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Eurovision Song Contest 2015: Andreas Kümmert nach ESC-Rückzug: Ein bisschen Sieger?

Eurovision Song Contest 2015

Andreas Kümmert nach ESC-Rückzug: Ein bisschen Sieger?

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    Eklat beim ESC-Vorentscheid: Andreas Kümmert sagt ab. Der 28-jährige Unterfranke wird Deutschland nicht in Wien beim ESC 2015 vertreten.
    Eklat beim ESC-Vorentscheid: Andreas Kümmert sagt ab. Der 28-jährige Unterfranke wird Deutschland nicht in Wien beim ESC 2015 vertreten.

    Hast du Töne! Die Konkurrenz niedersingen, um dann zu sagen: Ätsch, ich will gar nicht. Der FC Bayern geht auch nicht her, schlägt im DFB-Pokalfinale Dortmund 2:0 und sagt dann: Nö, danke, nehmt ihr mal den Pott. Aber so einfach ist das nicht im Fall von Andreas Kümmert. Talent, ja. Vollblutmusiker, ja. Aber er ist halt doch anders als viele andere, die es auf die Showbühne zieht.

    Eklat bei ESC-Vorentscheid: Nur Schöneberger lockert die Stimmung auf

    Deshalb sein Entschluss: „Ich bin nicht wirklich in der Verfassung, diese Wahl anzunehmen.“ Deshalb dieser eine Satz, der in den Buhrufen und Pfiffen des Publikums untergeht: „Ich bin doch nur ein kleiner Sänger.“ Deshalb der Verzicht, nach Wien zu reisen und Deutschland im Finale am 23. Mai zu vertreten. Wir reden hier über den deutschen Vorentscheid für den weltgrößten Musikwettbewerb. Und Andreas Kümmert, 28, dieser Joe-Cocker-Verschnitt mit Zottelbart aus Unterfranken, nimmt den Sieg nicht an. Was ist da nur passiert?

    Donnerstagabend, Hannover, TUI-Arena. Die ARD ist live auf Sendung. 3,2 Millionen Menschen schalten ein, ein Marktanteil von 10,3 Prozent. Berauschend ist das nicht. Im Vorjahr waren es noch fast vier Millionen. Aber die übrig Gebliebenen erleben eine Premiere in 60 Jahren „Eurovision Song Contest“ (ESC) oder „Grand Prix Eurovision de la Chanson“, wie das Spektakel früher hieß.

    Barbara Schöneberger bleibt es vorbehalten, die Stimmung an diesem historischen Fernsehabend ein wenig aufzulockern. Mittlerweile ist es fast Mitternacht im Presseraum neben der Arena. Während die Verantwortlichen der ARD das Unfassbare zu verstehen versuchen und bei den Journalisten dafür werben, in ihrer Berichterstattung jetzt bloß nicht die „neue Siegerin“ Ann Sophie zu vergessen, gibt sich die Moderatorin pragmatisch. Über viele Eventualitäten sei im Vorfeld der Sendung gesprochen worden. Aber dass der Sieger hinschmeißt, habe niemand vorhergesehen. „Es ist wunderbar, dass so etwas trotz aller Planung noch möglich ist.“ Davon lebe das Fernsehen schließlich.

    So kann man es auch sehen. Für die Schöneberger jedenfalls wird es ein unvergesslicher 41. Geburtstag bleiben. Eine Stunde zuvor, kurz vor den „Tagesthemen“, steht sie mit den beiden Finalisten auf der Bühne. Alle warten auf das Ergebnis. Das Fernsehpublikum hat abgestimmt. Andreas Kümmert zittert am ganzen Körper. Wegen des Fiebers, das ihn an diesem Tag ereilt hat, wegen der Anspannung. Weil er da schon weiß, dass er nicht nach Wien fahren wird.

