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Maddie McCann: Eine Spur führt nach Augsburg: Ist Maddies Mörder gefunden?

Maddie McCann

Eine Spur führt nach Augsburg: Ist Maddies Mörder gefunden?

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    Keiner in dem kleinen Ferienort hat Maddie vergessen: Ein liebevoll gestaltetes Erinnerungsfoto steht am zehnten Jahrestag ihres Verschwindens in Praia da Luz.
    Keiner in dem kleinen Ferienort hat Maddie vergessen: Ein liebevoll gestaltetes Erinnerungsfoto steht am zehnten Jahrestag ihres Verschwindens in Praia da Luz. Foto: Steve Parsons, dpa

    Es ist eines dieser typischen Häuser, wie man sie aus den südlichen Ländern kennt. Eines von denen, die sofort ein Gefühl von Urlaub auslösen. Flaches Dach, weiß getüncht, die Dachrinne ein bisschen schief, Palmen im wild zugewachsenen Garten. Doch das Gebäude in Portugal, das am Mittwochabend über den Fernsehbildschirm von Millionen Deutschen flimmert, ist kein gemütliches Feriendomizil. Es ist die Unterkunft, in der der mögliche Mörder von Maddie McCann gelebt haben soll.

    Mehr als fünf Millionen Deutsche sehen zu, als Christian Hoppe, leitender Kriminaldirektor beim Bundeskriminalamt Wiesbaden, in der ZDF-Sendung „Aktenzeichen XY...ungelöst“ eine Nachricht verkündet, mit der kaum jemand noch gerechnet hat: „Es gibt einen möglichen Tatverdächtigen im Fall Maddie McCann.“ Die Polizei befürchtet, dass die Kleine nicht mehr lebt.

    13 Jahre lang waren Ermittler unzähligen Spuren nachgegangen. Fahnder aus Deutschland, England und Portugal arbeiteten eng zusammen – doch jeder Hinweis verlief im Sand. Jetzt könnte plötzlich alles ganz konkret sein: Der Verdächtige ist ein 43-Jähriger Deutscher, Christian B. Er soll in Würzburg geboren und vor dem dortigen Jugendschöffengericht schon als 17-Jähriger zu zwei Jahren Haft verurteilt worden sein – wegen sexuellen Missbrauchs von zwei Mädchen.

    Maddies mutmaßlicher Mörder fuhr einen auffälligen Jaguar

    Die Fahnder wissen genau, wo er sich jetzt aufhält: Er sitzt hinter Gittern, nach Informationen der Braunschweiger Zeitung in der JVA Kiel. Dort verbüßt er eine Haftstrafe wegen des Handels mit Betäubungsmitteln. Christian B. soll zwischen 1995 und 2007 regelmäßig in Portugal gelebt haben – unweit des Ferienorts, in dem Maddie mit ihren Geschwistern und den Eltern Kate und Gerry McCann Urlaub machte.

    Das Verbrechen, das so weit weg geschah und doch jedem naheging, weist auch in die Region. Denn Christian B. soll nicht nur das Häuschen mit Kamin an der Algarve bewohnt haben. Er war nach Informationen unserer Redaktion nach der Tat auch in Augsburg gemeldet.

    Die Spur führt hier in das sogenannte Schlachthofquartier. Das historische Areal nahe der Innenstadt, auf dem früher Großvieh geschlachtet wurde, hat sich zu einem modernen Geschäfts- und Wohnviertel entwickelt. In den Klinkerbauten sind Verwaltungen, Büros und Gaststätten untergebracht. Dort, wo jetzt ein Verwaltungsgebäude steht, hatte Christian B. eine Zeit lang offiziell seinen Wohnsitz – und das kurz nach dem Verschwinden des Mädchens.

    Die Spur des Verdächtigen führt ins Augsburger Schlachthofquartier.
    Die Spur des Verdächtigen führt ins Augsburger Schlachthofquartier. Foto: Silvio Wyszengrad

    Der vorbestrafte Sexualstraftäter hat mal in einem Wohnmobil vor dem Haus, mal auf dem Dachboden genächtigt und das Badezimmer einer Zufallsbekanntschaft, Alexander Bischof, genutzt, der dort noch immer wohnt. Der Sprecher der Staatsanwaltschaft Braunschweig, Hans Christian Wolters, hält sich hierzu bedeckt. „Ich mache keine Angaben zur Identität des Mannes.“ Die Behörde ermittelt, weil die Stadt in Niedersachsen der letzte Wohnsitz des 43-Jährigen war. Doch es gibt eine zweite Spur in dem aufsehenerregenden Fall, die nach Augsburg und in dasselbe Stadtviertel führt.

    Es geht um ein spezielles Auto, nämlich um einen auberginefarbenen Jaguar XJR 6. Es ist eines der Fahrzeuge, die Christian B. zur „tatkritischen Zeit“, wie es die Ermittler nennen, an der Algarve gefahren haben soll. Bei dem anderen Fahrzeug handelt es sich um einen weiß-gelben VW-Bus T3 Westfalia mit portugiesischer Zulassung. Laut Bundeskriminalamt (BKA) liegen Hinweise vor, dass der Tatverdächtige eines dieser Fahrzeuge für die Tat genutzt haben könnte.

