen wird Kindesentführung zur Last gelegt. Zudem soll er das Mädchen, seit es elf Jahre alt war, in 108 Fällen sexuell missbraucht haben. Als er den Gerichtssaal betritt, hat er die Kapuze eines Pullis über seinen Kopf gezogen. Sein Gesicht versteckt er hinter einem Aktenordner. Auf dem Ordner klebt ein Foto mit zwei Händen, die mit der Sonne im Hintergrund ein Herz formen.

    "Meine Arme werden immer offen sein für sie", sagt er später über die inzwischen 19-jährige junge Frau. Maria begleitet den Prozess neben ihrer Mutter als Nebenklägerin - und macht in der Öffentlichkeit einen souveränen Eindruck. Zum

    Der Angeklagte nimmt sein Recht in Anspruch, zu den Vorwürfen unter Ausschluss der Öffentlichkeit auszusagen. Öffentlich räumt er ein, mit Maria untergetaucht zu sein und mit ihr gelebt zu haben. Für sie habe er seine Familie und Arbeitsstelle nach mehr als 20 Jahren verlassen.

    Maria und ihr Begleiter lernten sich im Internet kennen

    "Wir werden sehen müssen, ob der Angeklagte sein Verhältnis zu der Geschädigten als Beziehung oder als Missbrauch sieht. Das ist einer der Knackpunkte in dem Prozess", sagt die Staatsanwältin. Davon hänge auch ab, ob von dem Mann weiter eine Gefahr ausgehe und Sicherungsverwahrung Sinn mache. Bei Kindesentzug drohen laut Strafgesetzbuch bis zu fünf Jahre Haft, in schweren Fällen sogar bis zu zehn Jahre. 

    Die gemeinsame Geschichte von Mann und Mädchen beginnt laut Anklage im April 2011. Damals lernen sich die beiden über ein Chat-Forum im Internet kennen - Maria ist da 11 Jahre alt. Der erwachsene Mann gibt sich im Internet dem Mädchen gegenüber anfangs als Teenager aus, sagt Staatsanwältin Nikola Novak.

    Es gibt erste heimliche Treffen, bei denen es zum Missbrauch des Mädchens gekommen sei. Damit sie unentdeckt bleiben, habe der Mann Maria ein Zweit-Handy organisiert. 

    Am 4. Mai 2013 tauchen die beiden gemeinsam unter. Maria ist damals 13 Jahre alt. "Das Paar schmiedete seit April 2013 konkrete Fluchtpläne", sagt Novak. Der Mann habe Maria seine Liebe erklärt und gesagt, er wolle mit ihr eine Familie gründen. Eine Straftat sei, dass er ohne Einwilligung der Eltern mit der Minderjährigen flüchtete. Hinzu komme der vorgeworfene sexuelle Missbrauch.

    In Sizilien gaben sich Maria und der Mann als Vater und Tochter aus

    Die Beziehung zu ihr habe er dominiert, sagt die Staatsanwältin. In den fünf Jahren habe Maria kein Handy nutzen und nicht ins Internet gehen dürfen. Er habe Macht über das Mädchen ausgeübt, es kontrolliert und Kontakte zu anderen verboten. Nötige Medikamente habe er verweigert. Auch eine Schule habe Maria, die in Freiburg auf ein Gymnasium ging, nicht besucht. Maria sei von dem Mann abhängig gewesen. 

    Die Reise ging durch Osteuropa nach Italien. Die ersten Jahre habe das Paar im Zelt gewohnt, viele Strecken habe es mit dem Fahrrad zurückgelegt. Die vergangenen zwei Jahre lebte es demnach gemeinsam in einer Wohnung in der Küstenstadt Licata in Sizilien. Maria und der Mann hätten sich als Vater und Tochter ausgegeben, erzählen Einheimische. Mit Gelegenheitsjobs finanzierten sie ihr Leben.

    Die Wende kam, kurz bevor Maria 18 Jahre alt wurde. Sie sei ohne das Wissen des Mannes ins Internet gegangen und habe dort erfahren, dass nach ihr noch immer gesucht werde. Sie entschloss sich, nach Hause zurückzukehren.

     "Ich war total durch den Wind", erinnert sich der Angeklagte an den Moment, als Maria plötzlich weg war: "Ich habe die ganze Stadt zusammengeschrien." Als er dem Richter davon erzählt, fängt er an zu weinen. Und er sucht mehrfach Blickkontakt zu Maria - ohne Erfolg. Ein Urteil soll es Ende Juni geben (Az.: 3 KLs 160 Js 12932/13 AK 7/19). (dpa)

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