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Reisereportage: Dieses Kuba – gibt’s das noch?

Reisereportage

Dieses Kuba – gibt’s das noch?

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    Kuba erfüllt weiter viele Klischees, die man im Kopf hat. Und doch sind neue Zeiten angebrochen.
    Kuba erfüllt weiter viele Klischees, die man im Kopf hat. Und doch sind neue Zeiten angebrochen. Foto: Andrea Kümpfbeck

    Die Cohiba scheint an der rechten Hand festgewachsen zu sein, Eduardo legt sie die ganze Fahrt über nicht aus der Hand. Seinen Strohhut hat er auf dem Beifahrersitz geparkt, der Ellbogen hängt lässig aus dem Fenster, wenn er genüsslich an der Zigarre zieht. Und natürlich hat er die Musik der alten Herren des „Buena Vista Social Club“ eingelegt in den CD-Wechsler, der sich im Handschuhfach versteckt. Denn das Radio mit seinen zwei Knöpfen funktioniert nicht mehr, sagt Eduardo. Ansonsten ist sein kanariengelber Pontiac Superchief aus dem Jahr 1957 bestens in Schuss. Es ist einer der vielen, wunderschönen, bonbonbunten, amerikanischen Straßenkreuzer, die seit den 1950er Jahren durch Havanna fahren, mit weißen Ledersitzen und weißem Verdeck. Eduardo kutschiert in seinem Cabrio Touristen durch seine Heimatstadt – und erfüllt in diesen zwei Stunden Rundfahrt alle Klischees, die man von Kuba im Kopf hat.

    Jeder in der Stadt scheint diesen 120-Kilo-Mann zu kennen, der im Hauptberuf als Fahrer für das altehrwürdige „Inglaterra“-Hotel arbeitet und der wie viele seiner Landsleute die Lebenseinstellung verkörpert, dass zwar vieles schwierig, aber irgendwie alles möglich ist in Kuba. Der Barkeeper im „Dos Hermanos“, wo schon Ernest Hemingway seine Drinks nahm und Eduardo erst einmal drei Mojito für sich und seine Fahrgäste holt, ist ein Freund. Die russische Reiseführerin an der Plaza de la Revolución eine Bekannte. Sie zeigt ihren Gästen nicht nur den 45000 Quadratmeter großen Aufmarschplatz, auf dem einst Fidel Castro zum Volk sprach und jetzt sein Bruder Raúl, oder das stilisierte Che-Guevara-Porträt an der Fassade des Innenministeriums, sondern auch Eduardos Pontiac. In dem soll angeblich auch der sowjetische Kosmonaut Juri Gagarin bei seinem Besuch in Kuba 1961 chauffiert worden sein.

    Eduardo lenkt den Pontiac die Reina entlang, wie die Avenida Simón Bolívar kurz genannt wird. Sie verbindet den sozialistisch-einheitlich betonierten Platz der Revolution mit dem Capitolio, der Kopie des Kapitols in Washington. Man fühlt sich ein bisschen wie in Disneyland, die Häuser entlang dieses einen Boulevards sind in bunten Farben frisch gestrichen. „Wegen Papst Franziskus“, erzählt Eduardo. Er hat mit seinem Papamobil denselben Weg genommen, als er im September Havanna besuchte und auf dem Platz der Revolution mit 100.000 Kubanern die Messe feierte. Ein paar Wochen vor dem Besuch, sagt Eduardo, wurden Farbkübel verteilt und die Bewohner aufgefordert, ihre Häuser zu streichen.

    Reis, Öl oder Salz sind subventioniert vom Staat

    Vieles ist übertüncht in Kuba, vieles nur Fassade. Havannas Altstadt zum Beispiel. Sie ist eine der schönsten kolonialen Altstädte Amerikas. Tatsächlich sind die Straßen und Gassen rund um die Kathedrale, die Plaza de Armas und die Plaza Vieja mithilfe von Unesco-Geldern aufgehübscht worden. Entstanden ist ein kleiner, teurer Altstadtkern zum Vorzeigen. Ein Viertel im Zuckerbäckerstil mit Souvenirshops, Restaurants und Hotels, in denen es neuerdings sogar WLAN gibt – für Touristen. Zwei Straßen weiter verfallen die einst herrschaftlichen Kolonialgebäude, brechen Balkone aus den Fassaden und man sieht oft vom Erdgeschoss bis in den Himmel, weil das Dach fehlt. Bewohnt sind die Häuser trotzdem.

    Am Malecón, der berühmtesten Straße Havannas, die sich am Meer entlangzieht, verbringen die Habaneros die Abende. Die Uferpromenade mit ihrer mächtigen Kaimauer ist Wohnzimmer, Flaniermeile und Angler-Treffpunkt zugleich. Hier gibt’s die ganze Nacht über Party, Musik und Tanz – und ein Schaulaufen der Prostituierten. Hier liegt das eigentliche Zentrum der Stadt, der Stadtteil Centro. Eine andere Welt. Das Leben findet im Freien statt. Auf einer Art Baustelle, weil viele Straßen aufgerissenen sind. Es werden Wasserleitungen verlegt. Die meisten Häuser haben noch kein fließendes Wasser, viele auch keinen Strom – und wenn, dann nur stundenweise. Eine Straßenbeleuchtung gibt es nicht, Supermärkte auch nicht. Gemüse oder Brot kauft man beim Straßenhändler oder man stellt sich in die langen Wartenschlangen vor den staatlichen Läden, wo es subventionierte Produkte wie Reis, Öl und Salz auf Lebensmittelkarten gibt – und sonst nichts außer ein paar Regalreihen voller Dosentomaten und Orangensaft im Tetrapak.

