Guillaume hat ein paar Minuten Verspätung und wirkt etwas außer Atem. Nicht weil er mit dem Fahrrad zu seiner Kundin gekommen ist – kein Problem für ihn, wie ein Blick auf seine durchtrainierten Unterschenkel verrät. Aber er ist in Eile angesichts einer langen Liste an Kunden, die heute noch auf ihn warten. Guillaume arbeitet für das Pariser Start-up "Cyclofix", das Räder direkt vor Ort repariert. In diversen Taschen steckt sein Handwerkszeug, um Probleme wie defekte Bremsen oder blockierte Ketten zu beheben.
Das Frühjahr ist generell eine gute Zeit fürs Geschäft, aber einen solchen Ansturm wie zurzeit hat "Cyclofix" noch nie erlebt. "Momentan reparieren wir etwa 150 Räder am Tag", sagt Guillaume. "Darüber hinaus haben wir täglich 200 Anfragen, denen wir nicht sofort nachkommen können." Hauptgrund für die starke Nachfrage ist eine staatliche Finanzierungshilfe seit der Lockerung der Ausgangsbeschränkungen am 11. Mai: Weil die französische Regierung die öffentlichen Transportmittel entlasten und auf diese Weise die Ansteckungsgefahr verringern möchte, gibt sie einen Anreiz zum Umsatteln auf das Rad und übernimmt Reparaturen von bis zu 50 Euro. Nur die Mehrwertsteuer muss der Kunde noch selbst bezahlen. Die Radreparateure stellen die Rechnung direkt an den Staat. "Zwar ist der Verwaltungsaufwand für uns groß", sagt Guillaume. "Aber uns bringt das massenweise Kunden."
Kurse für angstfreies Radfahren werden gefördert, neue Radwege entstehen
Nun beugt er sich über das Holland-Rad mit dem platten Reifen. Ein Teil des Schlauchs ist abgerissen und hat sich in den Speichen verheddert. "Sind Sie etwa mit dem platten Reifen noch weitergefahren?", fragt er in vorwurfsvollem Ton. Die Kundin nickt schuldbewusst: Schließlich wollte sie ihr Rad nicht irgendwo in der Stadt stehenlassen und ein Auto, um es abzuholen, hat sie nicht – wie die meisten Pariser. Seufzend macht sich der junge Mann an die Arbeit. Eine gute halbe Stunde später ist er fertig und präsentiert die Rechnung: Der Staat muss 33,33 Euro berappen, die Kundin nur die Mehrwertsteuer in Höhe von 6,67 Euro. Schnell verabschiedet sich Guillaume.
Insgesamt 20 Millionen Euro hat die französische Regierung bereitgestellt, um Rad-Reparaturen zu übernehmen, Kurse für angstfreies Fahren zu fördern oder die Städte beim Bau von Extra-Parkplätzen zu unterstützen. Überall im Großraum Paris entstehen neue Wege, allerdings oft nur improvisiert mittels Barrieren oder Markierungen auf der Straße. "In zehn Tagen wurde mehr geschafft als sonst in zehn Jahren denkbar gewesen wäre", lobt Stein van Oosteren, Sprecher eines Radvereins im Großraum Paris.
Fahrradfahrten machen in Frankreich nur drei Prozent der Fortbewegung aus
Im internationalen Vergleich hat Frankreich in Sachen Radkultur noch Nachholbedarf: Der Anteil bei der Fortbewegung beträgt hier laut einer Studie nur drei Prozent gegenüber zehn Prozent in Deutschland und 28 Prozent in den Niederlanden. Bereits 2018 hat die französische Regierung für einen Rad-Plan 250 Millionen Euro bis 2025 zur Verfügung gestellt, um Wege auszubauen oder Prämien für den Kauf von Elektrorädern zu vergeben. Hauptziel war damals, das hohe Verkehrsaufkommen gerade in den großen Städten und die damit einhergehende Luftverschmutzung zu verringern.
Dass diese nun wieder ansteigt, weil mehr Menschen aus Angst vor einer Ansteckung mit Covid-19 lieber das Auto nehmen, befürchtet auch das Pariser Rathaus. Bürgermeisterin Anne Hidalgo, die schon lange gegen das hohe Autoaufkommen kämpft, hat weitere Wege von insgesamt 50 Kilometern versprochen. Tatsächlich stieg die Radnutzung laut einer Erhebung in den vergangenen zwei Wochen sprunghaft an. Der finanzielle Anreiz für die Reparatur und der Fleiß von Guillaume und seinen Kollegen dürfte seinen Anteil daran haben.
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