Hungern und Dürsten, Schwitzen und Strampeln, Entwässern und Abführen: Die Beschreibung all der Qualen, die Menschen schon auf sich genommen haben, um lästige Pfunde loszuwerden, könnte ganze Bücher füllen. Bereits die alten Griechen haben sich einiges einfallen lassen, um dicken Bäuchen zu Leibe zu rücken. Doch erst im späten 19. Jahrhundert wurde Übergewicht zu einem Massenphänomen, dem Ärzte mit diversen Kuren und Diäten begegneten. Manche dieser Ansätze, wie die kohlenhydratarme Kost, sind nach wie vor aktuell.
Schuften, Erbrechen, Baden: Allround-Konzepte der alten Griechen
„Diät“ kommt von dem griechischen Wort „diaita“. Gemeint war damit nicht nur eine gesunde Ernährung, sondern eine rundum stimmige Lebensführung, die Geist und Körper mit einschloss. Als schön galt ein Körper dann, wenn er weder zu dick noch zu dünn war. „Ausgewogenheit stand im Mittelpunkt“, sagt der Medizinhistoriker Dr. Philipp Osten von der Uni Heidelberg. Nach den damaligen Vorstellungen sollte man nichts im Übermaß tun, also weder zu viel essen noch zu sehr fasten.
Leibesfülle wurde daher, genauso wie Magerkeit, als ungesund angesehen. Der berühmte Arzt Hippokrates (ca. 460 bis 370 vor Christus) war davon überzeugt, dass übermäßiges Essen durch viel Bewegung ausgeglichen werden muss. Fettleibige sollten hart arbeiten und nur einmal am Tag eine Hauptmahlzeit zu sich nehmen, und zwar eine fettreiche, sodass schon kleine Mengen reichten, um satt zu werden. Außerdem setzte Hippokrates beim Abnehmen auf lange Spaziergänge, Erbrechen, Baden und Salben. Brechmittel, wie der von Hippokrates empfohlene Ysop-Trunk, waren damals gang und gäbe: „Erbrechen diente der Reinigung“, sagt Osten.
Seife gegen Körperfett: eine Idee des 18. Jahrhunderts
Die antiken Schönheitsideale lebten im späten 18. Jahrhundert wieder auf. Mit der Verklärung üppiger, rosig-glänzender Leiber, wie sie der niederländische Barockmaler Peter Paul Rubens mit Vorliebe darstellte, war es vorbei. Stattdessen galten wohlproportionierte Körper als ästhetisch. „Edle Schlankheit wurde zum Schönheitsideal der Oberschicht und allmählich auch der wohlhabenden Bürgerschicht“, schreibt Sabine Merta in ihrem Buch „Schlank! Ein Körperkult der Moderne“. Kam noch hinzu, dass Fettleibigkeit inzwischen als Gesundheitsproblem erkannt wurde.
Der schottische Arzt Malcolm Flemyng beschrieb Übergewicht 1760 erstmals als Krankheit. Dabei entwickelte er die originelle Idee, den Körper durch das Trinken von Seifenwasser von innen zu entfetten – eine Methode, die seinen Zeitgenossen bereits fraglich erschien. Viele Jahre später, um 1900, kamen in den USA spezielle Anti-Fett-Seifen auf den Markt – diesmal zur äußeren Anwendung. Sie sollten Fettpölsterchen einfach auflösen. Bewährt hat sich die Methode leider nicht.
Fleisch und Alkohol: die erste Low-Carb-Diät
Gegen Ende des 19. Jahrhunderts wurde Übergewicht zu einem „Massenphänomen“, wie der Ernährungswissenschaftler Professor Christoph Klotter von der Hochschule Fulda sagt. Vorausgegangen waren gewaltige Umwälzungen im Zuge der Industrialisierung: Viele Menschen zogen in die Städte, es wurden mehr Fleisch, Eier, Käse und zuckerhaltige Lebensmittel gegessen. Körperlich anstrengende Arbeit, wie Feldarbeit, wurde seltener. „Mit Diäten hat man versucht, der Überflussgesellschaft entgegenzusteuern“, sagt Klotter.
Das erklärt, warum der Erfahrungsbericht eines stark übergewichtigen Londoner Bestatters zum Diät-Bestseller des späten 19. Jahrhunderts wurde: Angeblich nahm William Banting (1797 bis 1878) mit einer kohlenhydratarmen Kur, die vor allem aus Fleisch und Alkoholika wie Rotwein, Sherry und Whiskey bestand, innerhalb eines Jahres 23 Kilo ab. Er gilt damit als „Vater der Low-Carb-Diäten“, die darauf abzielen, möglichst wenig Kohlenhydrate aufzunehmen. Die Kombination von Fleisch und Rotwein war in der damaligen Zeit allerdings ein gängiges Ernährungskonzept. So sagt der Medizinhistoriker Osten: „Fleisch und Rotwein wurden um 1870 an der Berliner Charité wie an den meisten öffentlichen Krankenhäusern zur Armenversorgung ärztlich verordnet.“
Strychnin und Bandwürmer: Diät-Wahn nach 1900
Ab 1900 wurde der schlanke Körper, vor allem für Frauen, zur Schönheitsnorm. Diätlebensmittel wie der „Zehr-Joghurt“, diverse Schlankheitstees und Diätbrot, dem Rizinusöl zugesetzt war, stießen auf großes Interesse. In Mode waren bald auch bedenkliche Abnehmpillen, die unter anderem Hormone oder sogar kleine Mengen Strychnin enthielten: Von dem Gift versprach man sich eine stimulierende Wirkung. Im Kampf gegen die Korpulenz schreckten manche Frauen vor nichts zurück – offenbar nicht einmal vor Bandwürmern.
