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Eurovision Song Contest 2015: Vor dem ESC-Finale: Lena gegen Conchita

Eurovision Song Contest 2015

Vor dem ESC-Finale: Lena gegen Conchita

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    Lena Meyer-Landrut und Conchita Wurst veröffentlichen vor dem ESC 2015 gleichzeitig ein neues Album.
    Lena Meyer-Landrut und Conchita Wurst veröffentlichen vor dem ESC 2015 gleichzeitig ein neues Album. Foto: Hans Punz/dpa und Jens Kalaene/dpa

    Kann das Zufall sein? Nächsten Samstag tost wieder das mediale Finalspektakel des Eurovision Song Contest – und genau da sind jetzt zeitgleich neue Alben von Lena Meyer-Landrut und Conchita Wurst erschienen. Aber klar: Ob bereits fünf Jahre oder erst ein Jahr nach dem Triumph – beide ehemaligen Siegerinnen brauchen das Scheinwerferlicht. Denn für beider Karriere wird dieser Schritt und dieses Jahr richtungsweisend sein.

    Für das deutsche Mädchen bedeutet „Crystal Sky“ als bereits vierte Platte das Ende ihres aus dem Triumph entstandenen Plattenvertrags bei einem Branchenriesen – und sie ist noch immer erst zarte 23 Jahre alt, was bedeutet: eine Wandlung wäre durchaus noch drin. Für den österreichischen Transvestiten Tom Neuwirth ist das schlicht „Conchita“ betitelte Werk ein reichlich spätes Debüt-Album, das ebenfalls gleich bei einem Branchenriesen erscheint und den Triumph als mehr als eine Eintagsfliege erscheinen lassen soll – und er ist bereits 26, was bedeutet: Im jugendversessenen Pop-Geschäft sollte jetzt schon schnell was passieren.

    Die Gegensätze zwischen den beiden reichen aber noch viel tiefer – obwohl sie doch beide über Talentshows entdeckt wurden. Sie sind am besten wohl zu kennzeichnen mit dem, was das Wörtchen „normal“ bei ihnen bedeutet. „Unsere Lena“ war doch der Inbegriff des ganz normalen Mädchens – das dann aber plötzlich auf den Bühnen der größten Konzertarenen den Star geben sollte.

    Stefan Raab hat Lena Meyer-Landrut entdeckt

    So ist hier etwas in Schieflage geraten, das vor allem dem Fräulein selbst keine schöne Zeit beschert hat. Lenas Normalität nämlich ging in medialer Vollabdeckung immer mehr Menschen auf die Nerven, weil sich ja auch zeigte, dass sie keine Ausnahmekünstlerin ist und noch dazu tatsächlich mal zickig werden kann. So ist ihrem großen Förderer Stefan Raab vielleicht vorzuwerfen, dass er sie als Titelverteidigerin ein Jahr nach ihrem Sieg gleich noch mal groß in Szene setzte – und sie dem unmöglich standhalten konnte. So ist jenem Herrn Raab aber auch zu verdanken, dass Lena – nachdem sich ihr Vater schon nicht mit öffentlichen Geständnissen wichtig zu machen versuchte – nicht auch noch selbst ihr Privatleben dem Popgeschäft geopfert hat.

    Bis heute schüttelt sie bloß ablehnend mit dem Kopf, wenn ein Reporter nach ihrem Freund fragt, angeblich ein deutscher Basketball-Profi. Und erzählt höchstens einmal davon, dass sie am glücklichsten ist, wenn sie einfach mal auf der Couch liegen bleiben kann. Ganz normal eben.

    Conchita Wurst: Ermutigungen von Cher und Elton John

    Bei Conchita Wurst war die Frage nach der Normalität dagegen von Anfang an das Thema. Vor ihrem Sieg hatten die reaktionären Kräfte in Österreich gegen ihre Teilnahme protestiert, nach dem Sieg sogar russische, türkische und polnische Populisten diesen als Zeichen für den Verfall Europas gewertet. So ist bei ihr gerade das Privateste die Botschaft: dass vermeintlich Unnormales wie ihre vollbärtige Travestie doch längst zur gesellschaftlichen Normalität gehören. Und diese Botschaft brachte ihr Ermutigungen von Stars wie Cher und Elton John ein, machte sie zum gefragten Gast auch auf Pariser Laufstegen, ließ sie schließlich sogar vor dem EU-Parlament sprechen.

    Große Worte und Gesten, große, pathetische Bekenntnisse, die bei Lena lächerlich wirken würden, sind darum Conchitas Element – und ein Polarisieren, das sie abseits alles Künstlerischen bereits als Ausnahmekünstlerin ausweist. Auch von Tom Neuwirth aus Wien erzählt sie, dass er gern mal auf der Couch rumliegt. Aber diese Normalität gibt es für die Figur Conchita Wurst nicht. Vielleicht hätte sich Lena eine solche Spaltung ja auch mal gewünscht. Nur entsprochen hätte sie dem Mädchen aus Hannover halt nie.

    Lena Meyer-Landrut: Mit Handschrift und gefestigtem Gesang

    Aber wo geht nun die Reise hin? Lena schwenkt auf „Crystal Sky“ weiter ein auf den elektronischen Prinzessinnen-Pop des herrschenden Hitparaden-Zeitgeists. Aber das macht sie ordentlich, gern beschwingt, selten schwelgerisch, manchmal ein bisschen nachdenklich, weg vom unschuldigen Mädchengehoppel von „Satellite“ jedenfalls. Oft ist das Trallala wie in der ersten Single „Traffic Lights“, hat reichlich Plattheiten wie gleich zu Beginn mit „The Girl“, wird aber mit „Invisible“ auch mal heftig, zeigt ihre Stimme sogar strahlend in „Home“ und erreicht erstaunliche Tiefe in „Catapult“. Es ist also zur Hälfte ein ganz gutes Album, eines mit Handschrift immerhin und gefestigterem Gesang. Wahrscheinlich wird es wie bei den letzten Alben wieder etwas weniger Verkäufe geben als bei den Vorgängern (zuletzt aber immer noch über 200000 mit „Stardust“) – und trotzdem wieder für einen Platz in der Chartspitze reichen. So wird sie vielleicht noch mal einen Branchenriesen finden, der sie veröffentlicht. Wenn sie denn mag. Dann wird von ihr nur ganz langsam immer weniger zu hören sein. Zu mehr hätte es wirklich einer Wandlung bedurft.

    Bei Conchita Wurst ist das wohl anders – wenn es nach der Musik ihres Debüt-Albums geht. Der Vorgeschmack „You Are Unstoppable“ war da schon ganz bezeichnend. Hier wird zwölf Lieder lang auf alle Effektknöpfe der Eingängigkeit gedrückt. Der Pomp von Ermutigungshymnen wie „Heroes“, der Bläser-Swing von „Where Have All The Good Men Gone“, die Bassfreude von „Firestorm“, und der Balladenschmelz von „Pure“ – hier wird der Gehörgang mit allem verstopft, was geht. Aber wer soll das ertragen? So wird Conchita wohl als Ikönchen noch ein bisschen herumgetragen werden, immer modisch spannend inszeniert, aber bald im Pop-Niemandsland verschwinden.

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