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Fall Susanna: Medienkolumne: Reichelt, der Scharfmacher von der „Bild“

Fall Susanna

Medienkolumne: Reichelt, der Scharfmacher von der „Bild“

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    Bild-Chef Julian Reichelt gilt Kritikern als Scharfmacher. Er gibt den Kurs des Boulevardblattes auch beim Thema Flüchtlinge vor - und den halten viele für höchst bedenklich.
    Bild-Chef Julian Reichelt gilt Kritikern als Scharfmacher. Er gibt den Kurs des Boulevardblattes auch beim Thema Flüchtlinge vor - und den halten viele für höchst bedenklich. Foto: Bernd von Jutrczenka, dpa

    In diesen Tagen wird Bild-Chef Julian Reichelt von Kritikern gerne an eine Kampagne des Boulevardblattes erinnert: „Refugees welcome – Wir helfen“. Ja, es gab eine Zeit, da verkündete die Bild pathetisch: „Deutschland setzt ein Zeichen: Flüchtlinge, willkommen!“ Mit der Aktion wolle die

    Das war vor fast genau drei Jahren; der Ton ist ein anderer geworden. Die Bild berichtet wieder nahezu täglich über Flüchtlinge. Allerdings so wie auf der Titelseite vom 8. Juni, als es um den „Fall Susanna“ ging. Der irakische Flüchtling Ali B. hat inzwischen gestanden, das 14-jährige Mädchen aus Mainz umgebracht zu haben, eine Vergewaltigung bestreitet er. Die Bild titelte: „Wenn er abgeschoben worden wäre…würde sie noch leben“.

    Moritz Tschermak vom Bild-kritischen bildblog.de schrieb dazu: „Man könnte diese Titelzeile eins zu eins in einen AfD-Tweet oder Beatrix-von-Storch-Post bei Facebook verwandeln. Und man könnte der Partei dann völlig zu Recht vorwerfen, dass sie versucht, aus einem Tod Kapital zu schlagen. Und so hilft die Bild-Redaktion der AfD enorm mit derartigen Schlagzeilen. Sie gibt die Schwerpunkte, die Sprache, die Aufregung bei Asyl- und Flüchtlingsthemen morgens am Kiosk vor. Und die Partei muss sie am Mittag in ihren plumpen Parolen nur noch aufgreifen.“

    Beatrix von Storch fordert: Reichelt sollte sich bei Susannas Eltern entschuldigen

    So kam es. Von Storch, stellvertretende Vorsitzende der AfD-Bundestagsfraktion, reagierte am 10. Juni auf einen Tweet von Bild-Chef Reichelt wie folgt: „Und wann entschuldigen Sie sich, @jreichelt? SIE haben die #Refugeeswelcome-Party maßgeblich befeuert! SIE sind genauso schuld!!“ Reichelt hatte bei Twitter auf einen Bild-Kommentar verlinkt, in dem gefordert wird, dass die Bundesregierung „Susannas Eltern um Verzeihung bitten“ sollte: Ali B. hätte „längst nicht mehr in Deutschland“ sein dürfen.

    Tschermak führte in seinem Artikel „Wie Bild Brücken für die AfD baut“ aus, dass die Zeitung seit dem 1. März – dem Tag von Reichelts Antritt als alleiniger Chef der gedruckten Bild nach dem Rücktritt Tanit Kochs – 23 Artikel auf ihrer Titelseite brachte, „die mit den Themen Asyl und Flüchtlinge zu tun haben“, verstärkt seit 21. April („Asyl-Skandal. Bestochen? Amts-Chefin genehmigt 2000 Anträge einfach so“).

    Auch der Medienethik-Professor Christian Schicha von der Friedrich-Alexander Universität Erlangen-Nürnberg hat beobachtet, dass es mit dem Skandal um strittige Asylbescheide der Bremer Außenstelle des Bundesamts für Migration und Flüchtlinge einen Einschnitt gegeben habe, was die Bild-Berichterstattung über Flüchtlinge in jüngerer Zeit betrifft. Gerade versuche sie, eine verbreitete, eher flüchtlingskritische Stimmungslage in der Bevölkerung aufzugreifen. Dabei arbeite sie mit Emotionalisierung, Dramatisierung und Schuldzuweisungen. Mit Blick auf die „Refugeeswelcome“-Kampagne sagt er im Gespräch mit unserer Zeitung: „Bei der Bild gibt es einen Schwenk. Sie hat ihre Haltung beim Thema Flüchtlinge um 180 Grad geändert. Bild-Chef Julian Reichelt geht relativ aggressiv vor, vermutlich auch wegen des spürbaren ökonomischen Drucks.“

    Die Zeitung habe erheblich an Auflage verloren. Und der neue Kurs könne durchaus wirtschaftlich erfolgreich sein; der Reputation der Zeitung schade er aber, meint Schicha. „Was mich dabei ärgert, ist: Die Bild schadet damit auch dem Journalismus in Deutschland insgesamt, weil von ihr auf andere Medien geschlossen wird.“ Der Kurs des früheren Kriegsreportes Reichelt führte auch zu wenig schmeichelhaften Artikeln über ihn. Der Spiegel befand im April: „Seitdem Julian Reichelt bei Bild das Kommando übernommen hat, ist das Blatt auf Krawall aus.“ Die Zeit schrieb Ende Februar, er sei ein „Feldherr“. Zuvor war er auf das Satiremagazin Titanic hereingefallen, dass ihm die Geschichte einer angeblich russisch unterwanderten SPD unterjubelte.

    Medienethiker: Die AfD kann sich bei der Bild für ihre Berichterstattung bedanken 

    Zum aktuellen Vorwurf, sein Kurs helfe der AfD, sagt Medienethiker Schicha: „Die Bild grenzt sich nach wie vor von der AfD als fremdenfeindlicher Partei ab. Gleichzeitig liefert sie ihr durch ihre Berichterstattung Munition. Und mehr noch: Diese Art der Berichterstattung kann sogar dazu führen, dass die AfD Zulauf erhält. Sie kann sich also durchaus bei der Bild bedanken – und das ist sehr bedauerlich.“ Zur Schlagzeile „Wenn er abgeschoben worden wäre“ meint er: „Das ist ein völliger Fehlschluss, dummes Zeug. Derartige Verbrechen passieren nun mal ja auch in Deutschland, verübt von Deutschen.“ Beschwerden zu der Schlagzeile haben den Deutschen Presserat bis Mittwochnachmittag nicht erreicht, erklärt der Geschäftsführer des Selbstkontrollorgans, Lutz Tillmanns. Aber: „Zum ,Fall Susanna‘ haben wir mittlerweile acht Beschwerden, darunter auch fünf Bild-Online betreffende Beiträge, erhalten.“ Alle acht Fälle seien jedoch „inhaltlich noch nicht vorgeprüft“. Julian Reichelt und der Axel-Springer-Verlag ließen eine Anfrage unserer Zeitung zu den Vorwürfen unbeantwortet.

    Sie sind nicht die Einzigen, die die Debatte über Flüchtlinge auf problematische Weise prägen. „Es ist erschütternd, wie fixiert die öffentlich-rechtlichen Polit-Talkshows auf das Thema Flüchtlinge sind. Im Grunde genommen haben sie alle den Sendungstitel: ‚Deutschland am Abgrund‘“, kritisiert Ethiker Schicha. „So werden Ängste geschürt.“

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