Tatsächlich wurde um 1900 für „desinfizierte Bandwürmer im Glas“ geworben, wie entsprechende Werbeplakate aus den USA zeigen. Als prominentes Beispiel für den Erfolg des Rezepts wird immer wieder die Sängerin Maria Callas genannt, die in den 50er Jahren dank einer Bandwurmkur dutzende von Kilos verloren haben soll. Wahrscheinlich ist an den Gerüchten wenig dran. Die Parasiten machen nämlich allenfalls krank, als „Fettkiller“ sind sie völlig ungeeignet.
Harmlos war dagegen der Kaukult, der nach 1900 immer mehr Anhänger in Europa und den USA fand: Sein Erfinder Horace Fletcher erlaubte zwar alle Speisen, allerdings mussten sie so lange gekaut werden, bis sie zu einem dünnflüssigen Brei geworden waren. Das sollte nicht nur Magen und Darm entlasten, sondern auch die Pfunde zum Schmelzen bringen, da man höchstens die Hälfte der gewohnten Essensmenge zu sich nahm.
Neben Fastenkuren gab es damals auch schon Ansätze, das Abendessen einzuschränken – das „Dinner-Cancelling“ ist immer noch eine beliebte Abnehmstrategie.
Von Ananas bis Kohlsuppe: Ernährungsmythen nach 1960
Nach den Entbehrungen der Kriegs- und Nachkriegszeit war fettreiches Essen in den 50er Jahren wieder angesagt. Ans Abnehmen dachte man erst wieder in den 60ern, angeregt von extrem dürren Vorbildern wie „Twiggy“. 1963 gründete die amerikanische Hausfrau Jean Nidetch die „Weight Watchers“, die Lebensmittel nach einem ausgeklügelten Punktesystem verzehren. Gleichzeitig begann die Ära der fettarmen Produkte, da Wissenschaftler glaubten, einen Zusammenhang zwischen Blutfettwerten und Herz-Kreislauf-Erkrankungen gefunden zu haben. „Das Cholesterin wurde der Feind ganzer Nationen“, schreibt Anja Dostert in ihrem Buch „Die verrückte Geschichte der Diät. Schlankheitswahn und Schönheitskult“. Fettarme Produkte überschwemmten den Markt.
Außerdem entdeckten selbst ernannte Experten in den 70er Jahren die exotischen Früchte wieder, die schon 50 Jahre zuvor auf dem Plan der „Hollywood“-Diät für Filmdiven gestanden hatten: Grapefruit, Ananas und Papaya wurden wegen ihrer angeblich fettschmelzenden Enzyme als Wundermittel angepriesen. Crash-Diäten, bei denen man zum Beispiel tagelang nichts außer Ananas aß, kamen in Mode.
Ähnlich einseitig und daher nicht empfehlenswert ist die Kohlsuppendiät, die seit den frühen 80er Jahren immer wieder aufgewärmt wird: Etwa eine Woche lang isst man nur von der kalorienarmen Gemüsesuppe. Da man dadurch aber zu wenig Eiweiß zu sich nimmt, raten Ernährungswissenschaftler von der „magic soup“ ab. Auch die Eier-Diät, die Maggie Thatcher Ende der 70er Jahre mit eisernem Willen betrieben hatte, stößt bei Experten auf Kopfschütteln: In einer Woche stehen bis zu 28 Eier auf dem Speiseplan.
Ein Phänomen der Neuzeit: Diät als Ersatzreligion
Die große Zeit der Crash-Diäten ist seit der Jahrtausendwende vorbei: Inzwischen hat sich herumgesprochen, dass Radikaldiäten – sei es die Kartoffel-, Pasta- oder Thunfischdiät – ungesund und sinnlos sind. Im Trend liegen dagegen längerfristige Ernährungskonzepte. Viele dieser Ansätze greifen alte Ideen auf. „Man kann Trends beobachten“, sagt Isabelle Keller von der Deutschen Gesellschaft für Ernährung. „Manche Konzepte, etwa die Trennkost, kommen in regelmäßigen Abständen wieder, oft aber werden sie mit anderen Methoden kombiniert. Auch die Low-Carb-Diät taucht in abgewandelten Formen immer wieder auf.“
Heute wie vor hundert Jahren sind solche Diätkonzepte für viele Menschen weit mehr als nur eine Art, sich zu ernähren. Der Psychologe Klotter sagt: „Das Thema Ernährung ist heute stark ideologisiert. Die verschiedenen Lehren tragen Züge einer Ersatzreligion.“ Auch das Fasten sowie das Verbot bestimmter Lebensmittel haben für Klotter etwas Pseudo-Religiöses. Hinzu kommt, dass die Lehren oft von „Gurus“ verbreitet werden: Heute sind es Mediziner wie Pierre Dukan oder Ulrich Strunz oder auch Fitnessfanatiker wie Detlef D! Soost und Attila Hildman, die „Ernährungs-Bibeln“ verkaufen, damals waren es Ärzte wie John Harvey Kellogg oder der Müsli-Erfinder Maximilian Oskar Bircher-Benner, die ihre Anhänger in Sanatorien versorgten.
DGE-Expertin Keller kommentiert Heilsversprechen von „Diätpäpsten“ nüchtern: „Es gibt kein leichtes und bequemes Abnehmen. Den Ernährungs- und Lebensstil zu überprüfen und umzustellen, kostet viel Zeit und Mühe.“