    Obama macht viele Kubanern Hoffnung auf eine bessere Zukunft

    Unterm Ladentisch aber und vor allem gegen Devisen ist alles zu haben. Die offizielle Währung CUP (Peso cubano) ist nichts wert, die Zweitwährung CUC (Peso convertible) begehrt. Darum arbeiten viele Akademiker lieber im Tourismus, wo sie mit Ausländern und damit mit CUC zu tun haben. Oder Akademikerinnen als Prostituierte. Statt als Lehrer, Beamte oder Krankenhausärzte. Denn die verdienen, sozialistisch einheitlich, 15 CUC im Monat, das sind etwa 15 Euro. Der Kofferträger im Hotel bekommt einen CUC Trinkgeld pro Gepäckstück, das er aufs Zimmer bringt.

    Darum zahlt man an der Rezeption eines staatlichen Hotels – wo die Angestellten nur mäßig motiviert sind und den Gast als Gast und nicht als Störenfried sehen – 5,40 CUC für ein Telefonat von Santiago nach Havanna. Und darum verrechnet sich der Kellner im Restaurant schon mal um ein paar CUC. Oder es versucht der Taxifahrer am nächsten Morgen die doppelte Gebühr für dieselbe Strecke wie am Vortag zu verlangen. Alles verständlich aus Sicht eines Kubaners, der den Mangel im postsozialistischen Kuba lebt und sich dabei an die vermeintlich reichen Touristen hält – und alles mit einem Lächeln leicht zu klären.

    Auch wenn an vielen Häuserwänden noch das Konterfei des Volkshelden Che Guevara prangt, auch wenn in jedem Ort die Helden der Revolution verehrt werden und entlang der Straßen Durchhalteparolen auf Plakaten die Kubaner motivieren: Die meisten sind davon überzeugt, dass der Sozialismus längst gescheitert ist. Dabei ist das Bildungssystem hervorragend und die Gesundheitsversorgung gut. Doch das Elend in den heruntergekommenen Mietskasernen an den Stadträndern ist ebenso unübersehbar wie die Schlangen vor den Tankstellen.

    Der wohl endgültige Aufbruch Kubas in eine westlich geprägte Zukunft wurde im April 2015 besiegelt. Es war ein historischer Moment, als sich US-Präsident Barack Obama und Kubas Staatschef Raúl Castro beim Amerika-Gipfel in Panama medienwirksam die Hand reichten. Eduardo, der Oldtimer-Chauffeur aus Havanna, hat die im August wiedereröffnete US-Botschaft in seine Tour eingebaut. „Ich freue mich auf die Amerikaner“, sagt Eduardo – und deutet auf die kleine US-Flagge, die er ans Armaturenbrett geklemmt hat. „Sie bringen Geld und unser Staat wird das Land für sie renovieren“, sagt er, „denn er will die Devisen haben.“

    Es gibt noch viel Nachholbedarf auf der kleinen Insel

    Noch sind sie nicht da, die Amerikaner. Aber sie werden kommen. Reine Vergnügungsreisen sind ihnen noch verwehrt. Aber Coca-Cola ersetzt bereits die einheimische TuKola. Es sind vor allem Kanadier, die in großen Reisegruppen über die Insel reisen. Franzosen, Italiener – und Deutsche. Viele Deutsche, die noch schnell das alte Kuba erleben wollen, von dem sie gelesen haben. „Wieso kommt ihr denn jetzt alle?“, will Salomon wissen, der in Baracoa Touristen in seinem 59 Jahre alten Willyx-Jeep durch den Humboldt-Nationalpark fährt. „Kuba öffnet sich doch schon seit 2008 der Welt“, sagt er. Seither dürfen auch Privatleute Zimmer an Touristen vermieten oder kleine Restaurants eröffnen, sogenannte Paladares. „Ihr glaubt doch nicht wirklich, dass sich Kuba so schnell verändern wird“, meint Salomon: „Das dauert mindestens noch 15 Jahre.“

    Dem Tourismus kommt die fortschreitende Öffnung Kubas schon jetzt zugute – und damit dem ganzen Land. Das spürt man auch an den Preisen. Eduardos Pontiac, den er vor fünf Jahren für 20000 CUC gekauft hat, ist inzwischen 50000 CUC wert. Auch die Essens- und Übernachtungspreise haben sich in diesem Jahr zum Teil verdoppelt. 2014 reisten mehr als drei Millionen Menschen auf die Insel, in diesem Jahr setzt sich der Boom fort. Doppelt so viele Gäste sollen in den nächsten Jahren kommen, hofft man im Tourismusministerium.

    Da wird sich noch einiges ändern müssen: Im Valle de Viñales zum Beispiel, jener Gegend im Westen der Insel, wo der Tabak für die berühmten Zigarren wächst. Hier gibt es nur einen einzigen Bus mit 15 Sitzen. Ein größerer ist nicht aufzutreiben, auch wenn jeden Morgen 50 Gäste an den Strand von Cayo Levisa wollen, der eine Stunde Fahrt entfernt ist. Oder in den kleinen Orten, in denen man sämtliche Läden abklappern muss, um eine Flasche Wasser zu erjagen. Oder im Fünf-Sterne-Hotel am Karibikstrand, wo es zwar zwölf Sorten Rum und 34 verschiedene Cocktails gibt, aber an dem einen Tag kein Mineralwasser und am anderen keine Handtücher.

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