"Sein (Böhmermanns) Schmähgedicht, das sich hemmungslos antimuslimischer Ressentiments bedient, zielt tatsächlich nicht auf Erdogan und nicht, wie einige Kritiker beklagen, auf die Türken, sondern vor allem auf die öffentliche Aufmerksamkeit. Es geht nicht um Kritik an Erdogan, sondern um die möglichst pompöse mediale Inszenierung als Kritik. Böhmermann hat Witz, aber sein Witz hat keine Substanz. Er richtet seinen Blick nicht auf die repressive Politik des türkischen Präsidenten, er schielt nur auf die Reaktion der Medien." Berliner Zeitung
"Die künstlerische Note des Böhmermann-Beitrags ist inzwischen zweitrangig geworden. Mit der Forderung Ankaras nach einem Strafverfahren gegen den Komiker hat die ganze Chose eine streng staatspolitische Note bekommen. ... Nun muss die Bundesregierung über ein Ermittlungsverfahren entscheiden. Eine Wahl hat die Kanzlerin nicht: Sie kann gar nicht anders, als die Meinungs- und Pressefreiheit in Deutschland zu verteidigen. Für Merkel steht aber noch eine ganz andere, brisante Frage im Raum: Wie sehr hat sich Deutschland von dem Partner Türkei erpressbar gemacht? Ein heißes Eisen. So ist aus dem satirischen Eiertanz ein diplomatischer Drahtseilakt geworden. Westfälische Nachrichten
"Hier steht die Reputation der Regierung zur Disposition. Was in keinem Fall sein darf, ist die Preisgabe der Meinungsfreiheit. Aber das ist inzwischen wohl hinreichend klar."Der Tagesspiegel
"Die Bundesregierung sollte den Vorstoß der Türken nicht über Gebühr "prüfen", sondern klar sagen, dass bei uns jede Kunst geschützt ist. Sogar unverständliche oder schlechte." Märischische Allgemeine Beleidigung von Staats-Chefs: Das ist der Paragraf 103
"Wie aber kommt Jan Böhmermann aus dieser Nummer wieder heraus, in die er sich ja ebenso wie die Kanzlerin vorsätzlich hineingebracht hat? Ist der Meister der Provokation noch Herr des Verfahrens? Böhmermanns Abtauchen aus der Öffentlichkeit zeigt, dass auch er weiß, worauf es ankommt. Er darf seinen Fernsehauftritt nun nicht kommentieren. Denn Kunst erklärt sich aus sich selbst. Jedes weitere Wort würde die Inszenierung und den Kunstanspruch zerstören. Schließlich hat Böhmermann bewusst eine Rahmenhandlung gewählt, die suggeriert, er wolle erklären, was man nicht sagen darf und was die Grenze zur Schmähung überschreitet. Das kann man für pubertäres Gehabe halten. Doch jedes Wort zu viel würde nun Belege liefern, dass die vermeintliche Satire ein Straftatbestand ist." Stuttgarter Zeitung
"Freiheit, ernst genommen, produziert Zumutungen. Freiheit ernst zu nehmen heißt, sie radikal zu denken. Merkel hat ihre Böhmermann-Kritik via Sprecher eingeräumt. Dennoch wird sie weiterhin, ihrer Verantwortung entsprechend und ihrem moderierenden Naturell, versuchen, beidem gerecht zu werden. Wirklich bemerkenswert ist die zivilrechtliche Antifreiheitsfront von Ultrakonservativen über Humorverächter bis hin zu linksliberalen Anständigen, die ihre moralische Rigidität in der Wahl der Mittel beschädigt sehen. Wie schon das überragende zivilgesellschaftliche Engagement der Deutschen in der Flüchtlingskrise ist das Ringen um die Grenzen der Freiheit im Böhmermann-Gate ein Zeichen jener aufgeklärten Wachheit weiter Teile dieses Landes." Die Welt
