Hunderte Hinweise sind im Mordfall Maddie eingegangen. Nicht nur beim Bundeskriminalamt. Allein bei Scotland Yard in London haben sich nach dem öffentlichen Zeugenaufruf vom vergangenen Mittwoch rund 400 Personen gemeldet, sagte ein Sprecher.
Im Gegensatz zu den deutschen Ermittlern geht die britische Polizei weiter von einem Vermisstenfall aus. „Es gibt keinen endgültigen Beweis, dass Madeleine noch lebt oder tot ist“, sagte der Scotland-Yard-Sprecher. Die Ermittler in Deutschland sind dagegen überzeugt, dass das Mädchen tot ist und dass Christian B. die dreijährige Madeleine McCann am 3. Mai 2007 aus einer Ferienanlage in Portugal entführt hat, wo sie mit ihrer Familie im Urlaub war. Der 43-Jährige sitzt derzeit wegen eines Drogendelikts in Kiel im Gefängnis. B. hatte jahrelang an der Algarve gelebt, von 1995 bis 2007 auch in der Nähe des Tatorts im Ferienort Praia da Luz, und sich dort unter anderem mit Gelegenheitsjobs über Wasser gehalten.
Mehrere Zeugen hatten nach Maddies Verschwinden Verdächtiges zu Protokoll gegeben
Eine britische Zeugin, die sich bereits kurz nach Maddies spurlosem Verschwinden gemeldet hatte, will den Hauptverdächtigen Christian B. auf den nun veröffentlichten Bildern wiedererkannt haben. „Das ist der Mann, den ich gesehen habe“, sagte sie der britischen Zeitung Sun. Er soll sich damals in der Nähe des Apartments der Familie McCann merkwürdig verhalten haben. Die Zeitung nennt die Frau eine „glaubwürdige Zeugin“.
Kurz nach Maddies Verschwinden hatten mehrere Zeugen Verdächtiges zu Protokoll gegeben, das nun neue Bedeutsamkeit erlangen könnte. Ein irisches Ehepaar berichtete der Polizei damals, dass sie in der mutmaßlichen Tatzeit zwischen 21 und 22 Uhr einen Mann mit einem kleinen Kind auf dem Arm gesehen habe. Der Mann sei von der Ferienanlage Ocean Club, in dem sich das Ferienapartment der Familie McCann befand, Richtung Strand weggegangen.
Weitere Zeugen hatten im fraglichen Zeitraum zwei Männer mit verdächtigem Verhalten in der Nähe der Ferienanlage in Praia da Luz beobachtet. Diese hätten den Eindruck erweckt, die Anlage auskundschaften zu wollen. Die Männer sollen beide hellhaarig gewesen sein. Christian B., gegen den in Deutschland im Fall Madeleine wegen Mordverdachts ermittelt wird, ist blond.
B., der unter anderem wegen des sexuellen Missbrauchs von zwei Mädchen vorbestraft ist, schweigt unterdessen. Auch in den beiden Fahrzeugen, einem VW-Kleinbus und einem Jaguar, mit denen er im Tatzeitraum an der Algarve unterwegs war, fand die Polizei offenbar keine verwertbaren Spuren, die zu einer Anklage reichen würden. „Beide Fahrzeuge wurden von den deutschen Behörden sichergestellt“, bestätigte Scotland Yard in einer Mitteilung. Der VW-Bus sei 2019 von den Fahndern auf einem portugiesischen Schrottplatz gefunden worden, schrieb die Zeitung Correio da Manhã.
Keine Spur gibt es derweil von jenen Missbrauchsvideos, die Christian B. von einigen seiner Taten gemacht haben soll. Diese Videos werden von mehreren Zeugen erwähnt. Nach britischen und portugiesischen Medienberichten zeigte B. zum Beispiel 2017 einem deutschen Bekannten an einem bierseligen Abend Szenen auf seinem Handy, auf denen die Vergewaltigung einer älteren Frau zu sehen ist.
Was ist mit den Missbrauchsvideos, mit denen Christian B. geprahlt haben soll?
Dieser Zeuge soll daraufhin die Polizei informiert haben – zumal B. ihm gegenüber auch damit prahlte, „alles über Madeleine zu wissen“. Dank dieses Hinweises konnte Christian B. offenbar die Vergewaltigung einer 72-jährigen Amerikanerin zugeschrieben werden, für die er 2019 verurteilt wurde. Zugleich wurde er dadurch zum Hauptverdächtigen im Fall Maddie. Die Vergewaltigung ereignete sich 2005 in Praia da Luz, also anderthalb Jahre, bevor im selben Ort auch Maddie verschwand.
Nach dem internationalen Medienecho erhoffen sich die Ermittler Hinweise aus der Bevölkerung, die doch noch zum Durchbruch führen. Neue Erkenntnisse wurden am Wochenende allerdings nicht bekannt. Zudem schließt die Polizei nicht aus, dass Christian B. für weitere Straftaten verantwortlich ist. Die Staatsanwaltschaft Stendal prüft mögliche Parallelen zu einem Fall in Sachsen-Anhalt. Dort verschwand am 2. Mai 2015 das fünfjährige Mädchen Inga aus Schönebeck. (mit dpa)
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