Manche denken an einen neuen Spitzturm aus Glas, als Fingerzeig auf die Pyramide am Louvre. Das ist der Vorschlag des Architekten der russisch-orthodoxen Kirche in Paris, Jean-Michel Wilmotte. Andere schlagen eine Fensterdecke und ein begehbares Dach vor – diese Idee stammt vom Architektenbüro Godard + Roussel. Oder sollten das Dach und der Spitzturm von Notre-Dame, die beim Brand vor eineinhalb Wochen zerstört wurden, lieber identisch wie vorher wiederaufgebaut werden?
In Frankreich wird heftig über die künftige Silhouette der gotischen Kathedrale debattiert. Dass Premierminister Édouard Philippe einen internationalen Architekten-Wettbewerb ausrief, deutet für viele darauf hin, dass die Regierung eine Modernisierung bevorzugt. Zumal Präsident Emmanuel Macron, der versprochen hat, Notre-Dame werde in nur fünf Jahren wieder errichtet, von einer „zeitgenössischen architektonischen Geste“ sprach. Seither sprudeln die Ideen, doch es kommt auch Kritik am Wettstreit der „Starchitekten“ auf, die um Aufmerksamkeit buhlen, noch bevor feststeht, was von dem historischen Monument erhalten ist. Er halte es für „ziemlich unpassend, sein Ego auf dieses Bauwerk platzieren zu wollen“, sagt der Architekt Denis Valode. Schließlich seien auch die Namen der Erbauer der Kathedrale im zwölften Jahrhundert unbekannt.
Derzeit muss noch der Schutt weggeräumt, der Sakralbau gesichert und gestützt werden, den die Flammen und die Tonnen von Löschwasser beschädigt haben. Zum Schutz vor Regen wurde eine provisorische Plane angebracht, die Rosenfenster erhielten Sicherheitsnetze. Längerfristig soll eine Art „Regenschirm“ über die Kathedrale gespannt werden, solange sie kein Dach hat.
Notre-Dame-Brand: Arbeiter missachteten wohl Rauchverbot
Während die ermittelnde Staatsanwaltschaft weiter von einer Unfall-Ursache ausgeht, schreibt das Satire- und Enthüllungsmagazin Le Canard Enchaîné von „einer Reihe menschlicher Fehler“. Demnach hatten Bauarbeiter, die für die laufende Renovierung des Dachstuhls zuständig waren, auf dem 90 Meter hohen Gerüst „ab und zu“ das strikte Rauchverbot missachtet, was die Gerüstbaufirma Le Bras Frères inzwischen eingeräumt hat: Man bedauere das, den Brand habe das aber nicht ausgelöst. Laut Canard Enchaîné wurden vor Ort sieben Zigarettenstummel gefunden. Auch lagen demnach Stromkabel offen auf der Baustelle herum. Darüber hinaus habe es bereits um 18.20 Uhr einen ersten Alarm gegeben, doch nachdem die Aufseher kein Feuer feststellten, riefen sie die Feuerwehr erst nach einer zweiten Warnung um 18.43 Uhr.
Notre-Dame ist als Besitz des französischen Staates nicht versichert. Allerdings zog der Brand der Kathedrale, die mit zwölf bis 14 Millionen Gästen pro Jahr das meistbesuchte Monument Europas ist, ein hohes Spendenaufkommen nach sich. Gestern wurde im Ministerrat ein Gesetz vorgestellt, nach dem Spenden bis 1000 Euro künftig zu 75 statt bisher 66 Prozent steuerlich absetzbar sind. Während dies die Mehrheit der gesammelten Gelder betrifft, waren die Großspenden mehrerer Milliardäre und Konzerne umstritten: Kritiker werfen ihnen Untätigkeit gegenüber sozialer Armut vor, obwohl für ein Bauwerk so viel Geld zur Verfügung stehe. Laut einer Umfrage begrüßen allerdings 72 Prozent der Franzosen die Spenden.
Tatsächlich waren innerhalb weniger Tage mehr als 850 Millionen Euro für die Kathedrale zusammengekommen. Das sei „genug Geld, um sie zweimal zu reparieren“, schrieb das Nachrichtenmagazin Le Point. Es stützte sich auf Experten, denen zufolge die Arbeiten nicht mehr als 600 Millionen Euro kosten dürften, während andere solche Angaben für verfrüht halten. Ebenso wie den Wunsch, bereits ausgereifte Pläne für das künftige Antlitz von Notre-Dame vorliegen zu haben.
Experte: Wiederaufbau von Notre-Dame dauert Jahrzehnte
Der Dombaumeister am Wiener Stephansdom und Vorsitzende der Europäischen Vereinigung der Dombaumeister, Wolfgang Zehetner, rechnet unterdessen mit einem aufwendigen Wiederaufbau der Pariser Kathedrale Notre-Dame. Die Ankündigung Macrons, die Kirche werde nach dem Brand der vergangenen Woche in fünf Jahren wieder aufgebaut sein, halte er für „sehr ambitioniert“, sagte Zehetner bei Spiegel Online. Es werde „eher Jahrzehnte brauchen“, alle entstandenen Schäden zu beheben.
Wenn der Wiederaufbau originalgetreu erfolgen solle, müssten „auch die feingliedrigen Teile der Kirche wieder aus Steinblöcken gehauen werden – und zwar von Handwerkern“, so der Experte. Computer könnten zwar beim Fräsen helfen, „aber die Fertigstellung bleibt beim Handwerker. Das macht ja auch einen Reiz bei originalgotischen Bauwerken wie Notre-Dame aus: dass in jedem Detail auch ein bisschen die Handschrift des Künstlers drinsteckt.“
In ganz Europa gebe es „vielleicht einige hundert“ Menschen, die über die nötigen Fähigkeiten verfügten, sagte der Dombaumeister. Er fügte hinzu, er würde sich wünschen, „dieses Monument der gotischen Architektur, eine Ikone, möglichst originalgetreu wiederherzustellen – statt dort einen Plastik-Wasserspeier aus dem 3D-Drucker hinzusetzen“.
Das Stahldach, das nach einem Brand 1945 das hölzerne Dach des Wiener Stephansdoms ersetzt hatte, könnte nach Einschätzung Zehethners ein Vorbild für Notre-Dame sein. „Das ist zumindest technisch eine sehr gute Lösung – und nicht so aufwendig wie die originalgetreue Variante.“ Baumstämme von der nötigen Qualität „wird man in Mitteleuropa kaum auftreiben können. Man könnte stattdessen natürlich Tropen- oder Teakholz nehmen“. Damit würde man sich indes aber vom Originalgetreuen verabschieden. (mit kna)
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