"Die "heute-Show" hat teilweise höhere Einschaltquoten als die eigentlichen Nachrichtensendungen. Das prägt. Erst die staatlichen Rundfunkmacher, dann die Zuschauer. Es wird geblödelt ohne Sinn. In diesen Oberflächlichkeitskult passt dann das Gedicht von Jan Böhmermann ganz gut, dessen einziger Verdienst darin besteht, dass der türkische Präsident Erdogan sich erdreistet, seinen 2000 Beleidigungsklagen im eigenen Land eine weitere in Deutschland hinzufügen zu wollen. Rhein-Neckar-Zeitung "Erdogan, zeig mich an!": Hallervorden macht es Böhmermann nach
"Die Frage, ob Jan Böhmermann durfte, was er tat, dürfte juristisch schnell beantwortet werden: Ja, er durfte. In den Wettbewerb des Vorauseilens und Herumeierns ist gestern Regierungssprecher Steffen Seibert eingestiegen. Nachdem Bundeskanzlerin Angela Merkel in einem Telefonat mit dem türkischen Ministerpräsidenten Ahmet Davutoglu bereits ihr Bedauern über den aus ihrer Sicht "bewusst verletzenden Text" zum Ausdruck gebracht hat, ruderte er nun ein bisschen zurück. Für die Kanzlerin sei der Artikel 5 des Grundgesetzes über die Freiheit der Meinungsäußerung, der Kunst und Wissenschaft "selbstverständlich höchstes Gut" und "weder nach innen noch nach außen verhandelbar". Gleichzeitig will die Bundesregierung aber den Wunsch der Türkei nach Strafverfolgung prüfen. Ja, was denn nun?" Leipziger Volkszeitung
"Die türkische Führung steht nun im Ruf, sich in die inneren Angelegenheiten Deutschlands einzumischen und einen Satiriker mundtot machen zu wollen. Die Bundeskanzlerin vermittelt den Eindruck, die deutsche Meinungs- und Diskussionsfreiheit nicht gebührend zu verteidigen. Die beleidigten Reaktionen der türkischen Führung und das ungeschickte Taktieren der Bundesregierung - nicht der Fernsehsatiriker- gefährden die deutsch-türkischen Beziehungen und wecken antitürkische Stimmungen." Reutlinger Generalanzeiger
Dass das Schmähgedicht schlecht war, ist nicht entscheidend
"Erdogan selbst verletzt in seinem eigenen Land die Meinungsfreiheit aufs Gröbste. Damit hat er aber nicht das Recht verwirkt, dass eine Schmähkritik gegen ihn aus Deutschland nach unseren Maßstäben der Meinungsfreiheit auf ihre Rechtmäßigkeit überprüft wird. Angesichts der bisherigen Urteile zur Kunst- und Meinungsfreiheit stehen die Chancen gut, dass ein solcher Prozess ganz anders ausgeht, als der türkische Präsident sich das wünscht. " Rhein-Zeitung
"Böhmermanns "Schmähgedicht" war schlecht. Grottenschlecht sogar. Aber das ist nicht entscheidend. Entscheidend ist, dass so ein überaus schlechter Wortbeitrag in Deutschland vorgetragen werden darf, ohne dass man dafür gleich ins Gefängnis muss, dass darüber diskutiert, gestritten oder sogar geschimpft werden kann. Das nennt man Meinungsfreiheit, ein wesentlicher Bestandteil unserer Demokratie. Das alles scheint ein gewisser Recep Tayyip Erdogan, seines Zeichens türkischer Präsident auf dem Weg zum Diktator, nicht zu verstehen. Er mischt sich erneut in die inneren Angelegenheiten eines souveränen Staates ein und lacht sich wahrscheinlich noch ins Fäustchen, dass die Bundeskanzlerin auch noch Verständnis für sein Anliegen signalisiert. Aber danke, Herr Erdogan, dass jetzt mal wieder über Pressefreiheit gesprochen wird." Emder Zeitung
