Das Gehöft im nordrhein-westfälischen Höxter macht einen eher unscheinbaren Eindruck, doch seit dem Frühjahr wird das Gebäude im Ortsteil Bosseborn nur noch das Horror-Haus genannt. Damals wurde bekannt, dass in dem Wohnhaus eines Ex-Ehepaares zwei Frauen festgehalten und so schwer misshandelt worden waren, dass sie starben. Weitere Frauen, die das mutmaßliche Täterpaar gequält haben soll, überlebten das Martyrium. Was genau sich hinter den Mauern des berüchtigten Hauses abgespielt hat, will nun ab Mittwoch das Landgericht in Paderborn klären.
Auf der Anklagebank werden dann die 47-jährige Angelika W. und ihr ein Jahr jüngerer Ex-Mann Wilfried W. sitzen. Die Staatsanwaltschaft wirft den beiden Angeklagten gemeinschaftlichen Mord durch Unterlassen in zwei Fällen vor. Dabei geht die Anklage davon aus, dass das mutmaßliche Täterpaar beim Tod der beiden Frauen aus niedrigen Beweggründen, grausam und zur Verdeckung einer Straftat handelte.
Höxter: Ex-Paar wegen Mordes angeklagt
Angelika W. muss sich in dem Paderborner Prozess zudem wegen versuchten Mordes verantworten, beiden Angeklagten wird darüber hinaus gefährliche Körperverletzung in einer Reihe von Fällen zur Last gelegt.
Die Tatvorwürfe gegen die Ende April festgenommenen Angeklagten hatten bundesweit Entsetzen ausgelöst. Verdächtige und Opfer lernten sich nach Erkenntnissen der Ermittler über Kontaktanzeigen kennen, die Wilfried W. in zahlreichen Zeitungen geschaltet haben soll.
Für zwei der durch die Anzeigen angelockten Frauen im Alter von 33 und 41 Jahren endeten die Folterungen im Haus des Paares tödlich: Die aus Niedersachsen stammende 33-Jährige starb am 1. August 2014 - nach früheren Angaben der Staatsanwaltschaft an den Folgen "schwerster körperlicher Misshandlungen". Ihre Leiche sollen die mutmaßlichen Täter in eine Tiefkühltruhe gelegt, in kleine Stücke zerteilt und diese anschließend in einem Kaminofen verbrannt haben.
"Folter-Paar" wegen Notruf aufgeflogen
Das 41-jährige zweite Todesopfer, ebenfalls aus Niedersachsen, soll im vergangenen März nach Höxter gezogen sein. Die Frau starb am 21. April an den Folgen schwerer Misshandlungen. Ihr Tod in einem Krankenhaus brachte die Vorgänge in dem Horror-Haus erst an Licht: Das mutmaßliche Täterpaar flog auf, als es die schwerst verletzte Frau zurück nach Niedersachsen bringen wollte und auf der Fahrt mit dem Auto liegenblieb.
Daraufhin hatte das Paar damals einen Rettungswagen gerufen - offenbar, weil es "in dieser Situation überfordert" war, wie die Ermittler wenige Tage nach der Festnahme der Ex-Eheleute mutmaßten. Nach dem Tod der 41-jährigen Frau wenig später in der Klinik wurde die Polizei eingeschaltet. Bei den anschließenden Ermittlungen nahmen die grausigen Ereignisse von Höxter-Bosseborn dann nach und nach Gestalt an.
Was geschah in dem Horror-Haus von Höxter?
Eine zentrale Aufgabe der Richter in Paderborn Richter wird nun sein, dass Motiv für die Taten zu durchleuchten - falls dies überhaupt gelingen kann. Bei den Misshandlungen sei es in erster Linie um "Machtausübung" gegangen, hatte der Paderborner Oberstaatsanwalt Ralf Meyer zu Beginn der Ermittlungen vermutet - wohl wissend, dass solche Begriffe kaum ausreichen, um die Ereignisse von Höxter zu erklären.
Der Fall Höxter - eine Chronologie des Grauens
Das Landgericht Paderborn hat ein Urteil zu den Geschehnissen im sogenannten Horrorhaus von Höxter gesprochen. Angeklagt wegen Mordes durch Unterlassen waren Wilfried W. (48) und seine Ex-Frau Angelika W. (49). Eine Chronologie der Ereignisse:
1995: Das Amtsgericht Paderborn verurteilt den damals 25-jährigen Wilfried W. wegen Körperverletzung, Freiheitsberaubung und Nötigung zu zwei Jahren und neun Monaten Haft. Er hatte laut Gericht seine Frau misshandelt und gequält - zusammen mit einer Komplizin.
