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Erdbeben: Zu verkaufen: Kind aus Haiti

Erdbeben

Zu verkaufen: Kind aus Haiti

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    Adpotivkinder aus Haiti bei der Ankunft in Holland
    Adpotivkinder aus Haiti bei der Ankunft in Holland Foto: dpa

    Ganz klein hat er sich gemacht hinter dem Lastwagenreifen. Da kauert er jetzt und schaut mit ängstlichen Augen in eine Welt, die er nicht mehr versteht. Diossa Willens ist zwölf und war bis zum 12. Januar um 16.51 Uhr im Armenviertel Delmas Deux in Port-au-Prince zu Hause.

    In einer kleinen Hütte hat er mit seinen Eltern gehaust, bis die über ihm zusammenfiel. Diossa Willens hat überlebt, seine Eltern sind tot. Ein paar Tage lang hat er auf der Straße geschlafen und das dreckige Wasser aus dem Fluss getrunken. Bis er nichts mehr zu essen fand. Und bis ihm irgendjemand sagte, er solle weggehen aus Port-au-Prince. Die große Straße entlang. Weil es außerhalb der Stadt Essen gibt.

    Bis Jimani ist Diossa Willens gekommen, die Grenzstadt zwischen der Dominikanischen Republik und Haiti. Wie er das geschafft hat, will der verschüchterte Bub nicht erzählen, als ihn Marcella, Benni und Alex - drei Teilnehmer des Freiwilligenprogramms Weltwärts der Bundesregierung - unter dem Lastwagen entdecken. Sie geben ihm zu essen, zu trinken, spielen mit ihm.

    Wie viele Kinder bei dem Jahrhundert-Erdbeben in Haiti zu Waisen geworden sind, kann niemand sagen. Wie viele von ihnen in diesen Tagen durch die Straßen der Stadt irren auch nicht. Es wächst die Angst vor Kinderhandel - wie nach jeder Katastrophe, wenn gewissenlose Kinderhändler das Chaos ausnutzen und die Kinder, die keinem fehlen, einfach mitnehmen. Denn die Sozialstruktur ist aufgebrochen, die Großfamilien sind zerstört, das sichere Heim auch. Das Kinderhilfswerk der Vereinten Nationen, Unicef, hat berichtet, dass in den letzten Tagen 15 Mädchen und Buben aus verschiedenen Krankenhäusern in Port-au-Prince verschwunden sind - und zwar mit Menschen, die nicht ihre Verwandten waren.

    Adoptionen sind vorerst verboten

    Die haitianische Regierung hat gestern reagiert: Sie hat Adoptionen vorerst verboten. Wie Informationsministerin Marie-Laurence Jocelyn Lassègue sagte, werden im Moment nur solche Adoptionen erlaubt, die bereits positiv beschieden waren. Neue Anträge würden bis auf weiteres nicht behandelt.

    "Das ist eine sehr gute Nachricht", sagt Jürgen Schübelin von der Kindernothilfe, den die Begegnung mit dem kleinen Diossa an der haitianischen Grenze alarmiert hat. Denn: "Die Kinderhändler werden die Mädchen und Buben nicht einfach mit dem Flugzeug in die USA mitnehmen. Das wird alles über die Dominikanische Republik laufen."

    Auch darauf will Haiti - so weit es in dieser unübersichtlichen Krisensituation überhaupt geht - reagieren und die Grenze schärfer kontrollieren. Um zu verhindern, dass die Mädchen und Buben an reiche Amerikaner oder Europäer verkauft werden, als Kinderarbeiter auf Zuckerrohrfeldern landen oder als Kindersklaven in haitianischen Familien.

    Gut 20 Aufnahmelager für Kinder, die alleine unterwegs sind, sind im Erdbebengebiet inzwischen eingerichtet. Eins davon von der Kindernothilfe. Auf dem Gelände der Heilsarmee in Delmas Deux, der Heimat von Diossa, sitzen 200 Mädchen und Buben zwischen drei und sechs Jahren aus dem Viertel unter einer Zeltplane. Hier sind sie geschützt, hier wird darauf geachtet, dass sie jeden Tag wiederkommen, hier bekommen sie Wasser und ein Säckchen mit gesüßter Hirse, das sie gierig auslutschen. Es ist die Umgebung, die ihnen vertraut ist, das Schulgebäude, in dem ihr Kindergarten war, ist nebenan. Die Zeltstadt, in der sie jetzt mit ihren Eltern, mit Verwandten oder ganz alleine hausen, auch.

    Sie singen "Bruder Jacob", tanzen, klatschen, lachen. Und Jean streitet sich gerade lautstark mit Jocelyne um das einzige Auto, das die Gruppe zum spielen hat - gebaut aus einer Plastikflasche. Ein kleiner Schritt in Richtung Normalität. Aus Haiti berichtet Andrea Kümpfbeck

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