    Andreas Kümmert: Niemand konnte seine Entscheidung absehen

    Dann das Votum. Erst gestern erfährt das Land, wie eindeutig es ausgefallen ist. 78,7 Prozent der Anrufer für Kümmert, 21,3 Prozent für die andere Finalistin Ann Sophie. Und dann die Worte, die alle aus den Socken hauen. „Ich bin nicht wirklich in der Verfassung, diese Wahl anzunehmen. Ich gebe meinen Titel an Ann Sophie.“ Schöneberger ist für einen Moment konsterniert, was viel heißt bei ihr, fabuliert etwas von „Coitus interruptus der schlimmsten Sorte“. Um dann sekundenschnell die neue Siegerin zu arrangieren. Ann Sophie singt nun „unseren Song für Österreich“.

    Später erklärt Thomas Schreiber, der ARD-Unterhaltungschef, sie vor den Journalisten zu einer „würdigen Vertreterin Deutschlands zum 60. Geburtstag des Eurovision Song Contests“. Aber er ist Profi genug zu wissen, dass sich jetzt alle Fragen um Kümmert drehen. Wie konnte das passieren? War der Rückzug nicht absehbar?

    „Er wollte unbedingt dabei sein, hat uns beeindruckende Demo-Bänder geschickt“, erzählt Schreiber. Natürlich habe man gemerkt, dass der Franke „ein bisschen kompliziert“ sei, aber Zweifel darüber hinaus habe es nicht gegeben. „Sein Auftritt war ja auch sensationell“, sagt der Unterhaltungschef. In der Halle habe Kümmert aber offenbar erst endgültig realisiert, was bei einem Sieg auf ihn zukommen könnte. „Da gehört dann Mut dazu zu sagen, dass die Seele nicht kann.“

    Man kann das ja auch so sehen: Andreas Kümmert ist immer für eine Überraschung gut. Selbst Menschen, die ihn bestens kennen, können das Verhalten des Musikers aus Gemünden im Landkreis Main-Spessart oft nicht vorhersagen. „Ich hatte die ganze Zeit schon ein flaues Gefühl im Bauch“, sagt sein ehemaliger Manager Joe Ehrhardt. „Dass er gewinnt, war mir klar.“ Aber: „Als Andreas zum Mikrofon gegriffen hat, habe ich geahnt, was da kommen muss. Ich habe Andreas nie beim Eurovision Song Contest in Wien gesehen. Dem Medienrummel dort hätte er sich nie ausgesetzt.“

    Kümmert steht nicht gerne im Mittelpunkt. Der kleine Mann mit dem Zottelbart und dem schütteren Haar versteckt sich am liebsten unter einer großen Kapuze. „Die Kapuze gibt mir Sicherheit“, hat er mal in einem Interview erzählt. Wenn er eine Bühne betritt, hat er die Kapuze oft tief ins Gesicht gezogen. Erst wenn er mit seinem Publikum warm geworden ist, legt er sie ab. In den Kneipen und Pubs, in denen er sieben Jahre lang gespielt hat, bevor er 2013 durch die Castingshow „The Voice of Germany“ bekannt wurde, fühlt er sich immer noch am wohlsten – auch wenn er mittlerweile größere Hallen füllen könnte.

    Doch Andreas Kümmert ist eigen. Bodenständig und bescheiden, sagen die einen. Kompromisslos und beratungsresistent, die anderen. Die Bild-Zeitung berichtete, Kümmert habe mal bei einem Auftritt in Eppingen mehrere junge Frauen im Publikum beleidigt. Bestätigt wurde das nicht. Es steht Aussage gegen Aussage.

    Kümmert ist schüchtern

    Einer, der ganz gut weiß, wie Kümmert tickt, ist Joe Ehrhardt. Er war bis Sommer 2014 sein Manager und hat ihn vor, während und nach seiner Zeit bei „The Voice of Germany“ begleitet. Mittlerweile ist sowohl die geschäftliche als auch die freundschaftliche Beziehung beendet. Doch Ehrhardt fühlt sich Kümmert noch immer verbunden. „Er hat so viel Kraft und Energie wie sonst kein anderer mir bekannter Künstler.“ Er sei allerdings kein einfacher Mensch. „Ich habe lange gebraucht, um seine Wesensart zu verstehen. Für Andreas ist Musik ein Ausdrucksmittel von Emotion. Mit seinen Texten und seiner Musik will er seine Seele offenbaren.“ Das sei das Einzige, was ihn am Musikmachen interessiert.

