Es wirkt, als falle gerade eine große Last von Lena ab. Als eine der Ersten rennt sie auf die Bühne zu Ell und Nikki und jubelt über den Sensations-Sieg der Aserbaidschaner beim Eurovision Song Contest. Hier die 19-jährige Lena, ganz in Schwarz und etwas verrucht geschminkt - dort Nikki in einem zarten weißen Trägerkleid. Es ist ein bisschen, als träfe der Sex auf die Liebe - und Europa entschied sich für die Liebe. Auch wenn manche Zuschauer in der Düsseldorfer Arena beim Finale enttäuscht von der Punktevergabe pfiffen, war es ein vollkommen gelungener Wettbewerb, in dem die ARD mit ihrer Fernsehshow Glanzlichter setzte.
Viele in Düsseldorf träumten von einem zweiten Sieg Lenas. Als sie auftrat, tobten die 36.000 Menschen im Saal. Die vor einem Jahr noch wie ein Küken erscheinende "lovely Lena" hatte sich zu einer sehr betont sexy auftretenden Frau verwandelt, mit wilder Mähne, laszivem Blick, gefährlich hohen Absätzen und lockendem Tanz. Ihr "Taken by a stranger" hätte sie kaum besser darbieten können. Doch die düster angehauchte Nummer traf nicht den Geschmack der 43 an der Abstimmung teilnehmenden Länder. Kein Mal gab es die begehrten "douze points". Schnell mussten auch die größten Optimisten erkennen, dass dieser Samstagabend nicht Lenas Abend werden würde.
Doch wer fürchtete, der zehnte Platz würde die im vergangenen Jahr so kometenhaft aufgestiegene Hannoveranerin treffen, sah sich getäuscht. Im Gegenteil: Ein "Riesenstein" sei von ihr abgefallen, sagte Lena in der ARD. Grund, daran zu zweifeln, gibt es wenig. An den Tagen in Düsseldorf wirkte sie lange nicht mehr so unbeschwert wie vor einem Jahr in Oslo. Das legendär gewordene Lena-Sprech mit spontanen Aussprüchen wie "verdammte Axt" verschwand hinter Floskeln. Doch auf einmal war wieder etwas von der alten Lena da. "Rot und blau" wolle sie sich nun mit ihren Tänzerinnen feiern. "Es geht mir fantastisch."
Um Lena scheint sich also niemand Sorgen machen zu müssen. Im kommenden Jahr will die ARD zusammem mit Stefan Raab mit einem Format, das vermutlich "Unser Star für Baku" heißt, einen neuen Starter suchen. Es bleibt aber abzuwarten, ob dieser eine ähnliche Strahlkraft wie Lena versprühen wird. Mit fast 14 Millionen Zuschauern bescherte sie der ARD erneut eine der besten Quoten der ESC-Geschichte.
Jubel in Aserbaidschan
In der am kaspischen Meer gelegenen Hauptstadt Aserbaidschans wird nun das nächste Finale des ESC ausgetragen. Mit spontanen Hupkonzerten feierten die Menschen in Baku den unerwarteten Sieg. Europa werde nun wirklich etwas über Aserbaidschan lernen, sagte die Buchhalterin Sakina Achmedowa. Allerdings dürften nun auch die demokratischen Defizite in dem von Präsident Ilham Alijew mit harter Hand geführten Land stärker in den Fokus treten. Vielen Deutschen sagt das vom Erdöl lebende Land bisher nur etwas, weil Ex-Bundestrainer Berti Vogts die Nationalmannschaft des Fußballs-Zwergs trainiert.
Unter den 25 Teilnehmern, die von den hyperaktiven irischen Zwillingen Jedward über den französischen Opernsänger Amaury Vassili zur am Ende zweitplatzierten italienischen Jazz-Nummer von Raphael Gualazzi eine riesige Bandbreite boten, verzauberten Ell und Nikki am meisten die Zuhörer. Die schöne zweifache Mutter im körperbetonten Kleid, er im weißen Anzug, viele zarte Gesten und dazu eine sehr eingängige Melodie waren die Zutaten für den Erfolg des einzigen Duetts des Abends. "Die Welt braucht mehr wahre Liebe", erklärte sich der 21-jährige Klavierstudent den von nur wenigen erwarteten Erfolg.
Neben Ell und Nikki gab es noch einen zweiten Sieger: Die ARD und das Moderatoren-Trio Anke Engelke, Judith Rakers und Stefan Raab boten eine international gelobte tolle Show, mit vielen Effekten und liebevollen Details. Die Zuschauer - nach Schätzungen waren es weltweit 120 Millionen - haben das von der ARD vielfach gezeigte Motto "feel your heart beat" in Aserbaidschans Auftritt wiederentdeckt. afp