Jürgen Kriwet ist gebürtig aus Landsberg am Lech und gilt als einer der führenden Hai-Experten Europas. In einem Interview mit augsburger-allgemeine.de erklärt der sogenannte Paläobiologe, warum die Hai-Attacken im ägyptischen Badeort Scharm al-Scheich ungewöhnlich sind.
Derzeit würde Jürgen Kriwet nicht im Roten Meer baden. In der vergangenen Woche waren bereits russische Touristen im Wasser von einem Hai attackiert worden. Einer 48 Jahre alten Russin wurde der Unterarm abgebissen - sie überlebte. Tödlich endete jedoch der Urlaub für eine deutsche Touristin aus der Bodenseeregion. Die 71-Jährige war gerade am Schnorcheln, als der Hai sie angriff. Er riss ihr ein Bein und einen Arm ab. Die Frau überlebte die schweren Verletzungen nicht.
Der Gouverneur von Sinai Süd, Mohammed Schuscha, kündigte nach den Vorfällen an, alle Strände in und um Scharm al-Scheich blieben gesperrt, bis sämtliche potenziell gefährlichen Haie vor der Küste gefunden und gefangen sind. Hunderte ausländische Touristen seien wegen der Angriffe vorzeitig nach Hause gereist, teilten Tourismusunternehmen im Land mit.
Für Jürgen Kriwet ist die Häufung der Hai-Angriffe ungewöhnlich. Kriwet stammt eigentlich aus Landsberg am Lech. Seit September diesen Jahres ist er der stellvertretende Leiter des Instituts für Paläontologie an der Universität Wien. Kriwet ist auf Haie spezialisiert und will an der Uni Wien ein Hai-Forschungszentrum errichten.
Tödliche Angriffe von Haien passierten im Jahr weltweit durchschnittlich ein bis fünf Mal. Deshalb bewertet der Experte die gehäuften Vorfälle im Roten Meer als "sehr außergewöhnlich".
Für den ägyptischen Badeort Scharm al-Scheich sind solche Schlagzeilen natürlich keine gute Werbung. So wurden nach den Angriffen der vorigen Woche auf die russischen Touristen zwei Haie gefangen, die als mögliche "Täter" präsentiert wurden: ein Makohai und ein Weißspitzen-Hochseehai.
Jürgen Kriwet bezweifelt allerdings, dass es verschiedene Haie waren, die die Touristen angegriffen haben. Der Experte geht eher von einem Tier aus. "Wenn so eine Häufung passiert, ist es wahrscheinlich, dass es sich um einen einzelnen Hai handelt", sagt der Paläobiologe. "Dass es drei verschiedene waren, halte ich für unwahrscheinlich. Ich nehme an, dass der Verursacher noch herumschwimmt."
Laut Jürgen Kriwet könnte es ein alter Hai sein, der wahnsinnigen Hunger hat und langsame Schwimmer als leichte Beute sieht. Die Angriffe könnten aber auch mit dem Abladen von Schafskadavern im Roten Meer zusammenhängen. Davon könnte ein Hai ebenso angelockt werden, wie wenn Haie von Tauchbooten aus angefüttert werden.
Normalerweise greifen Haie Menschen nicht an. Der Mensch passe nicht ins Beuteschema des Hais, so der Wissenschaftler. Er schmecke ihm einfach nicht. Doch bis der Hai dies merkt, kann es für den Menschen längst zu spät sein. Ein Makohai etwa greift aus der Tiefe des Meeres an und schießt förmlich zur Wasseroberfläche empor. "Selbst wenn er dann merkt, dass er das gar nicht haben will, ist es oftmals schon zu spät", sagt Jürgen Kriwet. "Das ist dann wie ein D-Zug, der einen rammt. Und so ein Bein ist ganz schnell ab."
Der Wissenschaftler würde derzeit nicht ins Rote Meer zum Schwimmen gehen. "Vielleicht ist der Hai schon längst weg, vielleicht hat er sich inzwischen aber an leichte Beute gewöhnt."
Wie nah kommen Haie eigentlich an die Küste? Die Antwort des Experten: "Bis ins knietiefe Wasser. Sie können davon ausgehen, wenn man im Meer schwimmt, sind immer überall Haie. Es ist nur die Frage, ob man sie auch sieht." Ina Kresse