Startseite
Icon Pfeil nach unten
Panorama
Icon Pfeil nach unten

Endometriose: Das erzählen Betroffene über ihr Leiden

Lesetipp

Sie haben Schmerzen und niemand nimmt sie ernst

    • |
    Endometriose-Patientinnen haben oft schlimme Unterleibsschmerzen.
    Endometriose-Patientinnen haben oft schlimme Unterleibsschmerzen. Foto: Christin Klose, dpa (Symbolbild)

    Jennifer Ketzler kann nicht genau sagen, wann es begann. Schon mit zwölf Jahren hatte sie starke Regelschmerzen. Die Pille, die ihr dagegen verschrieben wurde, half nicht. Im Laufe der Jahre wurden die Schmerzen unerträglich. Wenn ihre Periode kam, waren sie teilweise so stark, dass sie bewusstlos wurde, sich übergeben musste. Sie dosierte ihre Schmerzmittel immer höher, irgendwann halfen sie gar nicht mehr. Ketzler bekam Opiate verschrieben, besonders starke Betäubungsmittel. Ärzte, bei denen Ketzler Rat suchte, bezeichneten sie als Mimose. „Es kam immer: Stell dich doch nicht so an, jede Frau hat das einmal im Monat."

    2019 hat die junge Frau aus Pöttmes, einem kleinen Ort nördlich von Aichach, durchgehend extreme Schmerzen auf der linken Seite, nicht nur während ihrer Periode. Ihre Frauenärztin empfiehlt Ketzler zum Psychologen zu gehen. Erst als sie sich auf eigene Faust informiert und in ein Fachzentrum geht, bekommt sie die Diagnose: Endometriose. Die Krankheit ist bereits so weit fortgeschritten, dass die junge Frau kurz vor einem Darmverschluss steht. 15 Zentimeter des Organs müssen entfernt werden, die 26-Jährige gilt jetzt zu 50 Prozent als schwerbehindert.

    Jennifer Ketzler erzählt ihre Geschichte gelassen, manchmal lacht sie sogar über die Dinge, die sie erlebt hat. Es ist allerdings kein fröhliches Lachen, sondern eines, aus dem man Frust und Verzweiflung heraushört. Verzweiflung über die Schmerzen und Frust darüber, dass niemand sie ernst genommen hat.

    Manche Frauen sind so stark betroffen, dass sie nicht aus dem Haus gehen können.
    Manche Frauen sind so stark betroffen, dass sie nicht aus dem Haus gehen können. Foto:  Christin Klose, dpa

    Endometriose-Patientinnen müssen meist um die richtige Diagnose kämpfen

    So wie Ketzler geht es Hunderttausenden Frauen in Deutschland. Sie alle leiden unter Endometriose, einer Krankheit, die je nach Schätzung zehn bis 20 Prozent der Frauen betrifft und die Lebensqualität stark beeinträchtigt. Als die Redaktion nach Frauen sucht, die ihre Geschichte erzählen wollen, melden sich in kürzester Zeit viele aus dem Großraum Augsburg. Sie alle haben ähnlich schwere Verläufe wie Jennifer Ketzler. Manche sind vier Jahre lang von Arzt zu Arzt gepilgert, bis die Endometriose festgestellt wurde, andere 19 Jahre. Alle mussten, so erzählen sie das, sich eine richtige Diagnose erkämpfen.

    Bei Frauen mit Endometriose können sich Zellen, die der Gebärmutterschleimhaut ähneln, an verschiedenen Stellen im Bauchraum entwickeln. Solche Endometriose-Herde entstehen beispielsweise auf dem Bauchfell, an Eierstöcken und Gebärmutter, an der Blase oder am Darm. In seltenen Fällen sind sogar Lunge und Zwerchfell betroffen. Die Endometriose-Herde können mitbluten, wenn die Frauen ihre Periode haben, verursachen Entzündungen und starke Schmerzen. Daneben entstehen häufig Zysten, Organe verkleben und verwachsen teilweise miteinander.

    Obwohl Endometriose eine der häufigsten Frauenkrankheiten ist, wird sie nur selten diagnostiziert. Tobias Weißenbacher ist Gynäkologe am MIC-Zentrum in München, einem zertifizierten Endometriose-Zentrum, zu dem auch Frauen aus der Augsburger Region gehen. Er ist auf Endometriose spezialisiert, lehrt als Professor an der Ludwig-Maximilian-Universität (LMU) zu dem Thema. Eines der Probleme für die Diagnose, erläutert Weißenbacher, seien die vielen verschiedenen Symptome der Endometriose. Neben den starken Periodenschmerzen seien die Regelblutungen häufig stark und unregelmäßig. Auch Schmerzen beim Geschlechtsverkehr, beim Wasserlassen und beim Stuhlgang können Symptome sein. Viele Patientinnen haben Verdauungsprobleme und Unverträglichkeiten. Andere leiden unter Hormonschwankungen. Mehrere Betroffene erzählen im Gespräch mit unserer Redaktion von ständiger Erschöpfung. Aufgrund der vielen Symptome nennen Patientinnen die Endometriose eine „Chamäleon-Krankheit“.

