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Filmkritik: "The Killing of a Sacred Deer": Töte, damit deine Kinder leben

Filmkritik

"The Killing of a Sacred Deer": Töte, damit deine Kinder leben

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    Eine folgenschwere Begegnung: Herzchirurg Steven Murphy (Colin Farrell, öinks) trifft Martin (Barry Keoghan).
    Eine folgenschwere Begegnung: Herzchirurg Steven Murphy (Colin Farrell, öinks) trifft Martin (Barry Keoghan). Foto: Alamode, dpa

    Von oben zeigt die Kamera den geöffneten Brustkorb und blickt über eine Minute lang direkt auf das pulsierende Herz. Diese erste Einstellung von Yorgos Lanthimos’ „The Killing of a Sacred Deer“ (dt.: Die Tötung eines heiligen Hirsches) ist Warnung und Bekenntnis zugleich: In 121 Kinominuten wird am offenen Herzen operiert und der Blick auf das dramatische Geschehen wird von chirurgischer Nüchternheit geprägt sein. So wie der Small Talk im Krankenhausflur zwischen dem Kardiologen Steven Murphy (Colin Farrell) und seinem Anästhesisten, die im Wortwechsel die technischen Daten ihrer überteuerten Armbanduhren austauschen. Der Ton, in dem die Sätze sorgfältig, aber ohne emotionale Anteilnahme ausgesprochen werden, wird sich fortan durch alle Dialoge ziehen, nur unterbrochen von kurzen Momenten aggressiver Eruption.

    Steven Murphy ist ein Mann, der sein Leben im Griff zu haben scheint. Er ist ein erfolgreicher Herzchirurg, seine Frau Anna (Nicole Kidman) eine ebenso erfolgreiche Augenärztin, Tochter Kim (Raffey Cassidy) und ihr jüngerer Bruder Bob (Sunny Suljic) sind wohl erzogen, gut in der Schule und musikalisch begabt. Das Eigenheim am Rande der Stadt ist geräumig und das Ehebett wird nicht nur zum Schlafen genutzt. Alle Voraussetzungen zum konventionellen Glück sind gegeben, auch wenn niemand in der Familie weder glücklich noch unglücklich aussieht.

    Filmkritik zu "The Killing of a Sacred Deer" mit Colin Farrell

    Das Schicksal tritt der bürgerlichen Existenz in Person des 16-jährigen Martin (Barry Keoghan) entgegen, mit dem sich Steven gelegentlich in einem Diner oder am Hafenpier trifft. Das Verhältnis zwischen dem Jungen und dem Arzt bleibt lange im Unklaren. Steven scheint die Treffen geheim zu halten, lügt seine Kollegen an, wenn Martin im Krankenhaus auftaucht und lädt den Jungen dann wiederum unvermittelt zu sich nach Hause ein, um ihn der Familie vorzustellen.

    „Was für ein höflicher junger Mann“, sagt Anna nach dem Besuch, aber schon wenig später kündigt Martin einen Fluch über die Familie an. Sohn, Tochter und Mutter würden nacheinander unheilbar erkranken und sterben, was die Strafe dafür sei, dass Steven die Schuld trage am Tod von Martins Vater auf dem OP-Tisch. Aber wenn der Familienvater – so das diabolische Angebot – einen der drei selbst töte, blieben die anderen beiden verschont. Schon bald können die Kinder ihre Beine nicht mehr bewegen, die Ärzte sind ratlos und die Krankheit nimmt den angekündigten Verlauf.

    Eine tiefgekühlte, griechische Tragödie

    „The Killing of a Sacred Deer“ kann man sich am besten als tiefgekühlte, griechische Tragödie vorstellen. Aber nicht mit Verzweiflung und großen Emotionen reagieren die Figuren auf das fingierte Schicksal, sondern mit einem kühlen Pragmatismus, welcher der Situation jedoch genauso wenig gewachsen ist. Wie durch die Scheibe eines Aquariums blickt Lanthimos („The Lobster“) auf das tragische Geschehen, das mit fast schon sadistischer Nüchternheit in Szene gesetzt wird.

    Ein wenig erinnert das an die Filme des Österreichers Michael Haneke wie „Funny Games“ oder „Caché“. Wie bei Haneke ist auch hier die Grenze zur künstlerischen Pose nicht klar auszumachen. Aus der Verweigerung von konventionellen Identifikationsmustern entsteht jedoch nicht zwangsläufig eine neue Seherfahrung. „The Killing of a Sacred Deer“ bleibt im eigenen Verstörungskonzept stecken und entwickelt darüber hinaus kaum emotionalen Erkenntnisgewinn – mag auch Lanthimos in Cannes den Preis für das beste Drehbuch erhalten haben.

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