    Das hat sich schon bei „The Voice of Germany“ gezeigt. Auf der Bühne hat sich Kümmert die Seele aus dem Leib gesungen, abseits davon war er still, einsilbig, schüchtern. Als der Rummel um seine Person zu groß wurde, wurde er krank. Er gab keine Interviews mehr, hat nur die allernötigsten Proben besucht und sich nach seinem Sieg gleich zurückgezogen. Im Vorfeld des ESC-Vorentscheids sprach er gar nicht mit der Presse. Nach der Sendung ist er abgetaucht, ohne sich weiter zu seiner Entscheidung zu äußern.

    Ehrhardt hat vor allem ein Song aus Kümmerts Album beeindruckt. Er heißt „Autism“, zu Deutsch Autismus. Der Schlüssel zum besseren Verständnis von

    Und dann tritt der Mann bei so einem Spektakel an. Einem Spektakel der Emotionen. Das war schon immer so. Erst recht beim großen Finale – jetzt also in Wien. Schrill muss der Eurovision Song Contest sein, bunt, laut und schillernd. Das mag das Publikum in der Halle, das aus vielen Frauen mittleren Alters besteht, aber auch aus so einigen männlichen Liebespärchen. 1982 ging es da noch etwas bürgerlicher zu, als Nicole, mit ihrer Gitarre auf einem Barhocker sitzend, „ein bisschen Frieden“ herbeiwünschte – und damit den ersten Platz für Deutschland ersang.

    Andreas Kümmert: Die wahren Gründe für den Rückzug kennt nur er selbst

    Diesen Erfolg konnte ihr hierzulande lange keiner streitig machen. Nino de Angelo, die Münchner Freiheit und Guildo Horn versuchten vergeblich ihr Glück, und auch der Entertainer Stefan Raab schaffte mit seinem Blödel-Song „Wadde hadde dudde da?“ im Jahr 2000 nur den fünften Platz. Immer wieder drängte sich bei der Punktevergabe der Verdacht auf, dass einige östliche Nachbarländer sich gegenseitig die Punkte zuschoben und andere Kandidaten grundsätzlich als schlechter bewerteten.

    Umso überraschender war es deshalb, als 2010 doch wieder eine Deutsche den Wettbewerb gewann. Lena, die mithilfe von Raab zur Kandidatin gekürt worden war, holte mit „Satellite“ den ersten Platz. Niemand hatte zuvor ernsthaft damit gerechnet – inklusive ihr selbst.

    Dennoch trat sie im darauf folgenden Jahr wieder an. Mit dem Song „Taken by a Stranger“ gelang ihr aber nur der zehnte Platz. Auch Roman Lob, Cascada und Elaiza, die Deutschland in den Folgejahren vertraten, schafften es nur auf die hinteren Plätze. Dass

    Und jetzt wieder ein Sieger der Herzen, einer, der in dieses Spektakel nicht hineinpassen will. Ein Außenseiter in der Welt der Stars und Sternchen. Wenn er spricht, wirkt er unsicher. Wenn er singt, zieht er das Publikum in seinen Bann. Mal klingt er zerbrechlich, mal wie Dynamit. „Ein Mann wie ein Baum, eine Stimme wie Woodstock“, hat Barbara Schöneberger seinen ersten Auftritt anmoderiert.

    War es die Krankheit, der Medienrummel oder wollte er einfach nie nach Wien fahren, sondern nur seine neuen Songs vorstellen? Die wahren Gründe für seinen Rückzug kennt wahrscheinlich nur Andreas Kümmert.

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