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Italien: Songs für Verbrecher: Wie die Mafia Musik für ihre Zwecke nutzt

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Songs für Verbrecher: Wie die Mafia Musik für ihre Zwecke nutzt

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    Niko Pandetta, wie er sich selbst gerne sieht: Cool, Kippe, Pistolen-Tattoo. Sein Onkel sitzt seit 1992 wegen mehrfachen Mordes in einem Hochsicherheitsgefängnis auf Sardinien ein.
    Niko Pandetta, wie er sich selbst gerne sieht: Cool, Kippe, Pistolen-Tattoo. Sein Onkel sitzt seit 1992 wegen mehrfachen Mordes in einem Hochsicherheitsgefängnis auf Sardinien ein. Foto: Niko Pandetta, jmm

    Es ist ein Liebeslied der anderen Art. Niko Pandetta hat sich ein schwarzes Fußballtrikot übergezogen, vielleicht ein Zeichen der Trauer. Gestikulierend singt er im Musikvideo, als ginge es um eine schlecht ausgegangene Liebesgeschichte: „Ich danke dir für alles, was du für mich getan hast!“ Auf den linken Arm hat sich der Sänger eine Pistole tätowieren lassen, auf dem rechten Arm ist der Name des Adressaten seiner Hymne zu lesen: „Turi“. Das ist Salvatore Cappello, Pandettas Onkel. Einer der berüchtigtsten Mafiabosse der sizilianischen Stadt Catania.

    „Du warst eine Lebensschule und hast mir beigebracht, ehrenvoll zu leben“, schwärmt Pandetta. Was er nicht sagt: Onkel Turi sitzt seit 1992 wegen mehrfachen Mordes in einem Hochsicherheitsgefängnis auf Sardinien ein. Der mehr als 2,6 Millionen Mal auf Youtube angeklickte Song mit dem Titel „Dedicata a te“ (Für dich) ist die Liebeserklärung des Neffen an seinen Onkel, den Mafiaboss. Pandetta zählt zu den sogenannten Neomelodikern und von denen ist in Italien gerade wieder häufig die Rede. Von Popsängern aus dem Süden des Landes also, die im Dialekt vom harten Alltag im Mezzogiorno singen und bisweilen enge Verbindungen zum organisierten Verbrechen haben.

    Mafiosi als Musik-Stars: Niko Pandetta ist nur einer der Stars der Szene

    Viele junge Süditaliener verehren die Popstars. Dieser Tage beschäftigte sich eine TV-Talkshow im staatlichen Fernsehen mit dem Phänomen. Ein 19-jähriger Sänger mit dem Spitznamen Scarface war da und spottete vor laufenden Kameras über die von der Cosa Nostra zu Beginn der 1990er Jahre ermordeten Volkshelden, die Staatsanwälte Giovanni Falcone und Paolo Borsellino. Die seien selbst schuld an ihrem Tod. Die Aufregung war groß.

    Die Grenzen zwischen dem populären Musikgeschäft und der Mafia sind fließend. Niko Pandetta etwa behauptet nicht nur, sein inhaftierter Onkel habe einige der Texte zu seinen Songs geschrieben. Seine erste CD will er gar mit einem Raubüberfall finanziert haben. Pandetta, heute 34, war selbst bereits lange in Haft, unter anderem wegen Drogenhandels. In seinen Liedern schimpft er immer wieder auf Ex-Mafiosi, die auch seinen Onkel verrieten. Mehr als 300.000 Aufrufe bekam ein Video, das mit „Gegen die Kronzeugen“ betitelt ist. Pandetta singt dort zusammen mit Anthony, einem der beliebtesten Vertreter der Neomelodiker. Dessen Songs sind nicht zuletzt aus dem Soundtrack zum Kinofilm „Gomorrha“ einem breiten Publikum bekannt.

    Grünen-Politiker Borrelli: "Diese Sänger versuchen, schwerste Delikte zu normalisieren"

    So wie Pandettas Onkel Salvatore Cappello kriminelle Allianzen mit der kalabrischen ‘Ndrangheta und der neapolitanischen Camorra schmiedete, so haben sich auch die Sänger zusammengetan. Sogar sizilianische Neomelodiker wie Pandetta singen im Dialekt Neapels. Die Songs sind eingängig bis eintönig, im Dialekt wird zu immer gleichen, orientalisch angehauchten Melodien gesäuselt.

    Die Themen: Liebe, Verrat, Verbrechen. Strafrechtliche Handhabe gibt es kaum, solange sich die Sänger auf die Meinungsfreiheit berufen können. Der neapolitanische Grünen-Politiker Francesco Borrelli, der von Pandetta und dessen Fans in sozialen Netzwerken schon bedroht wurde, sagt: „Diese Sänger, die zur Kriminalität aufrufen, versuchen, schwerste Delikte zu legitimieren und durch ihre Musik zu normalisieren.“ Ein anonymer Anhänger Pandettas hatte gefordert, Borrelli mit einem Beinschuss zum Schweigen zu bringen.

    Musik ist für die Mafiosi nur ein Mittel zum Zweck

    Die Mafiosi-Musik ist Mittel zum Zweck. Die Lieder sollen die inhaftierten Bosse bei den Jugendlichen auch in deren Abwesenheit präsent halten; ihre Biografien werden heroisiert. Mit Erfolg: Gianni Vezzosi aus Palermo zum Beispiel bekam 900.000 Klicks für seinen Song „O’ Killer“ (Der Killer), in dem er das Verbrecherleben idealisiert.

    Andere Sänger schwärmen von ihrem „Camorrafreund“ oder von „Nu Latitante“, einem flüchtigen Mafioso. Die Sänger werden zu Familienfeiern, Hochzeiten oder Geburtstagen eingeladen. Auch der scheinbar unbescholtene Popstar Gigi D’Alessio aus Neapel wurde bei solchen Anlässen schon mit Camorra-Bossen fotografiert. „Ich habe Angst“, gestand D’Alessio vor kurzem. Wenn er bei solchen Anlässen absage, wüsste man nicht, welche Folgen das haben könne. Wer Erfolg in der Szene haben will, kommt um die Mafia offenbar kaum herum.

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