1999: Der gebürtige Bochumer lernt die in Herford geborene, heute 49-jährige Angeklagte Angelika B. kennen. Sie heiraten.
2011: Im Ortsteil Höxter-Bosseborn mietet das Paar einen Hof.
Ende 2011 bis März 2012: Mehr als drei Monate soll eine Frau aus dem Großraum Berlin misshandelt und gefangen gehalten worden sein. Das Opfer traut sich erst 2016, bei der Polizei auszusagen, als es in Medienberichten das Haus in Ostwestfalen wiedererkennt.
2013: Über eine Zeitungsanzeige kommt Anika W. aus Niedersachsen nach Bosseborn. Nach kurzer Zeit heiratet sie Wilfried W., der weiter mit seiner Ex-Frau in dem Haus wohnt. Gemeinsam sollen sie die 33-Jährige gequält haben, wie aus den Aussagen der Angeklagten hervorgeht.
August 2014: Die misshandelte Frau stirbt an ihren Verletzungen. Das Paar soll die Leiche in einer Tiefkühltruhe eingefroren, zerstückelt und verbrannt sowie die Asche an Straßenrändern verteilt haben. Das Paar habe immer wieder SMS-Nachrichten an die Mutter des Opfers geschickt, die bis April 2016 davon ausgeht, dass ihre Tochter lebt.
Februar 2016: Die 41-jährige Susanne F. aus dem niedersächsischen Bad Gandersheim reagiert auf eine Zeitungsanzeige und kommt im März in das Haus. Über mehrere Wochen wird sie festgehalten und misshandelt.
April 2016: Mit der schwer verletzten Frau im Auto fährt das Paar in Richtung Bad Gandersheim. Dort wollen sie die Frau in ihre Wohnung zurückbringen. Eine Autopanne durchkreuzt jedoch den Plan. Sie entscheiden sich, einen Rettungswagen zu rufen. Das Opfer stirbt einen Tag später, die Ärzte schalten die Polizei ein. Wenige Tage später wird Haftbefehl gegen Wilfried W. und seine Ex-Frau erlassen.
Mai 2016: Die Ermittler geben Details bekannt. Die Beschuldigte hat demnach umfassend über beide Todesfälle ausgesagt, Wilfried W. bestreitet jede Schuld. Die Polizei sucht nach weiteren Frauen, die in der Gewalt des Paares in Bosseborn gewesen sein könnten.
Oktober 2016: Beginn des Prozesses gegen Wilfried W. und Angelika W.
Ende 2016: Angelika W. schildert bei ihrer Befragung im Prozess grausame Details. Ohne ersichtliches Unrechtsbewusstsein berichtet sie, wie sie selbst Opfer und dann Täterin geworden sei.
März 2017: Wilfried W. sagt aus. Er schildert sich als Mitläufer.
Juli 2018: Laut Gutachterin Nahlah Saimeh haben die Angeklagten eine gewachsene Einheit gebildet, um ihre Opfer einzuschüchtern und zu manipulieren. Die überdurchschnittlich intelligente Angelika W. sei schuldfähig, trotz der Züge von Autismus. Saimeh empfiehlt, Wilfried W. in die Psychiatrie einzuweisen. Er sei vermindert schuldfähig und habe eine erhebliche Intelligenzminderung.
September 2018: Staatsanwalt und Nebenkläger fordern lebenslange Freiheitsstrafen und das Feststellen der besonderen Schwere der Schuld für beide Angeklagten. Zusätzlich soll Wilfried W. in die Psychiatrie. Seine Verteidiger sprechen sich wegen gefährlicher Körperverletzung und versuchten Mordes für sieben Jahre und sechs Monate Haft und Einweisung in die Psychiatrie aus. Die Verteidiger von Angelika W. fordern für sie Freispruch. Sollte das Gericht dem nicht folgen, schlagen ihre Anwälte wegen umfassender Aussage eine Kronzeugenregelung vor. Dann soll sie für 12 Jahre ins Gefängnis.
Oktober 2018: Die beiden Angeklagten werden zu langjährigen Freiheitsstrafen verurteilt. Das Landgericht verhängt gegen Angelika W. 13 Jahre Haft und gegen Wilfried W. elf Jahre Freiheitsstrafe.
Um den Schleier über dem gespenstischen Geschehen in dem Horror-Haus zu lüften, hat das Landgericht Paderborn zunächst Verhandlungstermine bis Ende Januar anberaumt. Möglicherweise werden sich die Richter aber noch deutlich mehr Zeit nehmen müssen, bevor sie in einem der grauenerregendsten Kriminalfälle der vergangenen Jahre zu einem Urteil kommen. AFP