Es hilft ja nichts. Selbst wenn Alice und Ellen Kessler sich am Ostseestrand einschaufeln lassen würden, käme ein älterer Herr, um sie aus dem Sand zerren. Ziel: ein Selfie mit den Frauen, die er weiß Gott wann im Fernsehen entdeckt hat. Und weil sie die Kesslers sind.
Schön, dass Alice und Ellen Kessler am Freitag ihren 80. Geburtstag feiern können. Zuletzt standen sie noch in mehreren Städten auf der Bühne, wo sie abwechselnd die Maria Wartberg im Udo-Jürgens-Musical „Ich war noch niemals in New York“ gespielt hatten, eine lebens- und liebeslustige Dame.
80. Geburtstag: Alice und Ellen Kessler und das Geschäft mit den Beinen
Gerade bei den Kessler-Zwillingen fällt einem das Zitat des französischen Regisseurs François Truffaut ein, der einen berühmten Satz pflegte: „Die Beine der Frauen sind die Zirkel, die den Erdball in allen Himmelsrichtungen ausmessen und ihm sein Gleichgewicht und seine Harmonie geben.“ Ein wunderbarer Satz. Aber wenn Alice und Ellen das Geschäft mit ihren Beinen eher pragmatisch gesehen haben, auch recht. In der Nähe von Leipzig aufgewachsen, begann in den 1950er Jahren ihre Karriere, als die Familie nach Düsseldorf geflüchtet war.
Es war die Zeit, als Deutschland, aber auch die Nachbarländer süchtig nach Zwillingen waren. Schwarzwald, die Wachau und Italien wurden im Kino Sehnsuchtsorte der Deutschen, und wenn selbst die schlanken Kesslers zur Eistüte griffen, war dies eine Aufforderung für die Mütter. Aber Alice und Ellen, die mit knapp 20 schon im Pariser Lido für Begeisterungsstürme gesorgt hatten, dachten schon weiter: Ob in New York, Las Vegas, Monte Carlo oder Rom – die blonden Fräuleins tanzten sich Schritt für Schritt in die Herzen der Wirtschaftswunder-Papis und der Töchter, die auch so aussehen wollten.
Auch wenn die hochgewachsenen jungen Frauen vor allem durch ihre Synchronität in den Schrittfolgen und den Griff ans Hütchen auffielen, sollte nicht vergessen werden, dass die Mädels auch großartig zweistimmig sangen. Wenngleich die Texte durchaus dem Zeitgeist entsprachen: „Die Kavaliere von 1910, die ließen selten ein hübsches Mädchen steh’n.“ Besonders wichtig: „Niemals ein Kuss vor dem ersten Kompliment.“ Es waren halt andere Zeiten, als Komplimente noch nicht missverstanden wurden.
Die Kessler-Zwillinge zogen sich 1975 für den Playboy aus
Die Auftritte mit Frank Sinatra und Dean Martin in Las Vegas gehörten zu den Höhepunkten ihrer Karriere, sagt Alice Kessler. Auf Sinatra, der einen legendären Ruf als uncharmanter Womanizer hatte, lässt Alice überraschenderweise nichts kommen. Er sei sehr höflich gewesen, „weil wir ihn in Ruhe ließen“.
Ruhe war ein Fremdwort für die offenbar auf ewig beruflich verbundenen Schwestern, als Bella Italia auf die langbeinigen blonden Schönheiten abfuhr. Wie es halt immer war und noch ist. Von den 60er Jahren an lebte das Doppel in Rom, inklusive längerer Männerbekanntschaften. Als sie sich 1975 mit knapp 40 Jahren für den Playboy auszogen, soll die Ausgabe in Italien innerhalb von drei Stunden vergriffen gewesen sein.
Du und ich im Wechselschritt, ich tanze schnell und du kommst mit. Das war und ist wohl auch noch heute das Credo der Zwillinge. 80 Jahre unzertrennlich, das kann nicht nur seine Ursache im Beruf haben, wo das doppelte Wunder uns immer noch Respekt einflößt, gerade wenn man seine eigenen Arthrosen kennt.
Heute leben die aufeinander eingeschworenen Tanzschwestern in Grünwald bei München. Verheiratet waren sie nie. Und sollten sie sich zoffen: Es gibt eine Schiebetür.