Wer im Wald spazieren geht, hört mit Sicherheit das ein oder andere Rascheln in Baumkronen. Der Wind? Möglich. Ein Vogel? Auch. Ein Eichhörnchen? Ja bitte, wie putzig. Oft sind es nur Sekunden, die sich Spaziergänger und Nagetier schenken, einander anschauen. Das Hörnchen, oben oder unten am Baumstamm festgekrallt, hat meist weniger Zeit. Schnell springt es weiter, sucht Nüsse, Bucheckern, Eicheln.
In europäischen Nadel-, Laub-, Mischwäldern, Parks sowie Siedlungen sind Eichhörnchen zu Hause. Sogar bis auf Balkone wagen sich die schlanken Tierchen mit dem buschigen Schwanz vor. Doch andere Hörnchen machen dem Eichhörnchen diesen Lebensraum in Europa immer mehr streitig: Grauhörnchen. Sie stammen aus Nordamerika, ähneln Eichhörnchen, sind aber größer und haben ein graueres Fell.
Grauhörnchen: Ihr Weg nach Süddeutschland führt um die Alpen herum
Grauhörnchen, wissenschaftlich sciurus carolinensis, kommen in Italien und auf den britischen Inseln vor. In weiten Teilen Englands, Irlands und Nordirlands haben sie Eichhörnchen verdrängt. Experten rechnen damit, dass Grauhörnchen irgendwann von Norditalien aus die Alpen umrunden und Eichhörnchen den Lebensraum in Süddeutschland streitig machen.
Anruf bei Stefan Bosch, 58, in Sternenfels-Diefenbach, nordöstlich des badischen Pforzheim gelegen. Seit vielen Jahren faszinieren ihn Vögel und Kleinsäuger. Bosch hat an einem Buch über Eichhörnchen mitgeschrieben und ist beim Naturschutzbund aktiv. Gerade ist er mit seinem Sohn im Garten. Während Bosch telefoniert, ruft der Bub, dass er ein Eichhörnchen sieht. Es besucht einen der Eichhörnchen-Kästen, die bei Bosch im Garten stehen. „Dass ein Eichhörnchen vorbei kommt, sehe ich selten“, sagt Bosch.
Ein Experte plädiert dafür, Wälder so zu gestalten, dass Eichhörnchen genug Nahrung haben
Dass weiter Eichhörnchen mit rotem, braunem, schwarzem Rückenfell und weißem bis gräulichem Bauchfell durch mitteleuropäische Gärten wuseln, ist Stefan Bosch wichtig. Er plädiert dafür, Wälder so zu gestalten, dass Eichhörnchen genug Nahrung finden. Sprich Nadel- und Mischwälder erhalten. Das wird aufgrund zunehmender Trockenheit und höheren Temperaturen immer schwieriger. Dieses Klima begünstigt die Ausbreitung von Borkenkäfern und Eichen-Prozessionsspinnern, die Bäume befallen. Die Lebensbedingungen traditioneller Baumarten wie der Fichte werden durch trockeneres Wetter ebenfalls erschwert. „Eichhörnchen mögen Fichten lieber als Eichen“, sagt Stefan Bosch.
Doch wie kommt es, dass graue Hörnchen Eichhörnchen in Großbritannien und Italien verdrängen? „Ein Faktor ist Stress“, sagt Bosch. Eichhörnchen spüren Druck bei der Nahrungssuche, wenn Grauhörnchen in ihrer Umgebung leben. Sie fressen wie Eichhörnchen Nüsse, Pilze, Vogeleier, Jungvögel. Bosch spricht von einer akuten Konkurrenzsituation. „Zwei Arten können nicht gleichzeitig die identische ökologische Nische besetzen, ohne in Konkurrenz zueinander zu treten“, sagt er. „Die besser angepasste Art wird die andere verdrängen, wobei die Unterschiede zwischen ihnen nicht groß sein müssen.“ Der Stress des Ringens um Ressourcen führt dazu, dass sich Eichhörnchen weniger stark fortpflanzen.
Grauhörnchen fressen Eichhörnchenjunge im Nest auf? Das ist eher unwahrscheinlich
Vermutungen, dass Grauhörnchen aufgrund ihrer körperlichen Überlegenheit Eichhörnchen angreifen, töten oder Eichhörnchenjunge im Nest auffressen, gelten Experte Stefan Bosch zufolge als widerlegt. Hingegen ist ein Krankheitserreger ein weiterer Faktor, warum die Population der Eichhörnchen dort zurückgeht, wo Grauhörnchen auftreten. Als die grauen Tierchen 1880 in Großbritannien ankamen, breitete sich mit ihnen ein Virus aus. Grauhörnchen erkranken nicht, für Eichhörnchen aber ist eine Infektion meist tödlich.
Wie mit Grauhörnchen umgegangen werden soll, sorgt in Großbritannien für Diskussionen. Die einen jagen sie und setzen sie auf Speisekarten von Restaurants, andere kümmern sich um kranke Tiere. Für Stefan Bosch stellt sich eine ethische Frage: „Akzeptieren wir, dass sich Flora und Fauna durch die Ansiedlung neuer Tierarten verändern oder gehen wir dagegen vor?“ Das Jagen von Eichhörnchen ist hierzulande allerdings verboten.
Die Menschen in Großbritannien hätten Eichhörnchen bereits vergessen, sagt Bosch. Das sei oft so, wenn eine Art verschwindet. Außerdem gibt es weiter das Grauhörnchen. Eine Ausnahme ist Schottland. Dort wird Werbung für die Orte gemacht, an denen Eichhörnchen zu sehen sind. Sogar Verkehrsschilder machen auf die Tiere aufmerksam.