"Böhmermann hat eine Diskussion vom Zaun gebrochen, die in der Türkei schon gar nicht mehr möglich wäre. Dort verhaftet Erdogan Kritiker, lässt Redaktionen stürmen. Wer die Wahrheit schreibt - etwa, dass die Türkei die Terroristen vom IS unterstützt hat - begibt sich in Gefahr. Von Seiten der EU und der Nato hat Erdogan nichts zu befürchten, ebenso wie für sein Vorgehen gegen die Kurden. Aber bei einem "Schmähgedicht" eines ZDF-Moderators: Da hört für Merkel der Spaß auf. Indem sich die Bundesrepublik von Erdogan erpressen lässt, spielt sie denen in die Karten, die behaupten, dass es so etwas wie universelle Menschenrechte nicht gibt. Sie sind offenbar Verhandlungssache und hängen von den Umständen ab." Nordbayerischer Kurier
"Die Regierung muss sich nun zwischen äußerer Staatsräson und innerer Glaubwürdigkeit entscheiden. Der überholte Paragraf 103, der die Beleidigung von Vertretern ausländischer Staaten unter Strafe stellt, verlangt eigentlich ein Verfahren. Aber dieses wäre durch den Kontext von Böhmermanns Schmähsatire der Lächerlichkeit preisgegeben. Merkel müsste das türkische Verlangen daher aus Eigeninteresse abweisen; sie stünde sonst schmählich als Handlangerin eines Despoten da. Für Böhmermann aber böte ein Strafprozess eine große Chance für neue Satiren - zur Fortsetzung seines Kampfes für die Meinungsfreiheit." Der Standard (Wien)
"Ernsthafte Analyse vorausgesetzt karikiert Böhmermanns Polemik ja weniger Recep Erdogan als die realpolitische Annäherung zwischen EU - alias Angela Merkel - und der Türkei. Sollte er sie nun gar torpedieren, käme dies nicht nur einer unglaublichen Überhöhung eines Comedians aus dem dritten Fernsehprogramm gleich. Mehr noch: Die Spaßgesellschaft hätte mit immer derberen Späßen gesiegt über harte politische Arbeit, weil sie statt differenzierender Entlarvung die Welt schlicht in gut und böse teilt." Badische Neueste Nachrichten Porträt: Jan Böhmermann - verwirrender Ironie-Virtuose
"Letztlich muss man Angela Merkel raten, trotzdem die Ermittlungen gegen Böhmermann zuzulassen. Beleidigung ist Beleidigung, egal in welcher Absicht. Sie könnte sogar argumentieren, dass Deutschland - anders als Ankara - selbst dann noch die unabhängige Justiz walten lässt, wenn die Regierung ein gegenteiliges Interesse hat und das Gesetz ihr sogar ausnahmsweise einen Eingriff erlauben würde. So geht Rechtsstaat. Dann freilich wird es auch für Böhmermann ernst, denn theoretisch stehen drei Jahre Strafe im Raum. Aber deutsche Gerichte würdigen - anders als türkische - auch bei Majestätsbeleidigung die mildernden Umstände, die weitsichtige politisch-künstlerische Absicht des Täters etwa oder sein gesetzestreues Vorleben. Eine milde Geldstrafe wäre ein gutes Ende." Lausitzer Rundschau
"Warum gerade jetzt? mag die Kanzlerin denken. Warum ausgerechnet jetzt, da man den türkischen Präsidenten so dringend braucht, um Europas Flüchtlingsproblem in den Griff zu kriegen? Natürlich jetzt! Wann denn sonst?! Satire kommt immer zur falschen, also zur rechten Zeit. Denn sie will ja nicht glätten und nicht bauchpinseln, sondern zuspitzen und provozieren. (...) Aber lassen wir doch den Erdogan im Dorf und machen keine Staatsaffäre daraus. "Schweres Verbrechen gegen die Menschlichkeit", so schallt es aus der Türkei. Hä? Ist das jetzt Kurden-Satire, oder was? Wer so nach dem Kadi schreit, sollte lieber vor seiner Haustür kehren. Und Angela Merkel täte gut daran, unser höchstes Gut, die Meinungsfreiheit, zu verteidigen." Thüringische Landeszeitung dpa, afp