    Augsburg ist für die Ermittlungen wichtig

    Bemerkenswert ist, dass die letzte bekannte Zulassung des Jaguars durch die Stadt Augsburg erfolgte. Alexander Bischof erzählt, er sei in dem Zeitraum von Christian B. gebeten worden, für diesen das Auto in Augsburg anzumelden. Er habe erst viel später von der Kriminalpolizei erfahren, dass er das nur einen Tag nach dem Verschwinden von Maddie gemacht habe. Insofern sei Augsburg für die Ermittlungen wichtig, sagt der Sprecher der Braunschweiger Staatsanwaltschaft.

    Dieser Jaguar wurde von dem tatverdächtigen im Fall Maddie McCann benutzt. Einen Tag nach der Tat wurde das Auto in Augsburg zugelassen.
    Dieser Jaguar wurde von dem tatverdächtigen im Fall Maddie McCann benutzt. Einen Tag nach der Tat wurde das Auto in Augsburg zugelassen. Foto: Bundeskriminalamt

    Dass der Jaguar, der von dem Beschuldigten in Portugal offenbar benutzt wurde, definitiv in Augsburg war, zeigt ein Fahndungsbild. Das Bundeskriminalamt hat es auf seiner Internetseite veröffentlicht. Darauf ist deutlich einer der charakteristischen Klinkerbauten des Schlachthofquartiers zu erkennen. Auffällig findet Wolters vor allem den Zeitpunkt der Zulassung – eben einen Tag nach dem Verschwinden von Maddie McCann. „Vielleicht wollte jemand, dass keiner auf die Idee kommt, das Auto könnte in Portugal gewesen sein“, spekuliert er.

    Pascal Müller, vermisst seit: 30. September 2001. Der damals Sechsjährige verschwand in Burbach, einem Stadtteil von Saarbrücken. Ermittlungen führten zu Stammgästen einer Kneipe. Sie gestanden unabhängig voneinander, Pascal sexuell missbraucht und erstickt zu haben, verstrickten sich aber in Widersprüche. 2007 wurden alle Angeklagten freigesprochen, obwohl der Richter feststellte, es sei "höchstwahrscheinlich", dass sie die Tat begangen hätten. Was geschah, ist bis heute unklar.
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    Über 60.000 Kinder werden jährlich in Deutschland vermisst. Die meisten tauchen schnell wieder auf, doch manche bleiben verschollen. Die mysteriösesten Fälle.

    Von den Eltern von Maddie McCann ist am Tag der Sensationsnachricht nur wenig zu hören. „Sie wollen, dass sich nun alles auf die Ermittlungen konzentriert“, sagt ihr Pressesprecher Clarence Mitchell noch am Mittwoch in London. Lediglich eine schriftliche Stellungnahme geben sie heraus: „Wir werden niemals die Hoffnung aufgeben, Madeleine lebend zu finden, aber wie auch immer das Ergebnis ausfallen mag, wir müssen es wissen, damit wir Frieden schließen können.“ Freunden zufolge weigere sich das Paar, den Tod der Tochter anzunehmen, „bis eine Leiche gefunden“ wird.

    Und so hat sich auch im Kinderzimmer von Madeleine im mittelenglischen Rothley nichts verändert bis auf die vielen ungeöffneten Geburtstagsgeschenke und Weihnachtspräsente, die darauf warten, endlich von einem inzwischen 17 Jahre alten Teenager aufgemacht zu werden. Sie sind das Symbol für den unerschütterlichen Kampf von Kate und Gerry McCann zu erfahren, was genau in der Nacht kurz vor Maddies viertem Geburtstag geschah.

    Maddie McCann: Einer der kompliziertesten Kriminalfälle

    Am Abend dieses schicksalhaften 3. Mai bringt die Mutter ihre Tochter Maddie sowie die jüngeren Zwillinge nach einem Tag am Meer ins Bett. Die Familie hat die Ferienwohnung 5A in einer Anlage in Praia da Luz gemietet. Erdgeschoss, zwei Zimmer, Terrasse. Die drei Kinder schlafen gemeinsam in einem Raum. Kate und Gerry McCann verschließen Fenster und Haustür, bevor sie sich mit Freunden zum Abendessen in der nahen Tapas-Bar auf dem Feriengelände treffen. Nur die Schiebetür zur Terrasse lassen sie offen, sodass sie jederzeit schnell nach den Kindern sehen können. Kurz nach neun schaut der Vater vorbei und findet seine Kinder schlafend vor. Nicht einmal eine Stunde später findet die Mutter Maddies Bett leer. Es ist der Moment, in dem einer der aufwühlendsten und kompliziertesten Kriminalfälle des bisherigen 21. Jahrhunderts seinen Auftakt findet.

