Der Wirkstoff Remdesivir könnte bald auch in Europa als erstes Mittel gegen eine schwere Corona-Erkrankung auf den Markt kommen. Die Europäische Arzneimittel-Agentur EMA hat am Donnerstag in Amsterdam eine Zulassung unter Auflagen für das Mittel mit dem Handelsnamen Veklury empfohlen. Die EU-Kommission muss dem noch zustimmen, was aber als Formsache gilt. Die Entscheidung der Kommission soll laut EMA in der kommenden Woche fallen.
Corona-Medikament Remdesivir kann Zeit bis zur Genesung verkürzen
Die Empfehlung der EMA gilt für die Behandlung von Erwachsenen und Heranwachsenden ab zwölf Jahren. Voraussetzung für eine Behandlung ist, dass der Patient eine Lungenentzündung hat und mit zusätzlichem Sauerstoff versorgt werden muss.
Eine internationale Studie mit über 1000 Teilnehmern hatte Ende April gezeigt, dass Remdesivir bei Covid-19-Patienten die Zeit bis zu einer Genesung im Schnitt um vier Tage verkürzen kann - von 15 auf 11 Tage. Die Sterblichkeit ging in der Untersuchung geringfügig zurück, was statistisch jedoch nicht signifikant war.
Die USA hatten bereits Anfang Mai eine Ausnahmegenehmigung für den begrenzten Einsatz des Wirkstoffes in Krankenhäusern erteilt. Auch in Deutschland war das Mittel bislang schon innerhalb eines Arzneimittel-Härtefallprogrammes zugänglich und wird in klinischen Studien getestet.
Remdesivir sollte gegen Ebola helfen - jetzt ist es eine Behandlungsalternative für Corona-Patienten
Remdesivir wurde ursprünglich zur Behandlung von Ebola entwickelt, zeigte aber eine zu geringe Wirkung. Es ist bislang in keinem Land der Welt uneingeschränkt als Medikament zugelassen. Bislang gibt es keine Impfung gegen das neuartige Coronavirus und auch keine zuverlässige zugelassene medikamentöse Therapie.
Wie gut ist das Covid-19-Medikament Remdesivir?
Was ist Remdisivir?
Remdesivir wurde ursprünglich zur Behandlung der Viruserkrankung Ebola entwickelt, aber nie für diesen Einsatz zugelassen. Später gab es Hinweise darauf, dass das Mittel gegen Coronaviren wirken könnte.
Wie wirkt das Mittel?
Remdesivir wird per Infusion verabreicht und hemmt ein Enzym der Viren, das für deren Vermehrung unerlässlich ist.
Wie ist die Studienlage?
Es wurden mehrere Studien zu Remdesivir veröffentlicht, aber aus vielen ließen sich kaum Rückschlüsse auf eine Wirksamkeit ziehen. Ende April verkündete der Leiter des US-Nationalen Instituts für Infektionskrankheiten (NIAID), Anthony Fauci, jedoch positive Ergebnisse einer internationalen Studie. Ende Mai wurden sie im «New England Journal of Medicine» («NEJM») veröffentlicht. Rund die Hälfte der 1063 Probanden bekam Remdesivir. Die anderen kamen in die Kontrollgruppe. Daran beteiligt war Gerd Fätkenheuer, Leiter der Infektiologie an der Uniklinik Köln.
Welche Erfolge kann Remdesivir verzeichnen?
«Wir haben nachgewiesen, dass das Medikament bei einer Covid-19-Erkrankung den schweren Verlauf abmildert und die Krankheitsphase um etwa vier Tage verkürzt», sagt Fätkenheuer der Deutschen Presse-Agentur. Die Patienten mit Remdesivir hatten eine Genesungszeit von 11 Tagen, die der Kontrollgruppe von 15. Fauci spricht von einer «signifikanten positiven Wirkung bei der Verringerung der Zeit bis zur Genesung».
Remdesivir sei insgesamt sehr gut verträglich, sagt Fätkenheuer. Die Studie verzeichnete in der Kontrollgruppe sogar mehr Nebenwirkungen als bei Patienten mit Remdesivir. In beiden Gruppen starben jedoch Menschen am Coronavirus. Die Autoren schreiben im «NEJM», die Gabe antiviraler Mittel alleine reiche wahrscheinlich nicht zur Therapie aus.
Gibt es Kritik an einer Zulassung?