    Fünf Dinge, die Sie über Endometriose wissen sollten

    Endometriose ist eine chronische Krankheit, bei der sich Gewebe in Form von Zysten und Tumoren meist im Unterleib ansiedelt - etwa an Eierstöcken, Darm oder Bauchfell. Das Gewebe der Endometrioseherde ähnelt dem der Gebärmutterschleimhaut. Mit dem hormonellen Zyklus können die Zysten und Tumore wachsen und bluten.

    Symptome der Endometriose sind unter anderem: Bauch‐ und Unterleibsschmerzen, Rückenschmerzen, starke und unregelmäßige Monatsblutungen, Schmerzen während und nach dem Sex, Schmerzen bei gynäkologischen Untersuchungen, Schmerzen beim Stuhlgang oder Urinieren, zyklische Blutungen aus Blase oder Darm, ungewollte Kinderlosigkeit.

    In vielen Fällen ist die Diagnosefindung bei Endometriose nicht so einfach. Patienten können ihre Ärzte dabei unterstützen, indem sie ihren Körper beobachten. Es hilft dabei, genau zu analysieren, welche Beschwerden wann auftreten und ob es einen Zusammenhang mit dem hormonellen Zyklus gibt.

    Um eine sichere Diagnose zu stellen, ist ein operativer Eingriff letztlich die einzige Möglichkeit. Bei einer Bauchspiegelung entnehmen Spezialisten im Rahmen eines minimalinvasiven Eingriffs eine Gewebeprobe und untersuchen diese. So ermitteln die Mediziner, wo sich die Endometrioseherde und Zysten befinden und wie schwerwiegend sie sind. Liegen tatsächlich Verwachsungen vor, kann mit der Entfernung der Tumore bereits bei der Operation begonnen werden.

    Wer unabhängig von einem Arztbesuch Informationen über Endometriose sucht, kann bei den Endometriose-Verbänden fündig werden. Die Endometriose‐Vereinigung Deutschland vermittelt Kontakte zu lokalen Selbsthilfegruppen und bietet eine kostenlose Telefonberatung an. Außerdem können Patientinnen auch auf das Online‐Beratungsangebot unter www.regelschmerzen‐info.de zurückgreifen.

    Endometriose wird teilweise zufällig entdeckt

    Für Ärzte sind Endometriose-Herde im Ultraschall oder MRT kaum zu erkennen. „Ganz wichtig ist für uns das Gespräch mit der Patientin“, erläutert Fachmann Weißenbacher. Anhand der Erzählungen der Patientinnen kann sich der Verdacht auf Endometriose dann erhärten. „Wenn man es tatsächlich diagnostizieren will, bleibt meistens nur die Bauchspiegelung.“ Dieses Vorgehen dient der Diagnose. Werden Endometriose-Herde gefunden, können sie während des Eingriffs aber auch oft direkt entfernt werden.

    Es gibt Frauen, deren Endometriose zufällig entdeckt wird, zum Beispiel durch eine Blinddarm-Operation oder eine Kinderwunsch-Behandlung. Nach Angaben der Endometriose Vereinigung steckt bei etwa 40 bis 60 Prozent der Frauen, die ungewollt kinderlos bleiben, Endometriose dahinter. So auch bei Karin aus Aichach, die bei einem so sensiblen Thema lieber nicht ihren Nachnamen im Internet lesen will. Die heute 36-Jährige wünscht sich seit über 15 Jahren ein Kind. Nachdem sie viele Jahre lang nicht schwanger wurde, ging sie in eine Kinderwunschklinik. „Dort wurde vieles standardmäßig abgefragt", erzählt sie. Irgendwann habe der Arzt das Aufnahmegespräch unterbrochen und eine Untersuchung auf Endometriose empfohlen.

    Viele Patientinnen sind bei der Endometriose-Diagnose erleichtert

    Von dieser Krankheit hörte Karian dort zum ersten Mal. Sie hatte seit ihrer Pubertät schlimme Schmerzen während ihrer Periode, während des Eisprungs, während des Wasserlassens. Außerdem war sie immer erschöpft, erzählt sie heute. Von ihren Ärzten bekam sie 20 Jahre lang nur Schmerzmittel – und ein Schulterzucken. Im Jahr 2020 ließ sie sich dann in einem Endometriose-Zentrum behandeln. Der Arzt fand überall im Bauchraum Endometriose-Herde und behandelte Karin.