    Wochenlang drehen Polizisten jeden Stein in dem portugiesischen Ferienort um. Sie durchkämmen mit Spürhunden die Umgebung. Taucher suchen den Meeresboden vor der Küste ab. Doch Maddie, deren Eltern als Ärzte arbeiten, bleibt verschwunden.

    2012 zeigen Kate und Gerry McCann, wie Maddie damals wohl ausgesehen hätte.
    2012 zeigen Kate und Gerry McCann, wie Maddie damals wohl ausgesehen hätte. Foto: Arrizabalaga, dpa

    Anfangs geraten die Eltern selbst ins Visier des portugiesischen Chef-Ermittlers. Gonçalo Amaral unterstellt ihnen, sie hätten ihre eigene Tochter verschwinden lassen, um einen fahrlässigen Unfall im Ferienhaus zu vertuschen. Später räumt die britische Polizeibehörde Scotland Yard den Verdacht aus. Die portugiesische Polizei stellt nach einem Jahr die Ermittlungen ein. Die McCanns wollen sich damit nicht abfinden. Sie leiern die größte private Suchaktion ein, die die Welt je gesehen hat. Nach einem Hilfsaufruf gehen Millionenspenden ein. Privatdetektive werden angeheuert. Der Papst, Prinz Charles und die britische Regierung bitten die Bevölkerung um ihre Hilfe. Doch von Madeleine keine Spur.

    Scotland Yard will nicht aufgeben und sucht weiter. Die Fahnder durchwühlen die portugiesischen Ermittlungsakten, gehen 9000 Hinweisen nach, vernehmen mehr als 1000 Personen. Überprüfen polizeibekannte Sexualstraftäter und Einbrecher, die sich im fraglichen Zeitraum in Portugal aufhielten.

    Ob damals schon eine Akte von Christian B. dabei ist, dazu äußert sich das Bundeskriminalamt bisher nicht. Über Jahre hinweg arbeiten die deutschen Ermittler mit den internationalen Kollegen Hand in Hand. Konkret in Verdacht gerät B. nach Angaben der Ermittler durch einen Hinweis im Oktober 2013, als der Fall Maddie schon einmal bei „Aktenzeichen XY“ thematisiert wird. „Die damaligen Informationen reichten nicht für Ermittlungen aus und schon gar nicht für eine Festnahme“, sagt BKA-Mann Christian Hoppe jetzt in der neuen Sendung. Auch ein weiterer Hinweis auf den Tatverdächtigen im Jahr 2017 habe noch nicht gereicht. Doch die Ermittler sind der Überzeugung, „dass es sich bei dem Tatverdächtigen um den Täter handeln könnte“. Telefonate, Bewegungsmuster, kriminelle Vergangenheit: Einiges deutet darauf hin, dass er der lange Gesuchte sein könnte. Nur: Das entscheidende Indiz fehlt. Es gibt keine Zeugen und keine Leiche. Jetzt hofft das BKA auf die Öffentlichkeit. Bei der Behörde wurde ein Hinweisportal eingerichtet und für Hinweise zur Aufklärung der Tat eine Belohnung von 10.000 Euro ausgesetzt.

    Der Verdächtige sitzt wegen zwei Taten in Haft

    Christian B., der beim Verschwinden Maddies um die 30 Jahre alt war, ist Polizei und Gerichten seit seiner Jugend bekannt. Dem Spiegel zufolge weist das Strafregister des Mannes 17 Einträge auf. Derzeit sitzt er wegen zwei Straftaten gleichzeitig in Haft: Er verbüßt eine alte Haftstrafe, die das Amtsgericht Niebüll bereits 2011 gegen ihn verhängt hatte. Dabei ging es um Handel mit Betäubungsmitteln. Parallel ist in einem anderen Verfahren Untersuchungshaft gegen Christian B. angeordnet. Er soll im Jahr 2005 eine damals 72-jährige US-Amerikanerin vergewaltigt haben – in dem Ort, wo später die McCanns Ferien machten.

    Die Braunschweiger Zeitung schreibt, dass der blonde, etwa 1,80 große Mann im Prozess intelligent gewirkt habe. Eine frühere Nachbarin aus Portugal beschreibt den Verdächtigen als aggressiv. „Er war immer ein bisschen wütend, ist die Straße schnell hoch und runter gefahren und eines Tages, so um 2006, verschwand er ohne ein Wort“, berichtete die Frau dem Sender Sky News. Sie sei gebeten worden, beim Aufräumen der Unterkunft zu helfen. „Es war eklig.“ In einem Müllbeutel seien Perücken und seltsame Kleidungsstücke gewesen, fast wie Kostümierungen. Die Polizei geht davon aus, dass Christian B. damals zwar seine Wohnung verlassen hat. In Portugal soll er aber – zumindest zeitweise – geblieben sein. Dort, wo Familie McCann einen unbeschwerten Urlaub verbringen wollte.

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