Ja. Der namhafteste Kritiker in Deutschland ist Uwe Janssens, Präsident der Deutschen Interdisziplinären Vereinigung für Intensiv- und Notfallmedizin (DIVI). Er betont, bisher gebe es keinen publizierten Beleg dafür, dass Remdesivir die Sterblichkeit senke. «Es gibt keine Evidenz dafür, dass wir hier Leben retten.» Janssens mahnt: «Wir müssen als Wissenschaftler nüchtern bleiben. Wir können doch nicht irgendwelche Kirschen in den Baum reinhängen und der Öffentlichkeit ein vorschnelles Gefühl vermitteln, wir hätten ein Medikament gefunden, was die Krankheit erfolgreich behandelt.» ...
... Erfolgreiche Behandlung bedeute für Janssens unter anderem auch substanzielle Sterblichkeitsreduktion. Und die sei nach derzeitigem Stand nicht gegeben. «Es fehlen definitiv valide und verlässliche Langzeitergebnisse für Covid-19-Patienten», betont Janssens zudem. «Und prinzipiell würden wir uns in der Intensivmedizin wünschen, dass solche Studienergebnisse durch eine weitere Studie bestätigt werden.»
Fätkenheuer weist die Kritik zurück: «Wenn man liest «vier Tage weniger krank gewesen», sagt man vielleicht: Naja, was soll's? Macht das soviel aus? Aber es ist natürlich ein himmelweiter Unterschied, ob jemand auf die Intensivstation kommt und künstlich beatmet wird oder ob ihm das erspart bleibt. Und das kann von diesem Medikament abhängen, solche Fälle haben wir in der Studie gehabt.» Im übrigen habe es bei der Sterblichkeit einen Unterschied gegeben, «allerdings nicht statistisch signifikant».
Sind mit dem Präparat wirtschaftliche Interessen verbunden?
Ja, sehr große. Remdesivir wird von dem US-Pharmaunternehmen Gilead Sciences produziert. «Ich glaube, es ist ein Politikum», sagt Janssens. «Die Bilder aus dem Weißen Haus, wo der Chef von Gilead Sciences neben Trump steht, der erzählt, das seien «incredible results», sind doch bezeichnend. Das geht da um viel Geld. Handfeste wirtschaftliche Interessen spielen da eine wesentliche Rolle, verquickt mit wahrscheinlich Erfolgsbedürfnissen aus der Politik. Dass wir die Krankheit besiegen.»
Wer soll mit Remdesivir behandelt werden?
Das Mittel sei in der Studie sowohl bei leichter wie bei schwer erkrankten Patienten getestet worden, berichtet Fätkenheuer. Die Studie habe gezeigt, dass vor allem Patienten in einer frühen Phase der Krankheit von Remdesivir profitierten.
Wann wird das Mittel in Deutschland verfügbar sein?
Remdesivir stünde den betroffenen Patienten in Deutschland nach Angaben des Bundesgesundheitsministeriums unmittelbar nach dem Markteintritt zur Verfügung und würde von den Kassen erstattet. Muss befürchtet werden, dass Gilead erst einmal nur den US-Markt versorgt und Europa noch bis zum nächsten Jahr warten muss? «Ich halte das für extrem unwahrscheinlich», sagt Fätkenheuer. Die Firma sei schließlich auf dem europäischen Arzneimittelmarkt sehr aktiv. (dpa)
Die für Medikamente in der EU zuständige Behörde hatte am 30. April angesichts der medizinischen Notlage ein Schnellverfahren für die Zulassung von Remdesivir gestartet. Dabei reicht der Antragsteller Daten aus Studien und Laboruntersuchungen nach und nach ein. Diese werden dann zeitnah bewertet. Sobald die Daten komplett sind, wird der Zulassungsantrag gestellt. Remdesivir wird vom US-Biotech-Unternehmen Gilead Sciences hergestellt. Den offiziellen Antrag auf die begrenzte Zulassung von Remdesivir auf dem europäischen Markt hatte Gilead Anfang Juni gestellt.
Die EMA hatte bereits Anfang April den Einsatz von Remdesivir für Schwerkranke ohne Behandlungsalternative ("Compassionate use") empfohlen. In Deutschland hat das Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte (BfArM) im April das sogenannte Arzneimittel-Härtefallprogramm für Remdesivir bestätigt. Damit durften auch bislang schon Ärzte hierzulande einzelnen Patienten, die keine Therapiealternative mehr hatten, den Wirkstoff verabreichen. (dpa)
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