Im Leipziger Zoo hat man auch zwei Tage später keine Antworten. Die Zooleitung möchte nichts mehr zu dem Vorfall sagen. Auch Pressesprecherin Maria Saegebarth versucht sich gar nicht erst in Erklärungen. „Fakt ist, dass das bei Tieren vorkommt.“
Und trotzdem bleibt das, was in Leipzig vorgekommen ist, eine traurige Geschichte. Weil die Freude im Zoo groß war, dass es nach 15 Jahren endlich wieder Löwennachwuchs zur Welt kommt. Und dass Kigali, die junge Löwin, ihre Sache gut macht. Doch drei Tage nach der Geburt sind die beiden Jungtiere tot – gefressen von der eigenen Mutter, während der Fellpflege.
Joachim Scholz lehrt an der Goethe-Universität in Frankfurt am Main, seit 20 Jahren hält er Vorlesungen über Löwen. Auch er sagt: „Es kann immer mal passieren, dass Löwen-Mütter ihre Kinder fressen.“ Möglicherweise habe Kigali bemerkt, dass mit ihrem Nachwuchs etwas nicht stimmt. In diesem Fall verändert sich deren Geruch, was die Mutter wahrnimmt. Auf diese Weise entscheidet sie, ob der Aufwand sich lohnt, das Tier großzuziehen.
Drama im Leipziger Zoo: Auch Hauskatzen essen ihre Jungen
Scholz erzählt vom Fall einer Lippenbärin in einem Washingtoner Zoo, die sich vor einigen Jahren über ihren Nachwuchs hermachte. Den Pflegern sei es gelungen, eines der Jungen aus dem Wurf zu retten. Es stellte sich heraus, dass es an einer Infektion litt. In diesem Fällen, sagt Scholz, läuft bei der Mutter ein Abwägungsprogramm ab: Lohnt sich die Energie, den Nachwuchs großzuziehen? „Wenn nicht, recycelt die Mutter die in den Nachwuchs investierte Energie, indem sie ihn auffrisst. Die Natur ist nun einmal ökonomisch.“ Zugleich bestehe aber auch die Möglichkeit, dass die Löwin im Leipziger Zoo zu unerfahren war. „Der erste Wurf ist zum Üben“, sagt Scholz.
Wie häufig Muttertiere ihren Kindern gefährlich werden, lässt sich nicht sagen. Infantizid ist im Tierreich weit verbreitet. Bei Löwen und Bären, bei Affen, Nagetieren und Vögeln. Immer wieder tauchen Meldungen aus Zoos auf. Aus Jerusalem etwa, wo Tigerin Chana 2014 ihre beiden fünf Wochen alten Babys tötete. Oder aus dem Nürnberger Tiergarten, wo 2008 jede Spur von zwei Eisbärenjungen fehlte – und klar war, dass sie Mutter Vilma zum Opfer gefallen waren. Solche Fälle, sagt Scholz, gebe es aber auch bei Hauskatzen. „Das ist selten, aber es kommt vor.“