    Danach ging es ihr besser, weil ein Teil ihrer jahrelangen Schmerzen vergangen war. Auch psychisch fühlte sie sich wie befreit.Weil man weiß, man bildet es sich nicht ein. Man hat keine Macke, ist nicht besonders schmerzempfindlich“, sagt die 36-Jährige. In ihrer Stimme schwingt – abgesehen von der Erleichterung – auch ein gewisser Trotz mit. Nur wenige Monate nach der Bauchspiegelung wurde sie schwanger. Mittlerweile ist sie im achten Monat und wartet darauf, dass „ein 15 Jahre gehegter Traum“ in Erfüllung geht.

    Auch Bettina Wierer ist von Arzt zu Arzt gepilgert. Bei der 30-Jährigen aus Augsburg begannen die Probleme, als sie vor vier Jahren die hormonelle Verhütung absetzte. Sie weiß selbst nicht mehr, bei wie vielen Ärzten sie war, in der Hoffnung, dass irgendwer ihr hilft. Dort, erzählt sie, habe man ihr gesagt, sie solle mehr Sport machen, um sich besser zu fühlen. Ein anderer Arzt empfahl ihr, ein Kind zu bekommen. Schließlich sei sie im richtigen Alter.

    Frauen, die sehr schmerzhafte Regelblutungen haben, sollten die Ursache abklären lassen.
    Frauen, die sehr schmerzhafte Regelblutungen haben, sollten die Ursache abklären lassen. Foto: Monique Wüstenhagen, dpa

    Endometriose ist eine chronische Krankheit – aber behandelbar

    Wenn Wierer daran zurückdenkt, wird sie wütend. „Ich appelliere an alle Mädchen und Frauen auf ihren Körper zu hören, egal was die Ärzte sagen.“ Sie empfiehlt, wie andere Betroffene auch, ein Schmerztagebuch zu führen, um zu dokumentieren, wann und wie stark die Schmerzen auftreten. Erst als Wierer nach eigener Recherche in ein Endometriose-Zentrum ging, wurden ihre Schmerzen und auch sie ernst genommen.

    Im vergangenen Jahr wurde bei Wierer mit einer Bauchspiegelung eine sogenannte tiefinfiltrierende Endometriose gefunden. Mehrere Organe waren befallen. Eileiter und Darm waren verwachsen, was durchgehende Schmerzen auf ihrer linken Seite verursachte.

    Seit der Operation geht es Wierer besser, aber sie hat hormonelle Schwankungen, die sich nicht erklären lassen, und die Wärmflasche ist weiterhin ihr täglicher Begleiter. Endometriose ist oft eine chronische Erkrankung. „Es kommt im Regelfall wieder“, sagt Fachmann Tobias Weißenbacher. Manchmal müsse nach einer Zeit wieder operiert werden, es ließe sich aber auch anders therapieren.

    Auch Jennifer Ketzler aus Pöttmes weiß, dass nach der Operation das Thema für sie nicht vorbei ist. Die Schmerzen seien leichter geworden, erzählt sie. Sie war auf Reha, hat eine Schmerztherapie gemacht. Sie sei es so gewohnt, durchgehend Schmerzen zu haben, dass sie gar nicht anders kann. Chronisches Schmerzsyndrom nennt sich das. Außerdem wurden weitere Endometriose-Knoten in der Nähe des Darms gefunden, die wahrscheinlich operiert werden müssen. Das liegt allerdings auf Eis, denn Ketzler ist im fünften Monat schwanger. Über die Reha und eine Selbsthilfegruppe ist sie mit anderen Endometriose-Patientinnen in Kontakt. Das hilft ihr, erzählt sie. „Irgendwie können andere gar nicht verstehen, was wir durchgemacht haben.“

    Die Endometriose‐Vereinigung Deutschland vermittelt Kontakte zu lokalen Selbsthilfegruppen und bietet eine kostenlose Telefonberatung an. Außerdem können Patientinnen auch auf das Online‐Beratungsangebot unter www.regelschmerzen‐info.de zurückgreifen. Der Endometriose Dialog e.V. ist ebenfalls ein Verein, der Kontakt zu anderen Betroffenen vermitteln kann.

    Lesen Sie dazu auch:

    Diskutieren Sie mit
    0 Kommentare
    Dieser Artikel kann nicht mehr kommentiert werden